Foto-© Stephan Strache
Stefan treffe ich in seinem Kölner Wohnzimmer, dem Weltempfänger. Gemeinsam mit Fabio (Hello Piedpiper) und Maik (Maik Iser) veranstaltet er hier Konzerte und das Kölner Melodica Festival. Immer wenn ich dort bin, komme ich nach Hause, an einen Ort, den ich mit schöner, ruhiger Musik verbinde.
Erst einmal vielen lieben Dank, dass Du Dir heute die Zeit für unser Interview genommen hast, Stefan.
Gerne. Ich danke Dir und Euch, dass das passt.
Ich durfte bereits deine ganze Platte hören.
Erst einmal: herzlichen Glückwunsch! the old news shrug gefällt mir unheimlich gut.
Hast Du selbst einen Lieblingssong auf der Platte?
Ja, der Opener Pools ist schon ein ganz besonders Stück für mich. Er liegt mir am meisten am Herzen, weil es der Punkt war, an dem ich merkte, ich mache wieder ein Album. Als der Song sich herauskristallisiert hat, habe ich gemerkt, er verdient es auf einer Platte zu sein. So, jetzt gebe ich mir Mühe und schreibe ein ganzes Album. Das hat das so ein bisschen losgetreten. Und dadurch, dass Pools das so ausgelöst hat, ist er immer noch mein Lieblingssong.
Ich habe im Pressetext zur Platte gelesen, dass Du mehr denn je alle kreativen Entscheidungen alleine getroffen hast. Wie war das?
Ich empfand es sehr angenehm. Wenn ich eine Idee hatte, konnte ich diese bis zum Ende durchziehen und musste das nicht mit vier Leuten absprechen, die dann eine andere Meinung haben und dann einen Kompromiss suchen, der allen gefällt oder halt abstimmen. Ich bin von einer demokratischen Band hinein in eine kleine musikalische Diktatur gerutscht, in der ich der Diktator war. Und das hat mir sehr gut gefallen.
Magst Du uns mal mitnehmen beim Songschreibeprozess? Hast Du alles komplett alleine gemacht.?
Geschrieben habe ich alles alleine. Aber arrangiert und wie es dann am Ende auf der Platte zu hören ist, dass kann ich nicht alleine. Da habe ich immer schon Leute für gebraucht.
Ich habe eine Songidee, trage die eine Weile lang mit mir herum, tüftle sie aus, überlege, welcher Part kommt wo und schreibe einen Text dazu und dann habe ich einen Song, wie ich ihn mir vorstelle. Dann fange ich an, ihn aufzunehmen. Nehme Gitarre und Gesang auf. Dann nehme ich noch ein paar andere Sachen auf. Das kann dann sein, dass ich mich ans Keyboard setze und verschiedene Melodien einspiele und eine Harmonie erstelle. Dann nehme ich die Sachen auf, die mir im Kopf sind. Ob das so etwas rhythmisches ist, manchmal kann es sein, dass es nur eine Bassdrum ist, wo ich so einen Groove habe. Da habe ich mein Mikro genommen und aufs Knie gehauen, um so eine Bassline hinzubekommen. Und das mache ich so lange bis ich das Gefühl habe, ich habe eine Idee, wo ich will, dass der Song da hin geht. Dann klingt das aber nach einem Demo. Ich habe das alles dann in meinem Wohnzimmer aufgenommen. So klingt es dann aber auch.
