Bedroomdisco Top Alben – April

Foto-© Josh Goleman

Alles andere als ein April-Scherz – unsere Alben des Monats haben dieser Tage wieder ordentlich Potential am Tage der Jahrescharts-Abrechnung ganz vorne in der Verlosung zu sein bei den Alben des Jahres! Natürlich auch kein Wunder, wenn unsere Lieblings-Melancholiker von The National, Daughter mit einem Comeback-Album nach langer, langer Wartezeit, Fenne Lily, die Grandbrothers oder Blond in der Verlosung sind! Doch eins nach dem anderen:

1. The National – First Two Pages Of Frankenstein (VÖ: 28.04.23)

Hört man das neue, mittlerweile neunte Studio-Album der Band um Frontmann Matt Berninger und den heiß gehandelten Star-Produzenten Aaron Dessner (Taylor Swift, Ed Sheeran, Gracie Abrams) kann man kaum glauben, dass die neuen Songs aus einer Schreibblockade Berningers resultierte. Zu sehr aus einem Fluss, aber vielmehr reduziert auf die Kernkompetenzen der Band schließt First Two Pages of Frankenstein eher an das großartige 2013er Album Trouble Will Find Me an, als an die letzten beiden Werke, die teilweise arg verkopft und überladen daherkamen – und zeigt, dass die Band auch nach Jahren es noch vermag große Alben ihrer eh schon großen Discographie hinzuzufügen. Auch dank Features mit anderen Fan-Lieblingen wie Phoebe Bridgers, Sufjan Stevens oder Taylor Swift, die aber nicht so prominent wie auf I Am Easy to Find in Szene gesetzt sind. Inhaltlich kehrt Berninger hingegen wieder den großen Herzschmerz heraus: “Auf der ganzen Platte geht es darum, in den Abgrund zu blicken und sich zu fragen, wie eine Beziehung ihren Lauf hätte nehmen können”, sagt er. “In Eucalyptus geht es um ein Paar, das nach einer Trennung seine Besitztümer aufteilt – etwa: ‘Was machen wir mit dem Quellwasser, das wir geliefert bekommen, was passiert mit all den Pflanzen, was mit den Platten? Es geht um all die kleinen Dinge, über die man sich Gedanken machen muss, wenn man sich so sehr mit jemandem verbunden hat.” 

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2. Daughter – Stereo Mind Game (VÖ: 07.04.23)

Nach langen Jahren des Wartens kehrt das britische Trio Daughter dieser Tage endlich mit einem Nachfolger zum 2016er Zweitwerk Not To Disappear zurück und erinnert uns wieder daran, warum wir ihnen schon 2011 bei den ersten EPs verfallen sind. Großes Gefühlschaos in berührenden Lyrics und großen atmosphärischen Songs – das beherrscht die Band um Frontfrau Elena Tonra wie kaum eine andere Band und bleiben auch auf Stereo Mind Game ihrem Erfolgsrezept treu, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen. Umso schöner, da man zwischen den Zeilen nun auch etwas Hoffnung spürt.

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3. Fenne Lily – Big Picture (VÖ: 14.07.23)

Hierzulande etwas unter dem Radar hat sich die mittlerweile in New York lebende britische Songwriterin Fenne Lily in den letzten Jahren zu einem der größten Versprechen ihres Fachs gemausert. Schon das Debüt On Hold (2018) gehörte zu unseren Überraschungen des Jahres und nach einem klanglich etwas aufpolierterem Zweitwerk (BREACH, 2020) kehrt das neuste Werk eher wieder zu den Wurzeln der Songwriterin zurück. „This isn’t a sad album — it’s about as uplifting as my way of doing things will allow”, sagt sie. „These songs explore worry and doubt and letting go, but those themes are framed brightly.” Mit Zuversicht und ruhiger Stärke gibt jeder Track Einblick in Fennes sich ständig verändernde Sicht auf die Liebe und letztlich ihre Neudefinition – Liebe als Prozess, nicht als etwas, das man verlieren und finden kann. Und ist damit ein großartiges und fesselndes Porträt der letzten zwei Jahre von Fenne, das in dem Versuch mit Co-Produzent Brad Cook in North Carolina entstanden ist, sich selbst zu beruhigen und eine brillante Katharsis darstellt. „Writing this album was my attempt at bringing some kind of order to the disaster that was 2020. By documenting the most vulnerable parts of that time, I felt like I reclaimed some kind of autonomy.“

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4. Grandbrothers – Late Reflections (VÖ: 14.07.23)

