Foto-© Rahim Fortune
Oh that feeling
Bloodshot eyes staring at the ceiling
Thinking ‘bout those things
I said I was to you
(Durand Jones – That Feeling)
Wenn von „Retro-“, „Neo-“ oder einem „-Revival“ die Rede ist, dann ist immer ein wenig Skepsis angebracht. So verkünstelt, so progressiv. Durand Jones & The Indications wurden in den vergangenen Jahren mit so vielen Prä- und Suffixen beworfen, man könnte meinen, sie würden die experimentellste und ungreifbarste Musik unserer Zeit machen. Das Gegenteil ist der Fall: Die in Indiana gegründete Band spielt unprätentiösen, ergreifenden Soul, mit Virtuosität und handwerklichem Geschick. Sänger Durand Jones hat nun sein erstes Soloalbum herausgebracht, eine persönliche Reise in die eigene Vergangenheit. Er setzt dabei andere Akzente als in Zusammenarbeit mit seiner Band, doch die Liebe zur Musik des 20. Jahrhunderts bleibt dieselbe.
Auffällig ist direkt, welche Stile Jones verarbeitet. Deutlich stärker als auf den Indications Platten sind Rock’n’Roll und Americana zu hören, der R&B-Groove tritt mehr in den Hintergrund. Und Jones wird auf Wait Til I Get Over noch persönlicher, schürft emotional tiefer als je zuvor.
So ist schon das als Ouvertüre angelegte Gerri Marie besonders schmachtend, ausladend und einladend in das Louisiana von Jones: „Wondering why’d I leave, Old New Orleans, oh, The place that’s made of dreams.“ Der Nostalgie-Faktor wirkt auch im Mix mit, der ab und zu an einen etwas ausgereizten Plattenspieler erinnert.
Auf der inhaltlichen Seite wird das Album in zwei Interludes narrativ begleitet. Im ersten, zu Beginn, erzählt Jones von den Beweggründen hinter dem Album, seiner Heimatstadt Hillaryville– oder, wie seine Großmutter sagte: „The place you‘d most want to live.“ Anhand dieser winzigen Gemeinde am Mississipi River, von ehemaligen Sklavinnen und Sklaven im 19. Jahrhundert gegründet, singt Jones von den Südstaaten: von aufgeladener Geschichte, grünem Zuckerrohr, von zwiespältigen Beziehungen zum eigenen Glauben.
Letztere kommen auf leichte Art in Lord Have Mercy ins Spiel, einem klassischen Rock’n’Roll Track mit rohem Vibe. Neben Jones‘ Stimme spielen verzerrte und übersteuerte Gitarren die Hauptrolle – das zieht sich durch das ganze Album. Gritty, diese Ästhetik lässt sich schwer übersetzen. Wenn man sich erst einmal an diesen leicht übersteuerten und knarzenden Sound gewöhnt hat, gibt er ein passend schmutziges Gegenstück zum sanften Soul des Albums ab.
Auch Sadie ist bis auf dieses Detail klassisch gehalten und in seiner Einfachheit ein einfühlsamer und einprägsamer Moment der Platte. Die hervorragenden Gitarrensoli kommen so sehr gut zur Geltung. Und auch die episodenhafte Erzählung beginnt sich langsam zu entfalten, es ist ein Album, dessen Zusammenhänge sich erst nach und nach, und eben auch nicht unerheblich durch erklärende Interludes und Jones‘ kleine Easter Eggs erschließen. Den gospelhaften Titeltrack Wait Til I Get Over zum Beispiel hat der Sänger mit seiner eigenen, vervielfältigten Stimme im Chor eingesungen.
Die Ballade That Feeling klingt zunächst wie eine Fortführung des bisher gehörten: Einfach gehaltener, gefühlvoller Text über queere Liebe in den Südstaaten, Streicher und natürlich die übersteuerten Gitarren. Jones aber spielt im Verlauf geschickt mit seinen eigenen Themen, nimmt das Tempo raus, nur um dann zum Schluss allen orchestralen Pomp aufzufahren, den er zu bieten hat. Eine tolle Synthese.
Bei aller inhaltlichen Konsistenz kommen die musikalischen Experimente, zu denen Jones in der Lage ist, etwas zu kurz. Die wirklich genialen Momente finden sich beispielsweise auf dem Donna Hathaway Cover Someday We’ll All Be Free: Ballade in Dur, alles geradeaus, alles ein wenig eintönig, und dann bricht der Beat weg, und Rapper Skypp kapert den Song. Der Flow, der aus dem Rock’n’Roll Instrumentarium, Jones‘ gesanglicher Grandeur und den starken Versen Skypp’s entsteht, ist ein Weckruf, etwas Besonderes, zumindest für eine Minute.
Auch Letter To My 17 Year Old Self enthält neben dem „stripped down“ Solo-Sound von Jones kleine elektronische und rhythmische Spielereien – und ja, tatsächlich kommen nach über einer halben Stunde doch noch prominent Bläser zum Einsatz. Dieser Klang ist tatsächlich irgendwie Neo, contemporary, progressive. Auf die beste Art.
Zum Abschied hören wir die Wellen des Mississippi am Ende von Secrets, einem nachdenklichen Klavierstück, das all die schönen und schaurigen Erinnerungen an diesen Ort der Vergangenheit, des Ursprungs, der Unterdrückung und der Emanzipation zusammenführt. Hier bleibt Zeit zur Reflexion, das Wasser im Outro schwappt beständig an die Ufer. Jones selbst hätte sich von dieser Ruhe teils noch etwas mehr inspirieren lassen können. Einige der Ideen und Erzählungen auf Wait Til I Get Over klingen zusammengestaucht, die Songreihenfolge lässt einen teilweise stutzig zurück. Immer wieder wird man aus Melodien und Rhythmen herausgerissen und in neue hineingeworfen, teilweise gibt es Fade-outs ohne Rücksicht auf Spannungsbögen oder Pointen.
Die zwölf Songs sind dennoch ein beeindruckendes (Selbst-) Porträt und bringen eine neue Facette des Soul-Starts ans Licht. Sie werden es sicher schaffen, bisherige Fans und Neuankömmlinge gleichermaßen zum Bleiben zu bewegen, hier im musikalischen Hillaryville.
Durand Jones – Wait Til I Get Over
VÖ: 5. Mai 2023, Dead Oceans
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