So hatte ich dann drei oder vier Songs. Pools war einer davon. Aber der war dann auch mit der kleinen Golden Circle Gitarre aufgenommen und klang auch so. Wenn ich hieraus aber irgendetwas machen will, was ich veröffentlichen möchte, dann muss ich etwas daraus machen. Wenn ich das veröffentlichen möchte, möchte ich nicht, dass das so klingt. Deshalb habe ich dann verschiedene Freunde, mit denen ich immer gerne Musik gemacht habe angeschrieben oder angerufen. Und ein Freund hat mir dann z.B. bei Pools geholfen. Ich meine, ich finde den Song total cool, aber die Gitarre nervt mich komplett. Ich weiss aber nicht genau, was ich machen soll. Also schmeiß sie doch mal raus und spiel mal Klavier dazu und schau, wie es dann klingt. Dann kam dieser Song als Klaviersong zurück und alles passte. Das ist der Weg. Ich habe dann natürlich nicht bei allen Songs die Gitarre gegen das Klavier ausgetauscht. Aber bei drei Songs ist keine Gitarre übriggeblieben, ist nur das Klavier übriggeblieben. Bei anderen Songs ist auch das Klavier oder andere Instrumente dazugenommen. Irgendwann hatte ich dann genug Songs und ich dachte, ich brauche, jemanden, der mit mir die Platte macht, einen Produzenten. Wobei Produzent ja alles sein kann. Ich brauche einen Partner, der mit mir zusammen auf die Songs schaut und sie fertigmacht bis sie fertig sind. Und da ist mir niemand besseres eingefallen als Harmen (Town Of Saints). Was einfach logisch ist: er war die letzten anderthalb Jahre Teil der Honig Band, ist Teil von Tour of Tours. Er weiss, wie ich ticke und ich weiss ganz genau, wie gut er darin ist, einen Song zu sehen und zu schauen, was ihm fehlt. Er hat ein Studio, kann Bass selber einspielen, kann Gitarre selber einspielen. Man muss nicht tausend Leute dazuholen. Mit ihm kann man eine Platte machen. Ich habe ihn gefragt und er hatte Bock. Und dann kam die Pandemie, Harmen hatte nicht viele Jobs und ich hatte Corona Fördergelder bekommen. Damit konnte ich ihn ordentlich bezahlen. So konnte ich ihm in dieser Zeit einen Job besorgen. Das passte super für uns beide. Ich bin dann fünf, sechs Mal für vier Tage-Blöcke nach Groningen gefahren und wir haben uns viel hin- und hergeschickt, bis die Platte fertig war.
Und dadurch, dass ich Harmen bezahlt habe, blieb ich immer noch der Diktatur und Harmen behielt eine Arbeitshaltung dazu. Das Coole ist, dass es ihm trotzdem sehr gefallen hat und er auch spürbar mit Herz dabei war. Und wir zusammen dann eine meiner Meinung nach echt schöne Platte gemacht haben.
Wenn Du eine Songidee hast ist das dann eher eine Melodie oder Lyrik?
Ich fange nie mit Text an. Meistens setze ich mich an die Gitarre oder auch mal ans Klavier. Da ist z.B. ein Song drauf, der etwas mehr abgeht. Der Song heißt Higher Goals To Shoot For. Den habe ich auf Isas (Isabel Honig, Stefans Frau) Klavier gespielt. Da habe ich mich abends einfach mal hingesetzt. Die Kinder haben früh geschlafen, da habe ich mir gesagt: „So, heute schreibe ich einen Song auf einen anderen Instrument“. Ich habe angefangen ein paar Akkorde zu legen und aufzunehmen. Dann immer Schritt für Schritt. Dann habe ich Gesang dazu gemacht und irgendwann war es ein fertiger Song der anfangs keine Gitarre hatte. Harmen hat dann irgendwann aber doch noch eine E-Gitarre draufgespielt.
Bei mir kommt das immer so: ich mache etwas mit einem Instrument und darauf reagiert meine Stimme. D.h. ich spiele was und wenn ich das Gefühl habe, es ist schön, dann kann ich so darüber singen oder es ist eine Melodie, die ich mag, dann setze ich da an und schaue, wo es hinführt. Manchmal führt es auch nirgendwo hin, dann höre ich auch wieder auf. Aber wenn ich das Gefühl habe, es geht weiter, dann baue ich es zu einem Song aus. Aber es ist immer erst die Melodie.
Hat für Dich deine Platte etwas von einer Corona-Platte, weil sie größtenteils während der Pandemie entstanden ist?
