Foto-© Daniel Topete
I’m going back to him
I know my therapist’s pissed
We both know he’s a dick
At least it’s the obvious kind
(Blondshell – Sepsis)
Es fühlt sich mittlerweile an wie eine andere Ära, doch vor gerade einmal drei Jahren waren weltweite Quarantäneregelungen und Ausgangssperren im Zuge der COVID-Pandemie zugange. Die vollkommen neuartige Erfahrung, mehr oder weniger eingepfercht im eigenen Zuhause zu sein, generierte bis Ende 2021 ein kleines Subgenre, die Lockdown Albums. Es waren – neben vielen tränendrüsenmassierenden Choraktionen – vor allem einfach produzierte, auf die Bedroom-Pop-Welle springende und emotional ungefilterte Projekte, die den Nerv der Zeit trafen, zum Beispiel Charli XCX‘ How I’m Feeling Now oder Little Simz‘ Drop 6, in Deutschland AnnenMayKantereits 12.
Rückblickend ist noch etwas anderes passiert in dieser Zeit, es gibt Bands und Künstler:innen, die musikalisch in den Corona-Jahren sozialisiert wurden, Lockdown Artists. Die Beklemmungen und existenziellen Ängste des jungen Jahrzehnts wurden für manche nicht ein Kapitel, sondern waren der Prolog für die Karriere. So in etwa liest sich der Weg, den Sabrina Teitelbaum 2020 einschlug, als sie sich von ihrem früheren Künstlernamen BAUM und dem damit verbundenen soften Pop verabschiedete und Blondshell startete. Ein paar Lockdowns, Krisen und Jahre später erblickte das selbstbetitelte Corona-Kind nun das Licht der Welt. Den Schmerz war es wert. Im Interview mit Bedroomdisco sagt Sabrina Teitelbaum: „I finally figured out who I am as a musician. That is when I decided to throw everything away from before and start over.”
Mit ihrem Debütalbum etabliert sich Blondshell auf einen Schlag in der Alternative Rock Welt. Sie liefert eine sensible Mischung aus introspektiven Balladen und 90er-inspirierten Hymnen. Die neun Songs auf Blondshell sind von stark unterschiedlicher Denkwürdigkeit, doch die Highlights tragen die gebürtige New Yorkerin hoffentlich auf jede Artists to Watch Liste.
Der Opener Veronica Mars ist das wohl beste Intro des Jahres, das mit wenigen Akkorden und gerade einmal vier Zeilen („Veronica Mars, 2004, I am disturbed, Gimme shelter“) zu Beginn schon die 2000er-Nostalgie und Großspurigkeit des Rock-Arrangements einführt, die das Album prägen. Eine feinfühlige Zeichnung explodiert im Songverlauf mit einer Energie, die die nächste halbe Stunde aufrechterhalten bleibt.
Olympus, der erste Song, den Blondshell letztes Jahr veröffentlichte, ist ebenfalls ein Markenzeichen-Moment. Dem einen oder anderen wird die Inspiration vor allem durch Nirvana zu explizit sein, aber besonders Teitelbaums klassische Gesangsausbildung und transportiert das Ambiente in die aktuelle Zeit. Und auch auf Salad wird die Orientierung an den ganz Großen – neben Nirvana auch Patti Smith und The Cranberries – nicht versteckt. Mit Zeilen wie „Look what you did, You’ll make a killer of a Jewish girl” schafft sie zudem einen wunderbaren Kontrast zwischen der immer klaren, leichten Stimme und den zunehmend dunklen Texten, in denen sie von der missbräuchlichen Beziehung eines befreundeten Paares erzählt. Der Mittelteil des Albums, vervollständigt durch den nächsten Hit Sepsis, ist der Präsentierteller für die Idee von Blondshell an sich. Die Melodien sind zugänglich, die Performance wahnsinnig energetisch – all das trifft auch auf Acts wie Olivia Rodrigo zu, die hier und da ein wenig Rock wagen. Aber mit Liebe zu 80er- und 90er-Idolen und noch mehr Liebe fürs Songwriting wird daraus mehr. So begleitet Teitelbaum ihre Reflexion über den Weg zur Abstinenz auf Sober Together mit der poetischen Zeile “Part of the disease is giving up.”
Es gibt neben Sober Together wenige ruhige Momente auf der Platte, die der Dynamik gutgetan hätten. Bei 32 Minuten Laufzeit wäre durchaus noch Platz für den einen oder anderen längeren Spannungsbogen gewesen. Und in einer so dichten Song-Sammlung sind vor allem die letzten beiden Tracks, Tarmac und Dangerous, etwas antiklimaktisch.
Insgesamt aber ist Blondshell ein fantastisch von Yves Rothmann (Girlpool) produziertes Album, das sich – ob gewollt oder nicht – perfekt in das Female Rock Revival der letzten Jahre einfügt. Gleichzeitig ist vor allem auf den oben genannten Singles Sabrina Teitelbaums eigener Stil schon sehr stark herausgearbeitet. Das Label Geheimtipp wird sie nicht lange mit sich tragen.
Blondshell – Blondshell
VÖ: 7. April 2023, Partisan Records
www.blondshellmusic.com
www.facebook.com/blondshe11
Blondshell Tour:
15.05.23 Köln, Helios37
17.05.23 Berlin, Privatclub
18.05.23 Hamburg, Molotow Skybar