PAUL WEBER – Interview

Foto-© Stephan Strache

Seit einiger Zeit nun beobachten wir das Schaffen des Kölner Songwriters Paul Weber, der Musik macht, an der wir uns festhalten können, der beobachtet und anprangert. So zeichnet er im Titelsong seiner aktuellen EP Von all dem nichts gewusst ein Endzeitszenario ohne dystopische Übertreibung. Nah am Abgrund, kurz vor dem Fall – da wo wir stehen: Waldbrände in Perth, Überschwemmungen in Sindh, Sturzfluten im Ahrtal. Wenn wir es nicht beenden, beendet es uns. Nur mit Gitarre und Stimme macht uns der Song eines klar: Wir können nicht mehr sagen, wir hätten von all dem nichts gewusst.

Aber auch ansonsten handeln die Songs seiner neuen EP von Geschichten, die es zu erzählen gilt. Vom Heranwachsen irgendwo zwischen dem Verfall des Wiederaufbaus, den endlosen Sommern mit Nächten länger als Tagen und der ganz großen Liebe, die so nah ist, aber doch für immer unerreichbar bleibt. Wir trafen Paul im Rahmen seiner ersten eigenen Release-Tour vor dem Heimspiel im Kölner JAKI am 31. März. Unser Interview:

Erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast, Paul.

Dank euch, dass ihr mir die Möglichkeit dazu bietet.


Dein heutiges „Heimspiel“ im Kölner JAKI ist der zweite Stopp deiner Tour. Wie war dein Konzert in Hamburg?

Es war unfassbar schön. Ich mache mir viele Gedanken über viele Dinge und wenn man die erste eigene Tour spielt dann hört man die Vorverkaufszahlen und denkt „ja klar, das ist super“ aber man kann es nicht richtig glauben, nicht richtig fassen, bis man rausgeht und die Leute wirklich sieht. Als wir dann rausgekommen sind, war es einfach super schön. Es war ein ganz, ganz toller Abend. Ein phantastischer Tourauftakt.


Mit erster Tour meinst du erste Headliner Tour? Ich wollte das anfangs gar nicht glauben, bist du doch bereits lange und viel unterwegs.

Ja, genau. Wir haben, vor allem auch vor Corona super viel gespielt. Wir haben gefühlt in jeder Dorfkneipe mal gespielt. Aber nie eine wirkliche Tour. Diesmal fahren wir explizit in Clubs und spielen dort.


Gibt es perspektivisch einen Lieblingsclub, in dem du gerne einmal spielen magst?

Ich muss sagen, außerhalb von Köln kenne ich nur ein paar Sachen. Klar, Knust und Übel & Gefährlich in Hamburg wären toll, Columbia Theater in Berlin wäre toll. Oder in Köln: Gloria. Aber das ist noch ein Weg dorthin. Aber wenn ich irgendwann einmal im Gloria eine eigenen Show spielen kann, dass wäre schon ein Traum. Es ist ein unfassbar schöner Laden. Sowohl wenn man auf der Bühne steht als auch für’s Publikum. Wenn ich da Konzerte gesehen habe, war es immer schön. Einfach wie es gebaut ist, das ist einfach unfassbar. Der Sound ist super. Es ist einfach alles toll.


Mit der Verschiebung deines Berlin-Konzertes bist du sehr offensiv umgegangen und hast kommuniziert, dass es aufgrund geriner VVK-Zahlen verlegt wurde. Das finde ich mutig wie gut.

Ich bin ein Freund davon, geradeaus zu kommunizieren. Ich glaube in den letzten anderthalb Jahren, jetzt wo es wieder los ging mit den Konzerten, wo alle gedacht haben, es ist alles wieder normal, war ja ganz viel ganz schwer und ist auch immer noch nicht leicht. Es wird so viel immer so schön geredet mit Krankheitsausfall oder sonstwas aber alle Beteiligten wissen, es wurden keine Tickets verkauft. Warum soll ich mich dafür schämen? Man muss einfach weitermachen und schauen. Jetzt spielen wir am 22.5. in Berlin und es schaut auf jeden Fall besser aus. Und wir arbeiten daran, dass diesmal mehr Leute kommen wollen.