Für mich persönlich fühlt sie sich nicht so wirklich danach an. Aber es sind natürlich Songs dabei, wo ich in den Texten genau sehe, zu welcher Situation sie entstanden. Ich habe gerade auch sehr viel in dieser Anfangs-Lockdown-Zeit geschrieben, in der man nicht wusste, wo das alles hinführt. Das steckt schon darin. Aber irgendwann hat es dann auch diesen Schrecken verloren und es war eher nervig, wie sehr es einen behindert hat. Die ersten Male nach Groningen zu Harmen zu fahren durfte ich eigentlich gar nicht weil Reisestopp war. Aber ich wollte halt das Album weitermachen, also bin ich irgendwo durch die Dörfer in die Niederlande.
Es ist mit Sicherheit eine Platte, die sehr von der Zeit beeinflusst war. Weil ich nicht weiß, ob ich mich, wenn ich nicht so viel Zeit gehabt hätte und alles so runtergefahren wäre, mich überhaupt wieder so intensiv mit Musik beschäftigt hätte. Das Ende von Honig und die letzte Tour of Tours waren noch nicht lange vorbei. Das waren gerade drei Wochen nach der Tour of Tours. Das letzte Honig Konzert war drei Monate vorher. Es stand nicht auf dem Plan, dass ich wieder Musik mache. Ich wollte eigentlich Abstand davon nehmen und schauen, was es sonst noch so gibt in meinem Leben. Aber dann kam alles anders. Ohne die Pandemie wäre das Album wahrscheinlich nicht entstanden. Weil ich auch nicht die Kohle durch die Fördermittel bekommen hätte. Deswegen habe ich auch bereits gesagt, wenn ich ein zweites Accidental Bird Album machen soll, weiss ich gar nicht, wie das gehen soll. Dann müsste schon rein logistisch eine zweite Pandemie kommen.
Und wie kam es dann zu dem Bandnamen?
Der hat mich dann auch so gefunden. Ich war mir ganz sicher, dass es nicht mehr Honig war. Was mich bei Honig immer gestört hat war, dass er schnell nicht mehr passte. Ich habe einfach meinen Nachnamen genommen, als ich erste Solosachen parallel zu meiner ganz alten Band gemacht habe. Dann ist da aber eine Band daraus gewachsen, die eine feste Besetzung hatte und dann aber so hieß wie ich. Außerdem hat mich gestört, dass wir einen deutschen Namen haben aber Englisch singen. Vielleicht muss man das nicht überbewerten: Element of Crime haben einen englischen Namen und singen auf Deutsch und es funktioniert. Mich hat es aber genervt. So war für mich auf jeden Fall klar, ich brauche einen Cut. Auch für mein Gefühl muss es neu sein.
Aber ich kann mir super schlecht so Namen ausdenken, weil es sich of so künstlich anfühlt. Ich weiss, Namen sind fast egal. Du kannst Dich auch Coldplay nennen, was überhaupt keinen Sinn macht und irgendwann fragt niemand mehr. Aber ich habe halt Schwierigkeiten das erst einmal einfach so zu machen und auf einen Namen zu kommen, bei dem ich sage, dass ist gut. Also habe ich erst einmal nicht groß drüber nachgedacht und dachte, wenn mich etwas findet, ist das so.
