Foto-© Stephan Strache
Beim Konzert der Crucchi Gang bei der c/o pop ist es zu trubelig für ein Interview. Es findet später via Zoom statt. Anlass Fellini – das zweite Album des Projekts, das auf einer spontanen Idee von Musikmanagerin Charlotte Goltermann, Element of Crime-Sänger und Autor Sven Regener sowie Francesco Wilking (Die höchste Eisenbahn, Tele) zurückgeht. Ein gemütlicher Abend nach einem Bob-Dylan-Konzert. Die drei dachten dabei unter anderem zurück an Leander Haußmanns, Film Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken können für den Charlotte Goltermann 2007 die Musikberatung machte und bei dem James Last als Komponist fungierte. Als sich Haußmann noch einen italienischen Song wünschte, fiel ihr Wilking ein, damals der Sänger von Tele, einer Band, die nicht umsonst einen Hit namens Mario hatte. Der fand die Idee spitze – und gefühlte fünf Minuten nach der Anfrage lag der Song auf dem Tisch.
Jetzt folgt mit Fellini die zweite Runde. Sie ist eigentlich eine nahtlose Fortsetzung der ersten, denn auch Wilking und Reising fanden Gefallen an den kleinen Fluchten aus dem Alltag – und entschieden sich, ohne große Pause weiterzumachen. Als Titel wählten sie dabei den italienischsten aller Namen: Fellini verweist natürlich auf die facettenreiche Filmwelt des großen Regisseurs, der ab den 1940er-Jahren nicht nur breite Bilderbögen seines Landes zeichnete, sondern auf vielfältigste Art und Weise die Konventionen der Kunst in Frage stellte und so ein ganzes, eigenes Universum schuf.
Wie schön, dass es dann doch noch passt. Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Freitag wird ja auch die Platte releast.
Francesco: Danke euch. Ich freue mich drauf. Es ist sowieso allgemein gerade viel los.
Erst einmal persönlich herzlichen Glückwunsch zur Platte. Wir durften vorab via Stream reinhören. Sie gefällt mir sehr. Trotz der vielen Artists hat sie eine Handschrift. Sie lässt sich als Platte voll schön hören. Hast du selbst ein Lieblingslied?
Francesco: Erst einmal auch hier danke. Ich habe nicht direkt ein Lieblingslied. Vielmehr habe ich verschiedene Sachen, die ich an verschiedenen Liedern gut finde. Ich mag zum Beispiel total gerne wie Jeremias Ich mags, also Mi piace singt. Es klingt jetzt nicht 100% italienisch aber es klingt auf eine Art international romanisch. Vielleicht wie Esperanto. Und das mag ich total. So etwas gab es auf der letzten Platte bereits bei Sophie Hunger. Bei ihr hat man gemerkt, dass es eine Person ist, die in allen möglichen romanischen Sprachen zu Hause ist. So etwas mag ich total gerne. Ich mag aber immer auch den deutschen Akzent in italienischen Lieder total gerne. Ich mag bei vielen Liedern einfach die Umsetzung. Wir haben es gut geschafft, das Lied in eine andere Epoche reinzutauchen, zum Beispiel bei Temp sprecato von Antje Schomaker. Das Lied klingt wie ein Nina Song aus den 60ern. Oder ich mag bei meinem eigenen Song, den ich gesungen habe, Buonanotte amici, also Gute Nacht Freunde, die Tatsache, dass wir eine italienische Version gemacht haben, weil Reinhard May in den 70ern schon eine französische und sogar eine holländische Version gemacht hat. Da hat die italienische Version einfach noch gefehlt.
Mega gut. Mich hat am meisten überrascht, wie gut sogar Im Zweifel für den Zweifel von Tocotronic auf Italienisch funktioniert.
Francesco: Das fand ich auch total super, vor allem weil Dirk mir auch totale Freiheit gelassen hat mit den sprachlichen Bildern. Die kann man ja nicht 1:1 übersetzen. Wenn er jetzt sagt “Im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn“ dann kann man ja nicht die selben Bilder im Italienischen finden, die dann auch noch mit Z anfangen. Ich habe mich gegen dieses Z-Spielchen entschieden. Das hätte dann nicht funktioniert. Ich habe dann einfach versucht eine ähnliche Haltung, eine ähnliche Welt aufzumachen, wie er auf deutsch aufmacht, auf italienisch aufzumachen. Er war da total happy mit und hat mir die ganze Freiheit gelassen und es dann auch toll umgesetzt.