Hochachtung, dass du das so kommunizierst. Das ist immer noch nicht normal. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie unangenehm eine solche Situation ist. Es erscheint mir schwer dies zu abstrahieren und nicht persönlich zu nehmen.

Ich arbeite jetzt auch schon einen Moment lang mit der Musik und es gibt und gab immer ein Team um mich herum. Es haben jetzt nie 15 Majorlabels bei mir geklingelt oder sonstwer. Es war ab einem bestimmten Punkt also klar, dass wir das machen. Ich mache das so lange, bis es läuft. Weil ich das mache, was ich machen will. Es ist jetzt auch so schön, wieder Konzerte zu spielen. Weil man dann dieses Feedback bekommt. Leute kommen und singen deine Songs mit. Das vergisst man halt, wenn man immer zu Hause hockt und sieht, wir verkaufen nichts, irgendetwas läuft nicht, eine Playlist funktioniert nicht. Da sind auch komplett viele rationale Dinge, die da reinspielen. Davon versuche ich mich zu lösen.


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Deine Tour spielst du mit Band. Schreibst du deine Songs alleine? Oder ist die Band immer mit dabei? Probt und arrangiert ihr gemeinsam?

Das ist unterschiedlich. Die letzten Platten haben wir größtenteils gemeinsam gemacht. Ich habe Ideen mitgebracht oder Songs auf der Akkustikgitarre und wir haben das dann gemeinsam arrangiert.
 Mittlerweile sind wir ein bisschen verteilt über die ganze Nation. Ich wohne in Berlin. Ich schreibe auch Sachen da oder auch mit anderen Leuten dort. So ist es mittlerweile ein bunter Mix. Aber die Band ist ein ganz wichtiger Bestandteil auch des Sounds im Allgemeinen.


Und wie können wir uns das vorstellen? Du hast zuerst eine Idee? Was hast du zuerst? Melodie oder Lyrik?

Es ist ganz unterschiedlich. Ich habe mittlerweile festgestellt, ich bin ein Phasenschreiber. Ich bin nicht der Typ, der jeden Tag im Studio sitzt und sagt „jetzt, heute der nächste Song“, sondern ich habe so Phasen, in denen ich viel aufsauge an Themen. Da sammel ich Sätze und musikalische Ideen, die mich inspirieren. Dann kommt man so durch den Tunnel heraus und merkt, wie sich Sachen ergeben und sich Sachen dann zusammenfügen. Das ist eigentlich mein Prozess, dass es immer Phasen gibt, wo Leerlauf ist und man sich berieseln lässt und dann entstehen daraus Sachen.
Aber es gibt natürlich auch Songs, die einfach so da sind, weil sie eine Dringlichkeit haben. Da sitzt man dann in der Küche, die Gitarre in der Hand und auf einmal – zack – ist einfach der Song da.


Wann merkst du, dass ein Song „rund“ ist? Sprichst du dich mit deiner Band ab?

Wir besprechen das natürlich in der Band. Und wir besprechen es auch mit dem Produzenten. Die letzte Platte habe ich ja mit Dennis Borger (Anmerkung: u.a. Produzent von Betterov, Razz und Fibel) gemacht. Wir haben einfach Demos gesammelt, Songideen ihm und der Band gezeigt. Dabei ist dann natürlich auch wichtig, dass dabei ein Echo kommt, dass man merkt, das finden auch mehr Leute als nur ich gut. Aber ich nehme keine Songs auf, die ich nicht selber zu 100% fühle.


Wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit mit Dennis Borger? Wie bist du auf ihn gestossen?

Ich kenne Dennis schon eine ganze Weile. Wir haben schon für die letzte Platte Alles am Arsch zwei Songs gemeinsam geschrieben. Musikalisch kommen wir aus einer ähnlichen Ecke und da passt ganz viel zusammen. Weil wir uns bereits vorher kannten, war der Dienstweg ein sehr kurzer. Daraus ist das dann entstanden und es war ein sehr, sehr schöner Prozess.


Deine erste EP In Between war noch in Englisch. Wie kam es dann dazu, dass du nun komplett auf Deutsch textest?