Orte prägen nicht nur Menschen, sondern auch die Musik, die darin entsteht. So auch geschehen beim Duo Grandbrothers und ihrem neuen Album Late Reflections, dessen Geschichte schon im Jahr 2019 begann als nach einem Konzert der Dombaumeister Peter Füssenich auf den deutsch-türkischen Pianisten Erol Sarp und den Schweizer Elektroniker und Software-Entwickler Lukas Vogel zukam und die beiden fragte, ob sie nicht ein Konzert im Dom geben wollten. „Wir wussten damals natürlich nicht, ob das wirklich jemals passieren würde“, erinnert sich Sarp. Es passierte, wenn auch drei Jahre später, im Jahr 2022, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 700-jährigen Jubiläum der Einweihung des östlichen (und ältesten) Teils der Kirche. Am 26. August 2022 gaben Grandbrothers schließlich im riesigen Hauptschiff des Doms ein einzigartiges Konzert mit Stücken, die speziell für die enormen Ausmaße und die Akustik des ungewöhnlichen Ortes mit seinen 45 Metern Höhe konzipiert worden waren. „Wir hatten zunächst nur die Idee, ein oder zwei Songs speziell für das Konzert zu schreiben“, sagt Vogel. „Als der Termin dann näher rückte und wir zum ersten Mal die Akustik im Kirchenschiff testen konnten, waren wir wirklich beeindruckt. Der Ort klingt einfach riesig. Und vor allem nachts, wenn sonst niemand da ist, ist es schlicht atemberaubend. Während des Prozesses wurde uns klar, dass wir das nutzen müssen, dass wir in dieser Umgebung Musik für diesen Ort schreiben müssen.” Obwohl Late Reflections eng mit dem Konzert verbunden ist, handelt es sich nicht um ein Live-Album; die Aufnahmen für die Platte fanden in mehreren Nächten im Juli letzten Jahres statt. „Die Aufnahmen standen vor dem Konzert“, bemerkt Sarp, „aber das Konzert war der Grund dafür, dass wir diese Musik überhaupt geschrieben haben und dass dieses ganze Album schließlich zum Leben erweckt wurde.“

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5. Blond – Perlen (VÖ: 21.04.23)

BLOND – das sind Nina und Lotta Kummer sowie Johann Bonitz aus Chemnitz – sind schon seit einigen Jahren nicht mehr aus der hiesigen Indie-Szene wegzudenken! Umso mehr, da sich die drei nicht nur völlig DIY seit Jahren ihren Weg bahnen, sondern vielmehr auch, da sie seit jeher keinerlei Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um all die Missstände in unserer Gesellschaft, wie auch in der Musikindustrie geht. Umso besser, da das Ganze in den Songs von BLOND auch bei schwierigem Inhalt Spaß macht und man die Songs nicht mehr aus dem Kopf bekommen will. Auf Perlen funktionieren dabei auch vermeintliche Gegensätze – so kann man auch hübsch rosa und gleichzeitig wütend, trotzig und gleichzeitig glitzernd zum Mitgrölen und Mitheulen, zum Zweifeln und Tanzen einladen.

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Newcomer:

1. Blondshell – Blondshell (VÖ: 07.04.23)

Hier kommt die neue Lieblings-Newcomerin für Fans von Snail Mail, Soccer Mommy und Co – gestatten, Blondshell, das musikalische Alter Ego der US-Amerikanerin Sabrina Teitelbaum, die mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum für ordentlich neues Blut im amerikanischen Indie-Rock-Game sorgt! Dabei verbinden sich in der Musik von Blondshell viele Einflüsse – seien es Alt-Rock der 90er Jahre von Nirvana und Hole oder Schriften von Patti Smith, Rebecca Solnit, Rachel Cusk und Clare Sestanovich. „Ich fand es toll, wie ernst sie ihre eigenen Erfahrungen nahm”, sagt Teitelbaum über Solnits Recollections of My Nonexistence. „Sie half mir, die Dinge, die ich durchmachte, nicht zu trivialisieren.” Trotz der komplizierten, seelisch belastenden Themen – die Verarbeitung ihrer sozialen Ängste, ihre Beziehungen zu Männern und Frauen – ist das Debütalbum Teitelbaums ein Trost, und die Songs enthalten oft den perfekt abgestimmten Humor und die Leichtigkeit, die wir zum Überleben brauchen: „Es gab eine Menge Dinge, vor denen ich weggelaufen bin – vor allem Einsamkeit und Selbstwertgefühl”, sagt Teitelbaum. Dieses Album MUSS man im April gehört haben!