Voll toll. Wobei es auch einen guten Übersetzer ausmacht, dass es nicht wörtlich ist, aber der Vibe transportiert wird.
Francesco: Genau. Und wenn man dann auch noch, wie ich, großer Fan ist, dann ist es nochmal etwas ganz tolles, wenn man einen Song übersetzt, den man verehrt und dann kommt auch noch Dirk ins Studio und fängt an zu singen. Und dann gibt es sofort diesen Moment „Oh mein Gott. It’s Dirk von Lotzow.“
Du hast alle Lieder übersetzt?
Francesco: Genau. Ich habe alle Lieder übersetzt und habe mir dafür noch Hilfe von Lorenza, einer in Hamburg wohnenden italienischen Übersetzerin geholt. Sie hat bereits Erfahrung in Lyrikübersetzung. Es gibt ja klassische Übersetzer von Gebrauchstexen. Kunsttexte zu übersetzen ist dann ja nochmals was anderes.
Wie kam es überhaupt dazu. Bist du aktiv auf MusikerInnen zugegangen und hattest dann auch schon einen Idee und einen Songwunsch? Oder überlegt ihr das dann gemeinsam?
Francesco: Ja und nein. Eigentlich sind es wirklich die Songs, die einen anspringen. Es ist ein ganz komisches Ding. Das habe ich auch noch nicht so richtig ergründet selber. Es gibt Lieder, die mehr in der Sprache, also im Deutschen in diesem Fall, verhaftet sind. Und es gibt Lieder, wo man denkt, die könnten auch in allen anderen Sprachen eigentlich funktionieren. Ich weiß noch nicht genau, womit das zu tun hat. Gute Nacht Freunde war zum Beispiel so ein Lied, das hatte ich schon lange im Hinterkopf, das wäre geil auf italienisch zu machen. Oder Der Goldenen Reiter oder Bungalow von Bilderbuch von der letzten Platte. Da war super schnell klar, das klappt. Und dann gibt es die andere Herangehensweise: die Band oder KünstlerIn xy finde ich cool. Und dann fange ich an nach Liedern zu suchen. Dann springt mich ein Lied an und ich mache so eine Fünf-Minuten-Übersetzung. Einfach mal den Refrain probieren. Wenn das dann gleich klappt, ist das ein gutes Zeichen. Und wenn es nicht gleich klappt, dann ist es ein schlechtes Zeichen. Da kann man sich dann einen Abbrechen und es funktioniert am Ende trotzdem nicht. Man hat dann einen Refrain, der dann eine andere Phrasierung hat, die dann auch wiederum eine andere Melodie fordert und dann ist es dann auch nicht mehr das Lied. Mir ist es am wichtigsten, dass es das Lied bleibt. Wenn man jetzt zum Beispiel 99 Luftballons hat. Einfach nur als Beispiel. Dann wäre das auf Italienisch: Luftballons sind palloncine. Das wäre dann: Novanta¬nove palloncini. Haut hin. Also macht man weiter. „Fliegen übern Horizont“ – „Volano oltre l’orizzonte“. Das ist schon ein bisschen schwierig. Dann fängt man an kürzere oder längere Wörter zu suchen und wenn es dann nicht gleich funktioniert, dann lässt man es einfach. Es ist so eine Arbeit, da macht dann verschiedene Versionen. Man macht eine ganz schnelle Version sucht in verschiedenen Wörterbüchern nach Synonymen. Ich schicke dann meinen ersten Draft Lorenza und bekomme von ihr Ideen zurück: „Mach mal hier so und so.“ Aber das ist dann nicht mehr die Phrasierung oder Melodie. Wir machen dann zwei, drei Mal Pingpong und dann haben wir das Lied. Es darf auch nicht ein halbes Jahr dauern. Dann war es das falsche Lied.
Das klingt total spannend. Auch wenn du meinst, es muss das Lied bleiben. Für mich ist es bei euch beides, es hat einen anderen Vibe aber ich erkenne trotzdem das Original. Ich sehe eure Versionen losgelöst vom Cover. Ihr schafft etwas neues. Das finde ich sehr schön.
Francesco: Das finde ich auch total wichtig, dass man weit genug wegrudert. Manchmal ist dann auch zu weit. Dann erkennt man auch nicht mehr das Lied. Manchmal ist es auch zu nah dran. Gestern war ich einkaufen und dann kam im klassischen Supermarktradio eine Version von einer Sängerin von Amy Winehouse Back To Black. Aber es war eigentlich genauso. Ich dachte dann, warum muss man so etwas machen? Wenn man so ein ikonisches Lied covert, muss es ja was anderes werden. Oder es ist eine tolle Fingerübung. Manchmal finde ich es auch interessant ein Lied 1 zu 1 nachzubauen. Aber das mache ich – wenn überhaupt – für mich selber.