Es ist ein langer Weg. Es gab mal englischsprachige Musik von mir. Die ist für mich gar nicht mehr präsent. Es gibt sie bei Spotify noch zu hören. Das Thema ist aber für mich schon vorbei. Allerdings wollte ich nicht so einen Majormove machen und alles platt machen: neues Projekt, neuer Name und dann fangen wir nochmal bei null an. So können die Leute noch hören, wo ich herkomme. 

Aber für mich existiert dieses Projekt nur deutschsprachig. Seit der Ein neuer Tag EP, die wir gemacht haben. Da hört man die Anfänge. Es ist zwar auch noch viel, was ich heute anders gemacht hätte, aber da ging es los. Und so richtig zu Hause fühle ich mich seit der Alles im Arsch EP. Und jetzt die Neue, da merke ich, ich komme so langsam da an, wo ich hinmöchte.


Das ist total spannend. KünstlerInnen, die auf Deutsch singen, machen sich nochmals nahbarer und angreifbarer. Es wird intimer. Sie können sich nicht so hinter Floskeln wie im Englischen verstecken.

Absolut. Als ich mich dafür entschieden habe, auf Deutsch zu singen wusste ich, da geht jetzt ein ganz anderes Fass auf. Da hatte ich dann auch immer den Anspruch, dass meine Texte etwas zu sagen haben.
 Zu der Zeit als ich noch englischsprachige Musik machte kam irgendwann einmal ein Kollege zu mir und meinte: „Paul, Du hast doch was zu sagen. Du bist doch ein politischer Mensch. Wenn man dich so erlebt, spiegelt sich das nicht in deinen englischen Texten wieder.“ Das hat mich natürlich erst einmal geärgert. Irgendwann habe ich dann aber verstanden, dass ich es zumindest mal auf Deutsch probieren sollte. Es hat sich dann relativ schnell auch gut angefühlt und ich bin nun sehr, sehr glücklich, dass ich diese Musik mache. Das hat für mich alles so etwas sehr bodenständiges. Mein Name ist Paul Weber, so heiße ich halt und ich mache Musik und ich mache Gitarrenmusik schon immer, egal ob das jetzt heute Hype ist, morgen Hype ist und übermorgen überhaupt nichts ist. Das, was da erzählt wird, bin ich und es sind Themen, die mich aktuell beschäftigen.


Mit deiner Single 110km/h hast du den Unfall im Auto deines Vaters verarbeitet. Ist es primär dein Leben, den du als Stoff für deine Lieder nutzst?

Voll. Mittlerweile wohne ich in Berlin. Vorher in Köln. Ich habe generell das Gefühl, wenn man in einer großen Stadt wohnt, brauche ich mich nur an eine Ecke zu setzten und habe so viel Leben, so viele Geschichten, die vor einem passieren. Meine Lieder sind dann ein Mix aus solchen Beobachtungen und selbst Erlebtem.
Bei 110km/h ist es auch Verarbeitung. Wenn man am Steuer einmal eingeschlafen ist – ich wünsche es niemanden – das ist gar kein schönes Gefühl und ich habe einen Moment dafür gebraucht, um es sacken zu lassen. Aber dann war auch schon klar für mich, dass es thematisch irgendwann einmal seinen Weg in meine Musik finden wird.


Wie lange lebst du schon in Berlin?

Ich bin seit Ende 2019 dagewesen und habe mir alles mal so angeschaut. Aber so richtig erst zu Corona – so Mitte 2020.. Es ist auf jeden Fall spannend, wenn man aus seinem Heimatort, wo man alles kennt und so vieles erlebt hat, in so eine Stadt zieht. Es ist spannend und aufregend.


Wobei dann ja noch spannender ist, dass du, obwohl Du nicht mehr hier lebst, mit Linie 12 eine Hymne an Köln geschrieben hast.

Ich komme, glaube ich, manchmal so wahnsinnig lokalpatriotisch rüber. Ich glaube, Leute, die nicht aus Köln kommen, denken machmal, ich habe den Geissbock auf die Brust tattowiert. Ganz so schlimm ist es aber zum Glück nicht. Ich verbinde einfach viele Geschichten mit Köln. Wenn man dann weg geht und es dort auch mal nicht so schön ist, erinnert man sich umso lieber an diese Zeit. Gerade während Corona habe ich mich oft an schöne Zeiten und Sachen in Köln erinnert. Und auch jedes Mal wenn ich hier hin zurück komme und mit dem Zug über den Rhein fahre. Das ist einfach wunderschön. Ich habe das Gefühl, seitdem ich nicht mehr hier wohne, ist es eigentlich mehr geworden, dass ich über die Heimat und die hier erlebten Sachen schreibe.


