LOCAL NATIVES – Time Will Wait For No One


Foto-© Christiana Choi

We always arrive
A moment too late
And I can’t help feeling like
It couldn’t be any other way

(Local Natives – Just Before The Morning)

Die alternde Indie-Band ist eine ewig passende Projektionsfläche für das eigene Leben: In welche Richtung geht mein Leben? Wo ist die Zeit hin? Warum ist es nicht mehr so, wie es mal war? Aber eben auch die andere Seite: Man kann sich neu erfinden. Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Und jede Lebensphase hat ihren ganz eigenen Charakter.

Local Natives sind genau so eine langsam älter werdende Indie-Band, deren Mitglieder auf die 40 zugehen. In den späten 2000ern wurden sie mit der Art Musik bekannt, die fünf begabte Männer in einer zugemüllten WG in Kalifornien in den späten 2000ern eben so machten. Etwas verkopfter, eigenwilliger, aber sonnendurchfluteter und ohrwurmtauglicher Indie-Rock. Sie waren herrlich dramatisch, spielten bewusst mit Dissonanzen und sprühten vor Energie.

Auf ihrem fünften Album Time Will Wait For No One ist diese Identität noch immer spürbar, doch sie hat viele Narben, Ecken und Kanten bekommen. Die Pandemie und verschiedene persönliche Schicksalsschläge haben den Freunden um Kelcey Ayer und Taylor Rice ein wenig den Wind aus den Segeln genommen, wie sie selber sagen. Und so klingen nur wenige Momente dieser neuen LP so leicht und sprudelnd wie auf dem fantastischen Vorgänger Violet Street von 2019. Die Welt ist eine andere, die Band ist eine andere. Doch das ist keinesfalls etwas Schlechtes.

Das zeigen bereits Titel, Thema und Opener der Platte: „Time Will Wait For No One“ – die Zeit schreitet unerbittlich voran, sie interessiert sich nicht für uns. Aber das Intro liefert sogleich auch die Auflösung dieses Problems: „But I’ll wait for you“ – wir können uns gemeinsam und gegenseitig durch die Zeit helfen. Zwischen der optimistischen und pessimistischen Seite dieser Medaille pendeln die zehn Songs zuverlässig hin und her. Die erste Single, Just Before The Morning, ist ein melancholisches Liebeslied, das in den tiefen Winter seiner ersten Erscheinung genauso passte wie in einen lauen Sonnenaufgang jetzt im Hochsommer. Die typische Zweistimmigkeit von Rice und Ayer kommt hier eher untypisch in abwechselndem Gesang daher. Ansonsten reiht sich der Song nahtlos in den Sound der letzten Hits wie When Am I Gonna Lose You und Café Amarillo ein.

Im folgenden ersten Teil des Albums kehrt die Band dann zu einem relativ schnörkellosen Indie-Pop-Sound zurück, mit wunderbar schiefen Harmonien und schönen Refrains in Empty Mansions und Desert Snow. Hier schleicht sich auch wieder der Blick nach vorn ein: „It’s all been put behind, It’s falling through the cracks, Lost somewhere between, Where I was and wanna be now”, singt Ayer auf Desert Snow.

Auch wenn die Band an einem dunkleren Ort zu sein scheint als auf ihren letzten Alben, in einem vielleicht leicht hedonistischen Sinne finden sich ein paar der tanzbarsten und funky Momente der ganzen Local-Natives-Diskographie in diesen neuen 34 Minuten. Am deutlichsten ist das auf NYE, dem lautesten und poppigsten Song der Platte, mit der erwachsenen Version einer „YOLO“-Botschaft und etwas spielerischer Auflösung der Albumthemen von Zeit und Vergänglichkeit. Durch die klassische Rock-Instrumentalisierung und Lyrics mit Augenzwingern („I’ve been waiting for what feels like all of my life, With a charlatan smile”) passt der Track zu den übrigen und sticht trotzdem heraus.

Ansonsten drehen die Local Natives eher kleine Räder, wenn es um die Weiterentwicklung ihres Sounds geht. Die Klanggestaltung auf Paper Lanterns erinnert ein wenig an die letzte Bombay Bicycle Club Platte, auch die Grandeur des letzten Phoenix Projekts scheint manchmal durch. Mit der akzentuierten Nutzung von Synthesizern setzen sie außerdem den Stil von Violet Street fort, der sich einer leichten psychedelischen Atmosphäre bedient, ohne dabei verkünstelt zu klingen.

Der Mittelteil des Albums ist ansonsten eher „Filler“, die Songs sind handwerklich gut und konsistent, aber nicht immer spannend genug um hängen zu bleiben. Hourglass zum Beispiel bleibt musikalisch ein sehr langes Interlude oder Bindeglied in der Mitte des Albums, doch textlich finden sich hier einige der schönsten Bilder von Kelcey Ayer. Mit Zeilen wie „We tie ourselves in knots, Trying not to let go” und „We’re drawing lines in the sand, Inside an hourglass” zeichnet er ein behutsames Bild von geteiltem, aber nicht unbedingt halbem Leid in einer Beziehung.

Behutsamkeit ist auch der stille Titel des Closers Paradise, der den Neuanfang in der Apokalypse beschwört, ohne dabei so dramatisch zu werden wie diese Kurzbeschreibung. Behutsam werden Melancholie, Gitarre und elektronische Elemente noch einmal zusammengebunden und werfen uns, so will man meinen, am Ende aus dem Album und in die nächste Phase der Band hinein.

Es lässt sich Time Will Wait For No One durchaus vorwerfen, dass es trotz der Kürze ein paar Längen hat, doch ein überragender Start und Finish, die offene Auseinandersetzung mit sich selbst und die ewig detailverliebte Arbeit am eigenen Sound stimmen optimistisch, wenn es um die Zukunft der unaufhaltsam älter werdenden Indie-Natives geht.

Local Natives – Time Will Wait For No One
VÖ: 7. Juli 2023, Loma Vista Recordings
www.localnatives.com
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Phillip Kaeding

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