Gerade, weil es wie aus einem Guss klingt, stelle ich mir die Trackauswahl und -reihenfolge als interessanten wie aufwendigen Prozess vor. War es viel Arbeit?
Francesco: Nein, es war gar nicht viel Arbeit. Ich hatte ehrlich gesagt Angst, dass es viel Arbeit wird, da wir vor die Qual der Wahl gestellt werden. Allerdings sind ein paar Lieder nicht rechtzeitig fertig geworden. Final hatten wir nur diese 10 Lieder und es war schnell ziemlich klar, in welcher Reihenfolge sie gut passen.
Glück im Unglück nennt man so etwas wohl. Was ich voll toll finde: ihr habt Geschlechterparität der beteiligten KünstlerInnen.
Francesco: Das ist etwas, was man nicht nur versuchen, sondern forcieren sollte. Die Musiklandschaft ist immer noch so ungleich besetzt mit männlich und weiblich gelesenen Personen, dass alle die sagen, „es waren halt nicht genug Frauen da“, es sich viel zu einfach machen. Das ist Bullshit. Es gibt mehr Männer, die Musik machen, weil Frauen oft bereits am Eingang vom Proberaum nicht über die Schwelle gelassen werden. Genau deswegen muss man versuchen, um auch andere Frauen zu ermutigen, professionell Musik zu machen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Wenn es keine Quote gibt, muss man sich selber die Quote auflegen. Man muss auch überhaupt keine Angst haben. Ich kenne es von ganz vielen Bereichen. Zum Beispiel Festivals. Da haben VeranstalterInnen oft Angst vor weiblichen Headlinern. Ich habe das letzte Jahr dann bei Tempelhof Sound mitbekommen mit Florence And The Machine. Hinter den Kulissen wurde es als total mutige Entscheidung von den VeranstalterInnen bezeichnet. Es ist total aufgegangen. Das Publikum ist mega abgegangen, total ausgetickt. Es hätte keinen euphorischeres Publikum bei den Foo Fighters geben können. Diese Angst ist völlig unbegründet, eine Frau zur Primetime auf die Bühne zu stellen, ihr eine genauso große Plattform wie Männern zu bieten.
2019 hatte das Primavera Sound bereits unter dem Motto The New Normal ein genderequal Booking. Bei den großen deutschen Festivals scheint dies aber leider immer noch nicht so richtig angekommen zu sein.
Francesco: Zum Glück gibt es da ja auf Reaktionen darauf. Ganz extrem zum Beispiel bei Rock am Ring und Rock im Park. Die komischen, halbherzigen Entschuldigungen „Wir bemühen uns, aber es war niemand da.“ gehen nicht. Vielleicht bin ich auch in einer bequemen Situation, so ein Festival nicht zu veranstalten. Aber ich meine, man muss es einfach möglich machen. Zumindest so nah wie möglich an Gender-Equality herankommen. Und selbst, wenn sie darauf sagen, unser Festivalpublikum ist ja auch zu 80% männlich, dann kann man sich auch fragen, warum ist das denn so? Vielleicht weil auch nur Typen auf den Bühnen stehen. Wahrscheinlich würde mit einer Änderung auch das Festivalpublikum sich verändern und mehr Frauen kommen. Weil es eine ganz andere Atmosphäre wird und sich weiblich gelesene Personen einfach sicherer und wohler fühlen.
Auch wenn ich selbst natürlich als Nichtbeteiligter, einfach reden kann, so glaube ich auch, dass dies machbar ist. Zumal auf den großen Festivals seit Jahren immer die gleichen Namen die Headlinerslots unter sich verteilen. Da muss man leider schon ins Ausland zum Primavera Sound, Best Kept Secret oder Roskilde schauen, um zu sehen, wie divers und spannend auch ein riesiges Festival buchen kann.
Francesco: Ein Punkt ist auch noch, der total wichtig ist, dass das Statement und die Entscheidung auch von uns Männern kommen muss. Es ist viel stärker und effektiver, wenn ein Mann sagt, ich gehe mal zur Seite und biete Euch eine Bühne.