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2. Wednesday – Rat Saw God (VÖ: 07.04.23)

Ähnlich spannend, wenn auch etwas rauer im Sound kommt das neue Album der Band Wednesday daher. Dabei ist ein Song des Quartetts aus Asheville, North Carolina, wie ein Quilt: Eine Kurzgeschichtensammlung, eine verschwommene Erinnerung, ein Flickenteppich aus Porträts des amerikanischen Südens, der disparate Momente einfängt und als Ganzes doch irgendwie einen Sinn ergibt. Karly Hartzman, die Songschreiberin, Sängerin, Gitarristin und Leiterin des Projekts, ist eine Geschichtensammlerin als auch eine Geschichtenerzählerin: Eine aufmerksame Beobachterin von Menschen und witzigen Bemerkungen. Rat Saw God ist bildhaft, aber ebenso autobiografisch und vor allem sehr einfühlsam – und entstand unmittelbar nach der Fertigstellung des Vorgängers und Durchbruchsalbums Twin Plagues. Während dieses Album das Gefühl beschreibt, wirklich am Arsch zu sein, ein Trauma zu haben und Acid zu nehmen, erzählt das neue Wednesday-Album keine Epen, sondern das Alltägliche. Die Songs sind lebensnah, erzählen vom wahren Leben, sie sind verschwommen und chaotisch und seltsam zugleich – was Hartzmans eigenem Ethos entspricht: „Everyone’s story is worthy. Literally every life story is worth writing down, because people are so fascinating.”

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3. SYMØN – Von Tag 1 (VÖ: 14.04.23)

Als Antithese zu flachem Radio-Pop schlägt der Hamburger Newcomer SYMØN seit seiner Debüt-Single Von Tag 1 von 2021 große Wellen in der deutschen Pop-Landschaft. Sein Rezept: nordische Anmut und vielschichtig ausgeklügeltes musikalisches Detail trifft auf kunstvolle Texte – das klingt dann so wie ein Spaziergang bei Sonnenuntergang am Hamburger Hafen. Der Wind pfeift um die Ohren, es ist kalt, aber auch warm und wie die Möwen am Himmel schweifen auch die Gedanken weit übers Wasser hinaus. Beim Hören des Debütalbums Von Tag 1, das am 14. April erscheint, überschwemmt den Zuhörenden eine Welle an Sehnsucht und Melancholie. Atmosphärische Klangflächen aus akustischen und synthetischen Elementen werden verziert von warmen Streichern und vielfältigen Soundcollagen und kreieren damit ein eigenes Klanguniversum, in das die Zuhörenden eintauchen können. Der fast schon gesprochene Gesang lässt, mit persönlichen Geschichten und abstrakt-metaphorischen Texten, bewusst Raum zur Interpretation. Es ist eine emotionale Reise durch Liebe, die gedeiht und zerbricht, eigene Auseinandersetzung und Verarbeitung, depressive Gedanken, Hoffnung und Zuversicht. Dabei gelingt ihm die Gratwanderung zwischen pointierten Gedanken, die direkt ins Herz treffen, und vager Wortmalerei, die das eigene Träumen erlaubt. Der Musiker sagt: „Ich selbst liebe es, mir Platten aufzulegen und die Musik ganz bewusst von vorne bis hinten auf mich wirken zu lassen. Genau das würde ich mir auch für meine Musik wünschen, um das Album als Ganzes wahrnehmen zu können.”

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Wiederkehrer: Chiiild – Better Luck In The Next Life (VÖ: 03.03.23)

Wie war das bei Forrest Gump damals? „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, men weiß nie, was man bekommt.“ Das Zitat passt in doppelter Hinsicht auf den kanadischen Soul-Musiker Chiiild, der hierzulande vielleicht noch in die Kategorie Geheimtipp fällt, sich aber international schon mit einigen Veröffentlichungen einen Namen gemacht hat. So passt das bekannte Filmzitat sowohl zum aktuellen Titel des gerade erschienenem neuen Albums Better Luck In The Next Life, wie zur musikalischen Vielschichtigkeit des Acts, der sich in seinen Produktionen von Soul zu Jazz, zu R&B, zu zeitgenössischen Einflüssen fließend durch die Genre-Schubladen bewegt und sich nie auf einen Sound festlegen will. Das Gute daran – egal welche Versatzstücke er gerade neu zusammensetzt, immer funktionieren die Songs für sich, wie die Werke als Ganzes ausgesprochen gut. Mal fallen die Songs mehr in die Kategorie Feel-Good, mal öffnet sich eine gedankliche Tür und eröffnet eine weitere Gefühlsebene – gleichzeitig ziehen einen die Texte noch viel tiefer ins Gefühlsgeschehen des aufstrebenden Künstlers! Das neue Album von Chiiild wurde dabei von Pink Floyd und Sam Cooke inspiriert – was gleich wieder die Vielschichtigkeit des Künstlers zeigt: “‘Was ist das Wildeste, mit dem ich durchkommen kann?’ Das war die Frage, die ich für das Erstellen des Albums als Grundlage genommen habe”, erklärt der Kanadier.

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Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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