Foto-© Dan Medhurst
Wie klingt die nächtliche Einsamkeit im Kölner Dom – einem der berühmtesten Bauwerke der Welt? Dieser Frage haben der deutsch-türkische Pianist Erol Sarp und der Schweizer Elektroniker und Software-Entwickler Lukas Vogel auf ihrem vierten Album Late Reflections nachgespürt. Als Duo Grandbrothers stellen sie seit Jahren Musiktraditionen in Frage und erschaffen eine neoklassische Klangwelt entlang der Grenzen von Ambient, Minimal und Electronica. Late Reflections entstand aus einem Konzert im August 2022, das die Grandbrothers im Rahmen der Feierlichkeiten zum 700-jährigen Jubiläum der Einweihung des östlichen (und ältesten) Teils der Kirche gaben. Im Vorfeld bereiteten Sarp und Vogel so viel Material vor, dass daraus ein ganzes Album entstand. Allerdings nicht in Form eines Live-Albums; die Aufnahmen für die Platte fanden in mehreren Nächten im Juli letzten Jahres statt. Late Reflections ist in seiner DNA zutiefst kollaborativ. Sarp und Vogel arbeiteten einerseits mit dem Sound Engineer Francesco Donadello und dem Mixing Engineer Paul Corley zusammen. Darüber hinaus sind die Tracks eine Kollaboration zwischen den Grandbrothers und dem Dom selbst – einer Kulisse, die den Klang des Albums so tiefgreifend beeinflusst hat, wie ein Set-Design den Look eines Films prägen kann. Und wie klingt sie nun, die Dom-Einsamkeit? Ziemlich einnehmend!
Der erste der zehn Tracks, Daybreak, führt langsam ein in die Welt des Albums. Erst leise und vorsichtig entwickelt sich über fünf Minuten eine Klangwelt aus der Hauptakteurin Piano, eingebettet in aus Emotionen gebaute elektronische Klänge, hinein in den großen Raum des Doms. Dieses Gefühl, dass sich vielmehr etwas öffnet als schließt und eine Nacht eher Anfang als Ende sein kann, transportieren auch die Stücke Infinite und Bloom. Bedrohlichere Momentaufnahmen aus der Dunkelheit sind das düstere Golden Dust und das intensive Boy in the Storm. North/South verströmt in seinem einnehmenden und geradlinigen Rhythmus eine Energie des Aufbruchs. Eine Klarheit, die auch im intensiveren Vertigo transportiert wird, das noch länger nachhallt.
Und so trägt Late Reflections durch vielseitige 45 Minuten, in denen viel passiert und trotzdem genug Raum für die eigenen Emotionen gelassen wird. Es ist ein Album, das die Erhabenheit der Kulisse spiegelt, aber nicht in ehrfürchtiger Verneigung erstarrt. In einer Nacht kann man ein ganzes Leben durchdenken. Late Reflections ist der perfekte Soundtrack dafür.
Grandbrothers – Late Reflections
VÖ: 14. April 2023, City Slang
www.grandbrothersmusic.com
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Grandbrothers live:
20.05.23 Dresden, Reithalle
21.05.23 Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus
28.06.23 Bad Kissingen, Kurtheater
02.10.23 Berlin, Theater des Westens