BDRMM – I Don’t Know


Foto-© Katherine Mackenzie

Breathing in feels divine
A new start is on my mind
As we watch the days disappear
We grow closer to the end

(bdrmm – Pulling Stitches)

Briten sind gerne gallig gegen sich selbst. Ein schönes Beispiel gibt es aus dem Jahr 2005. Die Fernsehstation Channel 4 hatte ein Städte-Ranking in Auftrag gegeben und vermeldete nach Auszählung feierlich, dass Hull auf dem letzten Platz rangiere. Hässlich, hoffnungslos, gefährlich sei es da oben in Yorkshire, in Sachen Bildung hinke man hinterher und – na klar – müffeln würde es an allen Ecken und Enden. Als Musikinteressierte(r) kann man sich nur wundern. Erinnert sich noch jemand an das Lieblingsresultat von The Housemartins, London 0 Hull 4? Die drei Musiker in Sades Band kommen alle aus der Hafenstadt, Tracey Thorn und Ben Watt haben dort mit Everything But The Girl angefangen. Jüngere Semester erinnern sich an Kingmaker oder The Paddingtons, ganz junge an Low Hummer.

Auch bdrmm sind in Hull zu Hause. Ihr Debütalbum erschien im Jahr 2020, hieß Bedroom und begeisterte Kritiker vollauf. „Ein moderner Shoegaze-Klassiker“, lobte der NME mit Höchstwertung. Vier Jahre hatten die fünf Jungs um Sänger/Gitarrist Ryan Smith daran gesessen. Viel von Ride oder Slowdive geisterte durch ihren Kopf. Unbestritten auch die Bindung zum Post-Punk, besonders in Richtung von dem, was von The Cure oder DIIV übermittelt worden ist. Die historischen Stränge waren so offensichtlich, dass man sich fragte, ob die jungen Nordengländer auch ohne Zitate Klassiker abliefern können.

Sie können. Zweifel verfliegen schon nach den ersten Takten auf I Don’t Know. Alps beginnt mit einem 4/4-Beat. Nicht wie im Techno-Club. Der Sound passt mehr zu Nachtphasen, die man einsam und gedankenversunken verbringt. Die Stimme von Smith schwebt über allem und vermittelt Unbehagen: „You’re not special, they’ll destroy the thing you love“. Mit Be Careful bleibt die Band beim Klangwerk der Neunziger, Trip-Hop-Input erinnert an die frühen Massive Attack. Zu Beginn von It’s Just A Bit Of Blood ist wieder alles anders. Es ist eine Zwischenetappe, stürmisch, lautstark, aufrüttelnd. In We Fall Apart kehrt man ein Stück weit ins vertraute Revier zurück. Smiths Gesang schwebt über den Dingen, die Gitarre hypnotisiert, der Vergleich mit Joy Division ist nicht abwegig. Das war’s mit dem reinen Post-Punk-Anteil auf dieser Platte. Man spürt in fast jedem Song, wie über Grenzen hinausgedacht wird. In Pulling Stiches hat einiges mit dem Lärmpegel von My Bloody Valentine auf Loveless zu tun. Aber es fühlt sich auch wie auf einem Festival an, auf dem nebenan elektronische Musik läuft.

Gerüchten zufolge war im Vorfeld ein größeres Label sehr an bdrmm interessiert und lockte mit renommierten Produzenten, schickem Artwork und anderem Tinnef. Auf solchen Pfusch ließen sich unsere Jungs nicht ein. Sie gingen ihren Weg mit Vertrauensmann Alex Greaves weiter, der schon Bedroom im Studio betreut hatte. I Don’t Know erscheint bei Rock Action, dem Label von Mogwai. Stuart Braithwaite war sehr angetan von den Auftritten auf der gemeinsamen Tour. Er hat das Potential seiner Kollegen erkannt und sie in Ruhe arbeiten lassen. Und der maliziöse Anti-Hull-Bullshit war ihm piepegal. Bravo.

bdrmm – I Don’t Know
VÖ: 30. Juni 2023, Rock Action
www.bdrmm.co.uk
www.facebook.com/smellybdrmm

bdrmm Tour:
23.10.23 Hamburg, Molotow
28.10.23 Dresden, Groove Station
30.10.23 Berlin, Privatclub
31.10.23 Köln, Helios37

YouTube Video