Foto-© Origin Picture Show LLC
Please lord, make me the biggest star the world has ever known.
(Pearl – Pearl)
Pearl (Mia Goth) lebt 1918 zurückgezogen im amerikanischen Hinterland auf der Farm ihrer Eltern. Sie träumt davon ein Star – genauer der Star überhaupt – der neuen großen Leinwand zu werden. Doch in Realität fordert ihr kranker Vater (Matthew Sunderland) und die Farm ihre ganze Aufmerksamkeit. Doch zusammen mit der nachvollziehbaren Sehnsucht nach mehr, wächst eine unstillbare Lust, ein Verlangen, eine Forderung nach mehr. Eine Forderung, die, wenn sie nicht erfüllt wird, mit aller ihr zur Verfügung stehenden Macht eingetrieben wird.
Ab der ersten Szene explodiert Pearl in voller technicolor Primärfarbenpracht auf der Leinwand und lädt in die wundersame Welt von OZ ein. Neben vielen anderen kleinen und großen Referenzen ist die Pervertierung des Klassikers Der Zauberer von OZ der Dreh- und Angelpunkt von Pearls ästhetischer, aber auch erzählerischer DNA. Pearl ist verstörend und will es auch mit aller Macht sein. Das überrascht wenig, geht er doch offen damit um, das Prequel zu Regisseur Ti Wests Texas Chainsaw-Hommage X zu sein und die Vorgeschichte seiner Killerin zu erzählen.
Die Art wie dies geschieht, wird sicher nicht jedem gefallen. Neben der allgemeinen Grundsatzdiskussion, ob es denn Prequels braucht, bringen Origin Stories von Antagonisten eine ganz besondere Herausforderung mit sich. Ihnen liegt die Gefahr inne, das Böse zu rechtfertigen und vielleicht noch schlimmer, es in eine simple kausale Beziehung zu einem singulären Event zu stellen. Beides passiert in Pearl glücklicherweise nicht. Weder gibt es einen einfachen, definitiven Grund, warum Pearl ist, wie sie ist, noch wird ihr brutales Handeln auch nur ansatzweise gerechtfertigt. Wir bekommen eine Idee, was in Pearls Leben vor den Geschehnissen von X passiert ist und einen guten Einblick in die, die sie endgültig aus der Bahn geworfen haben. Das kann man zu recht kritisieren und einwerfen, dass diese Versatzstücke für den aufmerksamen Zuschauer in X bereits eingestreut wurden, man kann sich aber auch auf einen richtig abgefahrenen Horror Thriller mit einem extrem innovativen Look und schauspielerischer Höchstleistung einlassen. Hier sticht wenig überraschend wieder Mia Goth hervor. Spielte sie schon in X in einer beeindruckenden Doppelrolle auf, war sie dort jedoch noch Teil eines Ensembles (dem unter anderem auch die rasant aufstrebende Jenna Ortega angehörte). Dieses Mal hingegen ist sie die ganze Laufzeit über im Fokus des Interesses und der Kamera, für zwei beeindruckend lange One-Takes von fast acht Minuten sogar wortwörtlich. Gerade weil sie sogar noch das Drehbuch gemeinsam mit Regisseur Ti West geschrieben hat, kann das beizeiten wie ein Bewerbungsvideo für ihr schauspielerisches wie künstlerisches Können wirken. Da ihre Performance aber absolut im Sinne des Films ist, ist am Ende unerheblich, ob der Ursprung die Story oder der Wunsch nach schauspielerisch maximal fordernden Szenen war.
Was der Film neben einer simplen Erklärung von Pearl ebenfalls nicht ist, ist ein weiterer Slasher Film. Wo X diesen Filmen der 70er nacheiferte, geht Pearl wie eingangs erwähnt, auf die Filme der 40er, aber im Verlauf auch der 20er ein. Wurden diese beiden direkt nacheinander gedreht, wird das Gesamtbild der Trilogie voraussichtlich später dieses Jahres mit MaXXXine in einer Hommage an die Videonasties der 80er Jahre abgeschlossen. Ob die Filme dann ein großes stimmiges Ganzes ergeben oder wir „nur“ zwei oder drei Ausnahmefilme haben, lässt sich (noch) nicht sagen, für sich genommen ist Pearl aber absolut sehenswert, egal ob ihr X kennt und / oder mochtet.
Pearl (USA CAN NEZ 2022)
Regie: Ti West
Besetzung: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro, Alistar Sewell
Kinostart: 01. Juni 2023, Universal Pictures Germany