Foto-© ANOHNI with Nomi Ruiz
I danced by violent times
It was hard to live, live
It was my-
It was my time, time to
Give, give, give
Done my work
My back was broke
My back was a bridge for you to cross
Then I wished in the aftermath
That the Earth would take my life
Like she took the lives of my mother
And my sisters
Ooh, you, you be free
You be free for me
For me
You (You) be free for me
(ANOHNI and the Johnsons – You Be Free)
Nach sieben Jahren veröffentlichte ANOHNI am Freitag ihr nun sechstes Studioalbum My Back Was A Bridge For You To Cross via Rough Trade Records. Und selbst Kenner:innen von ANOHNIs Schaffen sollten überrascht sein: Zum ersten Mal seit 2010 (Swanlights) trägt ein Album wieder den Zusatz “and the Johnsons” als Anspielung auf ihre Ursprünge und als Wiedergeburt zu Ehren von Marsha P. Johnson, der Pionierin für die Rechte von queeren Menschen. Ihr Foto schmückt auch das Cover. Erstmals bei einem Johnsons-Album produzierte ANOHNI nicht selbst und auch der hochkarätige Soul-Produzent Jimmy Hogarth (Amy Winehouse, Duffy, Tina Turner) war nicht unbedingt die offensichtliche Wahl, nachdem sich ANOHNI mit ihrer Solo-Platte HOPELESSNESS (2016) elektronischen Klängen und Protestsongs zuwandte. Wenn die britische Wahl-New-Yorkerin allerdings den Entstehungsprozess beschreibt, passt es plötzlich wieder: akribisch, aber ebenso inspirierend, freudig, intim, erneuernd sei er gewesen. Und das Ergebnis ein Statement dazu, wie sie die Welt sieht. “I’ve been thinking a lot about Marvin Gaye’s What’s Going On. That was a really important touchstone in my mind. Some of these songs respond from the present day to global and environmental concerns first voiced in popular music over 50 years ago.” ANOHNIs Weltanschauung durchdringt die zehn Lieder des Albums. Sie sind ihr Kommentar zum Verlust geliebter Menschen, zu Ungerechtigkeiten, Entfremdung, Akzeptanz, Grausamkeit, Umweltzerstörung, dem Future Feminismus und der Notwendigkeit, unsere Denkweisen, spirituellen Ideen und gesellschaftlichen Strukturen wie auch unsere Beziehungen in Einklang mit dem Rest der Natur bringen zu müssen.
Der Opener It Must Change, der zugleich Vorab-Single war, setzt sich eindringlich aber musikalisch geschmeidig mit den Themen Vorurteilen und Mitgefühl auseinander. Doch schon beim zweiten Track wird es experimenteller. Go Ahead ist laut, intensiv, kurz. Die elektrische Gitarre knarzt und plärrt während ANOHNIs Stimme mehr ruft als singt: „Go ahead, kill your friends / You are an addict / Go ahead, hate yourself / I can’t stop you.” Klassische Rockklänge finden sich in der Powerballade Rest, There Wasn’t Enough erinnert an den Folk früherer Platten. Silver of Ice lässt in seiner Schönheit innehalten. Die Ballade verwandelt auf minimalistische Weise eines ihrer letzten Gespräche mit Freund und Kollegen Lou Reed in eine zarte Ballade über das Leben im Moment. Auch das groovige und vordergründig beschwingte Can’t handelt von Verlust, während die volle Band mit Bläsern loslegt, singt ANOHNI: „I can’t stop this, darling, it keeps being real / I don’t want you to be dead.“ Klassischen Soul und dicke Streicher gibt es auf Why Am I Alive Now, das tröstliche und im Vergleich minimalistische You Be Free beendet die emotionale Reise dieses Albums und hinterlässt erschüttert, geerdet, nachdenklich.
ANOHNI sagt, sie möchte mit dem Album andere unterstützen, trösten und stärken. My Back Was A Bridge For You To Cross ist klar eines ihrer zugänglichsten Werke. Vielleicht weil es die Klarheit der Texte in tiefe musikalische Emotionen hüllt, die Schicht für Schicht freigelegt werden wollen: der Wolf im Schafspelz. Der glatte Soul tröstet, die Härte der Welt liegt darunter, nicht versteckt, aber eingeordnet in eine Selbstverständlichkeit, die diese Platte so besonders macht.
ANOHNI and the Johnsons – My Back Was A Bridge For You To Cross
VÖ: 07. Juli 2023, Rough Trade Records
www.anohni.com
www.facebook.com/AntonyandtheJohnsons