Total. Wobei ich generell glaube, dass uns allen weniger Ellbogenmentalität gut zu Gesicht stände. Dafür ist ja die Crucchi Gang auch ein schönes Beispiel. Mit ihr hast du eine Indie-Allstarband gegründet. Voll schön. Und es zeigt, was möglich ist, wenn man zusammenarbeitet und kein Ellbogendenken hat. Und selbst wenn es mit einem Festival nicht direkt klappt, kann man ja sein Publikum mitnehmen und offensiv damit umgehen. Kommunizieren, dass man ein genderequal Booking erreichen will und sich dementsprechend in diese Richtung bewegen möchte.
Francesco: Genau. Das man praktisch auch selber einen Schritt nach vorne macht. Das man sagt, was man gerne möchte und mit welchen Hürden man sich aktuell dabei konfrontiert sieht. Aber nicht, dass man einfach weitermacht wie immer und sich erst äußert, wenn es einen Aufschrei gibt.
Alleine, dass gerade so viel darüber geredet wird und Sichtbarkeit erreicht wird, zeigt aber, dass wir auf einem guten Weg sind.
Francesco: Es hat leider ganz allgemein etwas mit Akzeptanz in der Gesellschaft zu tun. Das kann man von Musik auch in andere Bereiche der Gesellschaft, sogar in die Politik übersetzen. Wenn Leute finden, dass Annalena Baerbok eine schrille Stimme hat, dann ist das Gleiche, wie wenn du dir im Radio einen Song einer Frau wünschst und dir am Telefon gesagt wird „Ne. Wir haben gerade eben schon ein Lied einer Frau gespielt und Frauenstimmen sind ja eher etwas unangenehm.“ Das gibt es ja. Es gibt tatsächlich bei Radios interne Abmachungen, dass nicht zu viel Musik von Frauen gespielt werden darf, weil es eine Frequenz ist, die oft eher stressig empfunden wird und die HörerInnen sollen ja nebenbei noch ihre anderen Dinge machen. Das Frauen allgemein eher als schrill und als zu stressig wahrgenommen werden, wenn sie ins Rampenlicht treten, liegt immer noch an dem patriarchalen Konsens, dass die Frau immer noch die Klappe zu halten habe und sich zurücknehmen solle. Das ist etwas total Schlimmes, was so natürlich keiner offen kommuniziert. Aber es gibt so ein Grundrauschen.
Hoffentlich nicht mehr zu lange. Voll gut, dass du es auch hier ansprichst. Das Thema kann nicht genug Aufmerksamkeit haben. Nun aber auch nochmals zurück zur Crucchi Gang. Wie kam es überhaupt zu diesem Projekt?
Francesco: Es war eine spontane Idee von Charlotte Goltermann, Sven Regener und mir bei zu viel Weißwein nach einem Bob Dylan Konzert. Wir arbeiten viel für Filmmusik zusammen. Bei diesem beschwipsten Abend hatte Charlotte diese Idee. Ich war eher skeptisch. Wer solle es sich denn anhören. Für wen wäre es? Sie hat aber nicht lockergelassen und kam immer wieder mit dieser Idee an. Irgendwann habe ich mich dann mal drangesetzt und irgendein Lied probiert. Das erste Lied, was ich dann übersetzt habe, war Bungalow von Bilderbuch. Das war cool, hat funktioniert und vor allem Spaß gemacht. Ich habe es dann mit Gitarre ganz einfach aufgenommen. Dann kam noch ein Lied und noch ein Lied. Und je mehr ich dann gemacht habe und ich mich in die Arbeit vertiefte, umso toller fand ich es. Ich habe vorher noch nicht so etwas gemacht, Lieder vom Deutschen ins Italienische übersetzt. Ich kann schon besser Deutsch als Italienisch. Anders herum wäre es dafür wahrscheinlich für mich viel einfacher gewesen. Mich aber an einer italienische Pop-Kunst-Poesie-Sprache zu versuchen fand ich total bereichernd. Ich bin zwar mit Italienisch aufgewachsen. Aber eher mit so einem Kinder-Italienisch. Dann habe ich mir ganz viel selber angeeignet. Italienische Musik gehört, Filme geschaut und gelesen. Ich habe mir die italienische Sprache und Gegenwartskultur selber erarbeitet. Mein Elternhaus war das klassische Exil-ItalienerInnen-Elternhaus, bei dem man in einer deutschen Umgebung lebt und von der Mutter noch so ein bisschen italienische Kultur mitbekommt und manchmal vielleicht noch zu Verwandten nach Italien in den Urlaub fährt.