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Zumal es zu Corona sicherlich nochmals schwieriger ist, in einer neuen Stadt anzukommen.
 

Sicherlich. Wobei Berlin generell riesig ist und man sich schnell verliert. Man braucht 100 Jahre überall hin. Es ist Überforderung für alle Sinne. Es ist eine wahnsinnig laute Stadt. Berlin hat natürlich seine Qualitäten und ich kann ganz viele tolle Sachen erleben.
 Aber ich merke schon, wenn ich wieder hier bin, ist es anders. Köln ist ja auch keine ruhige Stadt. Hier ist auch viel Leben. Aber es ist auf einem anderen Level. Man kann sich dem nochmal anders entziehen. Das schätze ich sehr an Köln.


Wenn Du die Musikszenen vergleichst: wo findest du mehr Einfluss?

Berlin ist natürlich ein Mekka was Musik angeht und kulturell wahrscheinlich auch. Da findet man schon viele Leute. Aber es verliert sich halt auch viel. Es ist alles ungebundener. In Köln habe ich immer das Gefühl, die Leute, die man hier kennt, die kennt man halt auch wirklich. Man verfolgt sich auch gegenseitig. So hat man einerseits in Köln das sehr verbundene und vielleicht auch ein bisschen kleinere. In Berlin hat man halt so den großen Pott, in den man überall mal reinschauen und rausschöpfen kann aber man hat auch selten so eine Beständigkeit.
 


Hast du in beiden Städten einen Tipp, was es musikalisch zu entdecken gibt?

Auch wenn ich gerade gar nicht weiß, ob sie aus Köln kommen, so ist Blumengarten in Köln gerade in aller Munde. Finde ich ganz toll und finden – zu recht – ganz viele andere Leute auch ganz toll.
Ich höre auch ganz bunt. In Berlin kann ich Anoki – eher aus der Rap-Ecke – sehr empfehlen. Muss man sich auf jeden Fall mal anhören. Trille, der ist mehr so in Richtung Pop. Trille ist eigentlich ein Chamäleon, der kann ganz viele verschiedene Dinge verbinden.
 Ich könnte euch jetzt aber noch ganz viele andere Projekte nennen. Das ist gefühlt eine neverending Story.
 Aber die drei machen tolle Sachen. Da lohnt es sich auf jeden Fall mal reinzuhören.


Wie lange machst du bereits eigene Musik?

2017 ist In Between erschienen. Ich hatte vorher auch schon eine Band. Eigene Musik mache ich seitdem ich 16 bin. Da habe ich angefangen Gitarre zu spielen. Ich habe das Gefühl, Songs, die ich jetzt noch höre, mache ich seit drei, vier Jahren. Seitdem bin ich angekommen, Musik zu machen, die ich jetzt auch noch viel höre. Das da Songs entstehen, die mir auch noch in drei, vier Jahren gefallen könnten. Aber es ist ja immer ein Prozess. Man entwickelt sich immer weiter. Wer weiss, was ich in fünf Jahren über meine heutigen Lieder denke?


Es gibt ein paar Bands, die ein oder zwei Hits haben, die sie dann gefühlt ihre komplette Musikkarierre spielen müssen oder dürfen. Ich weiss nie, ob so etwas mehr Fluch oder Segen ist.

Ich kann es nicht beurteilen, weil ich es nicht kenne. Ich glaube aber, man darf sehr dankbar und glücklich sein, wenn man die Möglichkeit hat durch Faktoren, die man selbst nicht wirklich beeinflussen kann, in aller Munde zu sein.


Dann hoffen wir doch, dass es dir gelingt.

Ja, dass wäre schon ganz schön.
 Ich freue mich nun aber erst einmal auf den Abend. Heute wird es richtig voll. Das wird bestimmt gut.


Wie schön. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und mit mir über deine Musik gesprochen hast.

Vielen Dank Dir.


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Stephan Strache

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