Meine Tochter hat zu dieser Zeit meiner Mama, ihrer Oma, immer WhatsApp Nachrichten geschickt. „Kann ich der Oma wieder eine Nachricht schicken?“ Dann habe ich ihr WhatsApp aufgemacht und dann hat sie ihr Tiersymbole geschickt. So eine riesen Liste voll. Dadurch sind dann immer Tiersymbole in meine „meist benutzten Emojis“ reingerutscht. Irgendwann habe ich dann Harmen, er hatte mich irgendetwas zu einem neuen Song, an dem wir gearbeitet haben gefragt, geantwortet und ich wollte so einen „Daumen hoch“ zurückschicken, gute Idee, und habe dann einen Vogelkopf geschickt. Und habe dann geschrieben: „Ups, accidental bird.“. Darauf schrieb Harmen zurück „cooler Bandname“. Ich habe dann kurz drüber nachgedacht, aber es erst einmal wieder vergessen. Bestimmt zwei Monate später, meine Tochter fand das immer noch cool, ist mir das wieder passiert. Dieses mal bei meiner Frau. Und ich schrieb „Ups, accidental bird“. Dabei dachte ich mir, dass ist doch schon einmal passiert. Auch Isa schrieb zurück „cooler Bandname“. Dann habe ich „accidental bird“ gegoogelt. Ich fand heraus, dass es ein Begriff aus der Biologie ist. Es ist ein Begriff für Vögel, die sich außerhalb ihres natürlichen Lebensraum angesiedelt haben. Ich musste daran denken, dass ich jeden Morgen durch den Grüngürtel radle mit jeder Menge Vögel, die sich außerhalb des Lebensraum angesiedelt haben. Oh wow. Abstrakter passt es auch auf mich. Ich bin ein Autodidakt und denke immer, ich kann gar keine Musik machen, bis ich wieder ein Album gemacht habe. Und ich denke auch immer, dass der Song, den ich geschrieben habe, der letzte ist, der rauskommt. Ich hatte mit Sicherheit schon zwei, drei Phasen in meinem Leben, wo ich sicher war, dass ich nie wieder einen Song schreiben werde. Für mich passt das eigentlich auch ganz gut: ich bin auch so ein Vogel, der sich in der Musikwelt eingenistet hat, obwohl er sich da gar nicht so richtig fühlt. Ich kann kein Instrument so richtig gut, ich kann keine Noten lesen und ich kann halt ein paar Songs schreiben. Das führt dazu, dass ich mich manchmal ein bisschen fehl am Platz fühle, wenn sich dann Leute, die es wirklich so richtig drauf haben über Sachen unterhalten, dass ich denke, ich bin ja gar nicht in dem selben Business unterwegs. So habe ich dann gedacht, der Namen hat mich jetzt gefunden. Ich suche nun nicht mehr weiter.
Ich finde, dass der Name auch wunderbar zu Platte passt, wirkt diese doch ein wenig, wie die Beobachtung des Weltgeschehens aus der Distanz der Vogelperspektive.
Stimmt, dass passt ganz gut.
Und ich musste an Kafka denken. Ich wäre halt lieber ein Vogel als ein Käfer.
Das hat auch bestimmt etwas. Das erste Lyrik Video zu Only Empire geht ja auch in diese Richtung. Da bin ich nun direkt beim Artwork. Ich wollte ja gerne so viel wie möglich Selbermachen. Aber ich bin ja eigentlich auch kein Künstler in dem Sinne, dass ich Bilder male oder mit Grafikdesign etwas am Hut habe. Allerdings habe ich schon immer das Gefühl, dass ich ein sehr ausgeprägtes ästhetisches Empfinden habe. Ich kann schon sehr genau sagen, was ich schön finde und was nicht. Dann habe ich ein paar Leute gefragt, ob sie nicht Artwork für mich machen wollen. Da gibt es u.a. einen Künstler aus den USA, William Schaff. Er hat für super viele meiner Lieblingsplatten das Artwork gemacht. Ich finde die Sachen immer total gut von ihm. Er hat für Godspeed You! Black Emperor eine Grafik gemacht mit zwei Händen. Das Cover habe ich auch als T-Shirt, weil mir die Platte total viel bedeutet. Von Okkervil River hat er viele Platten gestaltet. Ich habe ihn dann einfach mal angeschrieben: „Das sind meine Songs, hier sind so zwei, drei Demos. Ich fände es total mega geil, wenn Du dafür irgendetwas machen könntest. Ich wollte mal fragen, wie dein Prozess dahinter ist und ob das überhaupt für Dich in Frage kommt.“
Daraufhin hat er eine total nette Mail zurückgeschrieben. „Wenn Du eine konkrete Vorstellung hast, was da drauf soll, dann bin ich definitiv der Falsche. Meine Arbeit ist: ich setze mich, mache die Musik an, um die es geht und schaue, was passiert. So habe ich es für alle anderen gemacht. Und danach kannst Du dann sagen, ob Du es magst, oder nicht. Und wenn Du es nicht magst, nimmst Du es nicht. Aber musst mich natürlich trotzdem bezahlen.“ Wir haben dann noch etwas hin- und hergeschrieben. Eigentlich mag ich diesen Ansatz, einfach mal hinzusetzen und zu machen und zu schauen, wo es hingeht. Aber mein Geld fürs Album war eigentlich bereits aus und so gerne ich ein Artwork von ihm hätte, brachte er mich dann durch die Art, wie er darüber gesprochen hat, dazu, es erst einmal selbst zu versuchen.
