UNKNOWN MORTAL ORCHESTRA – V


Foto-© Juan Ortiz Arenas

Most people ’round here are more annoying than most loneliness
If you just throw me back to wolves again I’ll be okay
Maybe
Take me back to the beach
Take me back to the times out of reach

(Unknown Mortal Orchestra – The Beach)

Häufig kommt Inspiration aus der alltäglichen Lebenserfahrung und den Höhen und Tiefen, die sie bereithält. Eine Hochzeit, der Tod geliebter Menschen, oder einfach eine Reise durch Italien. Viele Künstler:innen beschäftigt die Frage, welche Inspirationsquellen ihnen im Erfolg bleiben. Die Angst, dass im Reichtum die Reibung mit der Welt fehlt, um großes Neues zu schaffen, ist verständlich.

Und so liest es sich nicht besonders vielversprechend, dass sich Ruban Nielson, Schöpfer des Unknown Mortal Orchestra, für sein neuestes Werk V vor allem von zwei Aufenthalten in Palm Springs inspirieren ließ, dem Resort der Superreichen in Amerikas Westen, Symbol für Weltungewandtheit und Eskapismus, Hyperkapitalismus und schließlich auch für die Folgen des Klimawandels.

Die zweite Inspirationsquelle war die Heimat seiner Mutter, Hawaii. Und wo die Wüste und das Inselparadies verschmelzen, Überfluss und Party beim Coachella Festival die Wurzeln und Naturverbundenheit seiner Familie treffen, schafft Unknown Mortal Orchestra eine neue Klangwelt und mit V ein überzeugendes fünftes Studioalbum. Wiederholung und Reflexion stehen im Zentrum des Songwritings auf der einstündigen Platte. Die Musik wiederum stellt Nielsons überragendes Gitarrenspiel ins Zentrum und mischt psychedelische und Pop-Elemente. Der Intro-Track The Garden breitet all das aus, mit einem einzigen, Mantra-artigen, Satz: „Hold on tight, cause it’s violent after dark in the garden.“

Schönheit und Unschuld gegenüber Nostalgie und Weltschmerz bilden einige der Ambivalenz-Paare, mit denen Nielson arbeitet. Wie auf Guilty Pleasures mit seinen unangenehm bohrenden Drums, einem elektronischen Gitarren-Teppich und der direkten Gegenüberstellung des Nicht-Satzes „Rise and shine, it’s a wonderful day“ mit „Now I know that the days are getting harder“.

Das UMO, vervollständigt durch Jacob Portrait, Rubans Bruder Kody Nielson und diesmal sogar Vater Chris Nielson, arbeitet über das ganze Album hinweg mit ausgedehnten Instrumentals, die nicht immer Neues einbringen, aber hübsche Ideen enthalten, wie das Saxophonsolo von Nielson Senior auf Widow oder den hawaiianische Sound auf Keaukaha. Stärker sind die durchdachten, harmonischen Übergänge, wie in den Track Meschuggah, der mit einem UMO-typischen Gitarrenriff und Zeilen wie „And I know when left alone, We all just melt away“ besticht.

That Life ist mit seinem Funk und der fantastischen Gitarrenarbeit das Highlight des Albums. Dieses Leben, von dem alle schwärmen, wird wunderbar leicht persifliert, vor allem im Pre-Chorus: „All day swimming, under the palm trees, look how they gracefully sway, some kinda gin drink, some kinda jewelry, some kinda fancy machine.“ Der Song ist zwar schon zwei Jahre alt, aber noch immer einer der stärksten im Single-Katalog der Band. Und auch thematisch fügt er sich gut ein.

Zwei weitere Hits verteilen sich auf dem ersten und zweiten Teil des Doppelalbums: Layla, ein klassischer Alternative-Rock-Song zum Mitsingen, bildet den Auftakt. Der Refrain ist zwar mit seiner denkbar unkreativen Line „Lay low, Layla“ und der ausgewaschenen Produktion eher etwas für ein Angus Stone Nebenprojekt, aber die Mischung der Albumthemen mit einem Lovesong funktioniert. Die Protagonistin des Songs bekommt ihr Gegenstück später auf dem Album mit Nadja, einer intimen Ballade, die einige der bittersüßesten Momente des Albums enthält. Seine emotionale Tiefe entfaltet der Song allerdings erst so richtig über das Musikvideo, das zusammen mit dem Video zu Layla einen wunderschönen Kurzfilm ergibt.

Von den vielen kleinen Schubladen, die auf der Platte aufgemacht werden, ist Layla-Nadja sicher eine der spannenderen. Mit anderen, wie dem hawaiianisch inspirierten Akustik-Song I Killed Captain Cook, kann man ohne Begleitheft wenig anfangen. Die Lyrik enteilt teilweise dem vor sich hin mäandernden Inselsound. Dieser wiederum klingt am Besten, wenn er mit ein wenig mehr Groove verschmilzt, wie auf dem Deep Cut The Beach.

V ist ein Album, das mit jedem Hören besser wird. Die Tatsache, dass sich die Band Zeit lässt, die Atmosphäre des Albums zu entfalten, trägt dazu bei. Beim ersten Mal kommt ab und an etwas Langeweile auf – musikalisch wird nicht wahnsinnig viel ausprobiert von Ruban und Co. Doch die teilweise großartigen Texte und die musikalische Konzentration auf das Wesentliche sorgen dafür, dass man gern zu den besonders starken Stellen des Albums zurückkehrt. Diese starken Stellen hätten noch mehr Prominenz verdient. In der Vergangenheit spielte das Unknown Mortal Orchestra oft mit Songideen, indem diese zuerst als rohes Instrumental in eine EP gepackt wurden, um dann auf einem Album als gewachsene Version zu erscheinen, oder umgekehrt aus einem LP-Projekt weitere Instrumentalideen gesponnen und veröffentlicht wurden (IC-01 Hanoi). Ein solcher Prozess wäre auch diesmal sinnvoll gewesen, um ein wenig mehr Kanten in den weichen Sand des Albums zu bringen. Ob es wohl Wüsten- oder Inselsand ist?

Unknown Mortal Orchestra – V
VÖ: 17. März 2023, Jagjaguwar
www.unknownmortalorchestra.com
www.facebook.com/unknownmortalorchestra

Unknown Mortal Orchestra Tour:
03.06.23 Düsseldorf, zakk
04.06.23 Berlin, Metropol
10.06.23 Hamburg, ELBJAZZ Festival

YouTube Video

Phillip Kaeding

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