Die Ursprungsfrage war ja, wie das alles entstanden ist. Es war etwas, bei dem ich nicht von Anfang an direkt dran geglaubt habe. Durch die Arbeit, durch das Übersetzen habe ich gemerkt, dass es etwas ist, was ich so noch nie gemacht habe, was mich aber der italienischen Kultur und der italienischen Sprache sehr viel näher gebracht hat. Einfach, weil ich mich so intensiv damit auseinandergesetzt habe, wie die Sprache funktioniert, Redewendungen und Bilder. Ich habe dann auch wieder ganz viel italienische Musik gehört. Wenn man in Berlin wohnt, wohnt man in Berlin und hat so viel mit Italien dann doch nicht zu tun. Diese Arbeit an dem Crucchi Gang Album hat mir meine italienischen Wurzeln und die ganze Kultur näher gebracht.
Das klingt voll schön, fast schon identitätsstiftend. Hast Du dann unmittelbar bereits bei Bungalow gemerkt, dass es funktionieren kann?
Francesco: Das habe ich bei Bungalow direkt gemerkt. Wobei Bilderbuch natürlich noch einmal ein Spezialfall sind, weil sie ganz eigen und ganz anders als alle anderen mit Sprache umgehen und selbst einen Mix aus Sprachen nutzen. Es hieß dann daher nicht, wenn es mit Bungalow klappt, dass es auch mit irgendwelchen anderen Liedern klappen kann. Je nachdem wie jemand mit der eigenen Sprache umgeht ist es auch einfacher oder schwerer das in eine andere Sprache zu übersetzen. Das habe ich dann auch ganz schnell festgestellt. Das hat auch mit der Fülle der Wörter zu tun. Also wenn ich einen Raptext habe, wäre es eine sehr große Aufgabe ohne Präzedenzfälle. Es gibt keine Raptexte, die in verschiedenen Sprachen von ein und dem selben Interpreten gemacht worden.
Gute Frage. Ich bin bei Rap nicht sehr bewandert.
Francesco: Da kannst du auch lange suchen. Es gibt Songs, wo die Hook übernommen wurde und in einer anderen Sprache ist. Bestes Beispiel ist Nordish by Nature. Nimm irgendeinen deutschen Rapklassiker und übersetze ihn ins Italienische. Ich habe mich daran auch schon ein bisschen versucht, bin aber noch zu keinem Punkt gekommen. Vielleicht gibt es das aber auch in Zukunft einmal.
Das heißt dann aber, du denkst dein Projekt Crucchi Gang immer weiter?
Francesco: An Ideen mangelt es tatsächlich nicht und es gab ja auch diese drei Songs, die überhängen, die nicht rechtzeitig fertig wurden. Das hat ganz schnöde etwas mit Zeit, Bock, Feedback und Akzeptanz zu tun. Wenn es gut ankommt und wir Lust und Zeit haben und genug Songs bekommen, warum nicht?
Dann drücke ich die Daumen. Wo du Feedback erwähnst. In Deutschland wird die Crucchi Gang durch die Bank gut aufgenommen. Gibt es auch Resonanz aus Italien?
Francesco: Vereinzelt ja. Aber ich habe dort keine größere Plattform. Wir wurden jetzt nicht im italienischen Rolling Stone besprochen. Ich habe es nur mitbekommen von Menschen, mit denen ich zu tun habe, die es cool fanden. Da kann man jetzt aber nichts allgemeines daraus herleiten, ob es überhaupt für Italien interessant ist. Natürlich würden wir uns das wünschen und wir würden auch sehr gerne einmal beim Festival von Sanremo auftreten aber der große Durchbruch in Italien steht uns noch nicht bevor.
Wobei natürlich bei vielen Liedern in Italien die Kenntnis und Idee vom Original fehlt.
Francesco: Wahrscheinlich ist das ein entscheidender Punkt, dass man den Song kennt, ihn aber so noch nie gehört hat. Trotzdem wäre es natürlich total schön, wenn der Song auch für sich alleine stehen kann und gut funktioniert. Wenn man es damit schaffen würde. Ich habe schon von mehreren Leuten gehört und das war eigentlich das schönste Kompliment, dass sie einen Song von der Crucchi Ganz gehört haben und dachten „Oh, dass ist eigentlich das Original.“ Das ist eine total tolle Vorstellung.