Ich habe mich dann einfach abends hingesetzt, ich fragte meine Tochter, die viel bastelt, ob sie mir ein paar Sachen leiht. Ich habe mir dann noch ein paar Sachen geholt, ein paar alte Zeitungen gesammelt und Kohlestifte gekauft und so ein paar Sachen. Dann habe ich mich zwei Nächte lang auf den Wohnzimmerboden gesetzt und diese Collage gebastelt. Es ist dann alles so zusammengekommen und dann habe ich das Artwork auch selbst gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben. Das fand ich auch besonders zufriedenstellend, dass es so geglückt ist. Es war der erste Versuch ein Cover zu machen und ich war schon so ein bisschen stolz darauf.
Ich finde auch den Prozess dazu total spannend.
William Schaff hat mich auch ein bisschen dahin gepusht. Er meinte, dass ehrlichste, was Du machen kannst, ist es einfach mal selbst zu probieren. Er hat mich sehr inspiriert. Ich hatte zwar vorher mal ein paar Ideen, aber da habe ich dann gesagt, ich mache das mal. Ich habe super viele Bilder ausgedruckt und aus Zeitungen gerissen, ein ganzes Buch voll mit Kohleskizzen bekrakelt und daraus dann das Cover gebastelt.
Hast Du denn bei Grand Hotel van Cleef auch vollkommen freie Hand beim Artwork?
Das war alles fertig, bevor ich mit denen den Deal gemacht habe. Ich hatte die Platte komplett fertig gemacht, bis aufs Mastern. Als das Album fertig war, habe ich mich ums Artwork gekümmert und auch bereits die Live-Sessions gefilmt. Als alles fertig war, habe ich gedacht, ich will das nicht einfach so raushauen, dafür war es viel zu viel Arbeit.
Mit Grand Hotel habe ich lange zusammengearbeitet. Sie haben für Honig immer die Konzerte gebucht. Aber wir waren ja nicht auf dem Label. Haldern hatte sich aber ausgespielt, daher habe ich GHvC eine Mail geschrieben: „Leute, ich möchte jetzt nach einem Zuhause für meine Platte suchen. Und ich muss ehrlich gestehen, am allerliebsten würde ich das mit Euch machen. Und wenn ihr mir schon einmal sagt, dass ihr kein Interesse habt, dann kann ich suchen. Aber ich dachte, ich schreibe erst einmal Euch.“ Und da bin ich jetzt. Irgendwie hat sich das dann ergeben. Reimer meinte, er komme eh nach Köln, lass uns doch mal treffen. Dann haben wir ein wenig hin- und her-gequatscht und jetzt kommt sie am 21. April dort raus.
Und wie bist Du dann zum Albumtitel gekommen?
Das ist eine gute Frage. Er war irgendwann dann da. Die ganze Zeit während der Pandemie haben mich immer zwei Kernthemen unheimlich aufgerieben: Warum tun eigentlich immer alle Leute so, als ob sie genau wissen, was los ist. Warum ist es so schwer, zuzugeben, dass die Sache viel zu komplex ist, um eine totale Ahnung zu haben? Und warum können wir uns darüber nicht so unterhalten, dass alle davon ausgehen, dass sie noch etwas dazulernen können, anstatt immer zu behaupten, ich weiss, wie es ist und Du liegst falsch? Diese Kontraste. Schwarz-Weiß, wie sich unsere Gesellschaft so oft darstellt, aber es ist ja nie so. Es gibt immer Abstufungen. Viele hauen so krass verallgemeinerte Aussagen heraus und sind davon überzeugt so und so ist es. Ich habe da total Schwierigkeiten überhaupt mitzureden, wenn Leute so in ein Gespräch gehen.
Und die andere Sache, die dann zum Titel führte, ist diese Gleichgültigkeit, die vollkommene Abgestumpftheit gegenüber krassen News. Man ist einen Tag total erschüttert und am nächsten Tag ist es dann bereits total egal. Die Platte heisst ja the old news shrug. „Shrug“ ist ja das „Achselzucken“, die Geste, „habe ich schon gehört, ist schon durch“.
Zudem mag ich ja Doppeldeutigkeit. Ich will zwar nicht, dass es passiert, alle LeserInnen und HörerInnen können ja was dagegen tun. Aber das Problem ist ja auch bei Musik: du machst zwei Jahre eine Platte und die Gefahr ist riesengroß, dass es dann heißt: „Ah, der Honig hat schon wieder ein Album gemacht. Höre ich mir nicht an, die Folk-Scheiße.“ Das kann ja passieren. Daher ist der Titel auch mit einem Augenzwinkern zu betrachten.
Krass, ich musste jetzt direkt an die erste Single Tropical Morning News der neuen The National Platte denken.
Genau beim dem Song geht es auch um so eine Abgestumpftheit. Darum geht es z.B. auch bei Climate Change. Ich habe den Titel so gewählt, weil er so „on the nose“ ist, dass alle vielleicht mal kurz schauen. Aber im Endeffekt geht es genau darum, „Klar weiss ich, dass es den Klimawandel gibt“, aber nichts passiert. Es ist so schockierend. Dabei gibt es so viele Individuen, die Lust hätten, etwas zu tun. Warum ist Plastik nicht schon längst verboten? WTF. Warum ist es nicht vollkommen klar, dass wir aufhören müssen, diesen Scheiß zu benutzen. Wie kann es sein, dass wir dauern über irgendeinen Scheiß diskutieren. Wir ersticken alle an dem Scheiß und niemand macht etwas.
Daraus entnehme ich, dass die neue Platte auch nochmals politischer ist.
Auf jeden Fall. Ich klammere mich da nicht aus. Ich weiß das ja auch schon mein Leben lang. Für mich ist es leicht mit dem Lastenrad durch die Gegend zu fahren und nicht die ganze Zeit ein Auto zu nutzen, weil alles in Fahrrad-Distanz ist. Ich bin auch ein bequemer Mensch und ich müsste eigentlich noch viel, viel mehr machen. Mein großes Fragezeichen ist nur: wie kann es sein, dass das alles seit den 70er bekannt ist und in der Politik nicht die großen Schrauben richtig gestellt werden? Da muss man doch einfach mal sagen, beisst mal auf euren Daumen, wir müssen jetzt mal die Sachen umstellen und dann gewöhnt man sich daran. Aber bloß nicht meine Sicherheiten angreifen und ich brauche aber meine Wurst in der Plastikfolie. Sonst komme ich nicht klar. Das ist so kurzsichtig und gleichzeitig so schrecklich. Und da weiß ich auch überhaupt nicht, was ich meinen Kindern dazu erzählen soll. Es gibt ja die großartige Bücherreihe Little People – Big Dreams, bei der meistens politisch aktive Personen vorgestellt werden. Da lesen wir gerade viele Bücher von. Zum Beispiel das von Greta Thunberg. In diesem Buch steht von ihrem Großvater, der als Wissenschaftler bereits in den 70er Jahren genau das erklärte. Aber warum tut sich nichts. „Aber der isst noch ne Wurst. Ja, aber die gibt es auch noch überall zu kaufen. Du musst nicht bei jedem Überzeugungsarbeit leisten. Die meisten sind ja schon dabei. Da muss es von oben heißen, jetzt ist Schluss damit. Wir müssen damit aufhören. Und zwar gestern.“ Sich dann da hinzustellen und zu meinen „Wir machen einen guten Job.“ Das passt vorne und hinten nicht. Das Problem ist aber, dass System ist so verkorkst, dass Du nach da oben gar nicht hinkommst, ohne so viele Kompromisse zu machen. Wir tragen säckeweise Plastik raus. Das ist voll das Problem.
Das stimmt leider. Es gibt so viele Probleme. Bleiben wir bei Problemen. Gender Gap. Warum ist das Musikbuisness noch so von alte weiße Männer dominiert?