Das erinnert mich an einen Bekannten, der Platten sammelt und bierselig immer davon schwärmt, dass in den 60er Jahren ganz viele deutsche Schlagerstars internationale Hits ins Deutsche übersetzt haben. Von der Überlegung ist es also gar nicht so fern.
Francesco: Genau, da haben wir auch dran gedacht. Aus heutiger Sicht ist das irgendwie süß und witzig. Das gibt es ja heute nicht mehr. Aber damals war es vollkommen normal, dass man sich um einen Markt zu erschließen, an muttersprachlichen Versionen der eigenen Lieder versuchte. Das ist ja heute nicht mehr so. Heute käme kein ausländischer Künstler auf die Idee ein Lied für Deutschland in Deutsch zu veröffentlichen, um sich diesen Mark zu erschließen.
Wie schaut denn deine Bedroomdisco aus?
Francesco: Da gibt es so viele, dass ich einen Auswahl treffen muss. Ich höre gerade ganz viel 70er Jahre französische Filmmusik und habe tatsächlich eine Platte von Michelle Legrand gefunden. „La Dame dans l’auto avec des lunettes et un fusil“. Übersetzt heißt der Film Die Dame im Auto mit Sonnenbrille und Gewähr. Die Platte habe ich mir auf einem Flohmarkt gekauft und finde sie total geil. Sie ist genau so, wie man sich französische Filmmusik aus den 70ern vorstellt. Ansonsten freue ich mich über jedes Lied, dass Chance the Rapper rausbringt. Der bringt immer einzelne Songs raus, die so grundverschieden sind, dass man sich nicht vorstellen kann, dass sie später einmal auf eine Platte passen. Das letzte, was ich total geil fand von ihm war A Bar About a Bar. Also ein Takt über eine Bar. Das Lied geht genau eine Minute. Und ich glaube in Zeiten von ADHS ist das die Zukunft, dass die Songs nur noch eine Minute gehen. Ansonsten gibt es tausende von KünstlerInnen, die ich toll finde. Ich höre sehr gerne Musik von Anna Erhard und ich höre sehr gerne Musik von Pina Palau. Ihre Musik geht in Richtung Courtney Barnett. Und dann natürlich alte italienische Musik, brasilianische oder französische Musik. Leute, die Geschichten erzählen. Ich höre schon sehr viel alte Musik. Bei neuen Sachen interessiert mich eher weniger Popmusik sondern eher Rap.
Wie spannend. Dann hat es ja voll viel Sinn, dass du Raptexte für die Crucchi Gang versuchst.
Francesco: Ich habe mir Rap irgendwann einmal ausgesucht als meine Lieblingsmusiksparte abseits von klassischer Popmusik, also abseits der Beatles. Ich habe das nie verloren, weil es immer noch eine sehr junge Musikrichtung ist und man immer neue Sachen daran entdecken kann. Popmusik ist ja oft retro. Bei Rap mischen sich immer Retroelemente mit Ansätzen, die man so noch nie gehört hat. Das hat dann was mit bpm und Sounds zu tun. Das klingt sehr technisch, finde ich aber sehr interessant. Rap ist eine komplett globale Musik, die auch immer sehr globale Einflüsse aufsaugt.
Das ist ein voll schöner Ansatz. Ich tue mich oft mit der Attitüde schwer, aber das ist ja vollkommen plakativ und ich werde damit dem Genre nicht gerecht.
Francesco: Das sucht man sich ja selbst aus. Ich habe Anfang der 90er angefangen Rap zu hören mit dem Conscious Rap, Rucksackrap. So etwas wie De La Soul oder A Tribe Called Quest und bin immer in dieser Schiene geblieben. Und wenn man heute z.B. so Sachen wie Tyler The Creator oder Chance The Rapper hört, die stehen in dieser Tradition. Ihr Inhalt ist politisch und sozialkritisch. Die liefern immer die interessanteren Popstatements ab als so klassische Leute, die eine Gitarre umhängen haben. Und irgendwann muss ja auch die neue Platte von Frank Ocean kommen. Die hatte er ja schon vor Coachella versprochen, aber da scheint es irgendwelche Probleme zu geben. Aber die kommt irgendwann und die werde ich mir ganz sicher, ganz viel anhören. Es ist so eine Art von Zukunftspopmusik.
Vielen Dank für diese Tipps und die ganzen Einblicke.
Francesco: Vielen Dank Dir.
Crucchi Gang live:
22.06.23 Hamburg, Uebel & Gefährlich
23.06.23 Berlin, Festsaal Kreuzberg