Da tut sich aber immerhin intern zumindest gerade viel. Vielleicht nicht bei Rock am Ring. Ich finde es nicht nett oder fair gegenüber von Frauen, eine Quote einzuführen. Ich finde es total gut, dass es ins Bewusstsein kommt und es ist zum Glück eine öffentliche Diskussion. Das Thema ist da und es ist tausendmal mehr da, als das wir alle täglich säckeweise Plastik raustragen. Jeder hier. Aber es geschieht nichts.
Ich sage es ganz klar: ich bin fürchterlich privilegiert aufgewachsen. Mehr „white privilege“ als ich, kann man kaum abgekommen und für mich ist es manchmal auch schwer zu raffen, was das für andere bedeutet. Das heißt aber nicht, dass ich es nicht dauernd versuche. Aber bei der Musik muss es immer noch um Qualität gehen und ich finde für mich ist es vollkommen erkennbar, dass mega viele gute und spannende weiblich gelesene Musiker vollkommen am Start sind. Eine ganz große Bandbreite gerade im amerikanischen Indie Folk und Pop Bereich. Da sind die Frauen voll am Start. Ich denke, dass zumindest das auf einen gutem Weg ist. Erledigt ist das Thema dadurch natürlich leider nicht. Aber es ist ja nicht nur das GenderDing. Alles, was man nicht mitbekommt, wenn man ein weißer, heterosexueller Mann ist, der einfach diese ganzen Konflikte, die da brodeln, nicht mitbekommt. Wenn man dann mit jemanden, der betroffen ist, ins Gespräch kommt über all die Dinge und erst einmal so merkt, was all für krasse Dinge abgehen, die man nicht merkt, weil man nicht betroffen ist. Da ist eine Menge noch zu machen, damit es allen ins Bewusstsein kommt.
Wenn wir nun nochmals aufs Album zurückkommen. Du spielst das Release Konzert mit Band. Ist das für die ganze Tour geplant?
Genau. Ich möchte auch super gerne, dass die Liveauftritte mit Band sind. Die Platte ist eine Bandplatte und es passt. Aber ich muss leider auch realistisch sehen, dass ich nicht weiss, wen es alles interessiert. Ich kann keine 5 Mann Band Tour planen ohne zu wissen, wie viele Leute zu den Konzeren kommen. Deshalb ist die Tour als Trio geplant. Martin Hannaford von Honig an Gitarre und Gesang und Daniel Siebert, ein Musiker aus Köln, der alles Mögliche, unter anderem sehr gut Klavier, spielen kann. Damit haben wir eine sehr schöne Möglichkeit gefunden, die Platte abzubilden. Wenn Bass und Schlagzeug dazukommen ist es aber nochmals eine ganz andere Nummer. Das wollte ich für die Release Party unbedingt so machen. Deshalb spielen wir die Hälfte vom Releasekonzert mit voller Band. Auf dem Orange Blossom Festival und der Show in Hamburg im Molotow spielen wir auch mit Band.
Beim Releasekonzert hast Du Tim Neuhaus und Maryaka dabei. Wie kam es dazu?
Maryaka ist mit Grand Hotel so ein bisschen verbündelt. Tim ist ja auch bei Grand Hotel. Den habe ich gefragt. Weil ich mich unheimlich freue, mal wieder mit ihm zu spielen. Tim hat in letzter Zeit so viele andere Jobs gemacht. Zwar mit Musik, aber eher so Soundtrack Geschichten. Er wollte unbedingt mal wieder spielen. Da passte es wunderbar. Es ist eine gute Gelegenheit.
Und auf der Tour eröffnet Jon Elliot.
Genau. Das ist ein ganz alter Freund von mir. Er wohnt in San Francisco. Er ist auch einer der Freunde, dem ich einen Song geschickt habe und der auf der Platte, bei einem Song mitsingt. Er ist einfach einer der wichtigsten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Sobald ich ihn sehe, bin ich ihm sehr nah. Ich habe ihn schon zweimal eine Tour hier gebucht, einfach, damit ich ihn mal wiedersehe. Ich war auch schon bei ihm. Es ist einfach eine feste Freundschaft, die auch lebt, selbst wenn wir uns nicht sehen. Ich bin total happy, dass er mitgesungen hat bei dem Song auf der Platte. Und ich bin total happy, dass er nun rüberkommt und wir gemeinsam touren. Für die Zeit dazwischen habe ich ihm noch jede Menge Solo Konzerte gebucht, damit es sich auch für ihn lohnt.
Ich bewundere das unheimlich. Ob es Melodica ist, oder die Konzerte hier im Weltempfänger: du kannst mega gut Menschen connecten.
Das ist auch ein Hobby von mir. Auch die ganze Musikveranstaltungsgeschichte. Es war ja nie Beruf von mir. Immer nur Hobby. Ich habe nie Kohle damit gemacht, obwohl ich mega viel veranstaltet habe. Da gab es schon immer diesen Melodcia Gedanken in den Shows: mir ging es darum, Leute zu connceten. Eine Basis zu bauen, wo Leute hinkommen können, wo sie sich mit anderen Blasen vernetzen können und das so eine Landschaft entsteht, wo man touren kann. Das wenn man von mir gebucht wird, klar ist, ich kann Euch diese Leute noch sagen, wo coole Konzerte gemacht werden und andere Leute sagen, ich habe da einen coolen Act, der wäre vielleicht auch noch was für Dich. Dann greift das alles schön ineinander.
Das merkt man aber dann auch selbst als Publikum. Bestes Beispiel sind eure Konzerte hier im Weltempfänger oder das Kölner Melodica. Ich kann blind hingehen und ich weiß ich habe einen schönen Tag. Ich sehe es allen an: sie sind glücklich.
Das ist aber auch, weil ich die Leute auswähle, die es aus totaler Überzeugung machen. Es muss das Paket passen: es muss gute Musik sein und die Leute müssen herzliche, nette Leute sein, die es aus eigener Motivation machen. Hier spielt keiner, der unbedingt ein Megastar werden will. Diese Leute brauchen auch einen Hafen. Kaum jemand bucht die, wenn es ein Laden ist, der nach VVK bucht. Hier kannst Du es machen, ohne ein großes Risiko einzugehen. Hier kommen die Leute trotzdem, weil sie wissen, dass es ein gutes Event wird. Natürlich greifen wir auch mal daneben. Aber das ist sehr selten.
Was war dieses Jahr bislang dein Konzerthighlight?
Ich war gar nicht so viel unterwegs. Ich habe nicht mehr so viel Zeit. Aber ich war letztens noch bei Gabriel Kahane im Stadtgarten. Ich verfolge ihn schon eine ganze Weile. Er kommt aus New York und vereint Folk und Klassik. Er hatte auch schon ganz viele meiner Helden als Gastmusiker auf seinen Platten. Er macht einfach wunderschöne Klaviermusik mit Gesang. Er hat mich total geflasht. Er hat solo gespielt, teilweise mit Klavier, teilweise mit Gitarre. Mit seinen Ansagen hat er es geschafft einen Spannungsbogen zu erzeugen. Das Konzert war musikalisch astrein und von dem, wie er mit dem Publikum interagierte und die Songs verflochten und verortet hat, war es einfach nur grandios. Das hat mich schwer beeindruckt.
Vielen lieben Dank für diese spannenden Einblicke, Stefan.
Gern geschehen. Ich freue mich, das fertige Interview zu lesen.
Accidental Bird Tour:
15.04.23 Düsseldorf, Zakk (Release Show)
21.04.23 Karlsruhe, NUN
22.04.23 Trier, Melodica Festival
09.05.23 Münster, Pension Schmidt
19.05.23 Mainz, Schon Schön
20.05.23 München, Heppel & Ettlich
21.05.23 Stuttgart ClubCANN
27.05.23 Hamburg, Molotow Skybar
28.05.23 Beverungen, Orange Blossom Special
01.07.23 Mastholte, Sommer Am See
02.07.23 Haldern, Pop Bar
04.07.23 Berlin, Monarch (mit Tim Neuhaus + Jim Bryson)
06.07.23 Köln, Weltempfänger
07.12.23 Gütersloh, GTown Music Acoustic Session