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If you want my love, then let’s discuss
The man you’re required to be
If you tell me lies, you get three strikes
There’s no coming back, boy, please
If you look at her, consider bridges burned
You could call it petty, but see
If you want the position, these are my terms and conditions.
(Mahalia – Terms and Conditions)
Die 2000er sind wieder da, das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Über die Ästhetik dieser noch nicht so weit entfernten Zeit lässt sich streiten; die musikalischen Umbrüche, die in diesem Jahrzehnt stattfanden, sind unbestreitbar. Die Pop-Punk-Welle, der Aufstieg von EDM, die endgültige Etablierung von Hip-Hop als Mainstream-Kultur in den USA – und der Wandel des modernen R&B, mit Künstlerinnen wie Mary J. Blige und natürlich Beyoncé.
Mahalia Burkmar wurde ein Jahrzehnt nach Crazy In Love aus dem verregneten Leicester in die Musikwelt katapultiert, als sie mit gerade einmal fünfzehn Jahren Ed Sheeran vorgestellt wurde. Glücklicherweise färbte diese Begegnung musikalisch nicht allzu sehr ab, und so konnte Mahalia zwischen der Londoner Grime-Szene und dem Berliner COLORS-Studio an ihrer ganz eigenen Wiederbelebung des R&B arbeiten.
Ihr zweites volles Album IRL zeigt: Das Projekt lebt. 44 Minuten moderner Soul, smoothe Produktion und passende Rap-Features machen das Major-Label-Debüt zu einem würdigen Nachfolger ihres Hits Love and Compromise von 2019. Wie das ganze 2000er-Revival zeigt auch IRL, wie viel aus den drei Tonarten, vier Beats und dem verspäteten Second-Wave-Feminismus der damaligen Hip-Hop-Ära rauszuholen ist. Mit einfachen Themen und makelloser Umsetzung gelingt es Mahalia, dem typischen Druck eines zweiten Albums standzuhalten.
Dabei ist es unter anderem der stärkere Fokus auf Rap- und Hip-Hop-Elemente, der der Platte einen Anschein von Fortschritt gibt. In My Bag hat einen starken Beat, ist selbstbewusst und street, gleichzeitig radiotauglich. Der Song setzt direkt das Narrativ des stimmungsvollen Intros Ready fort, das den typischen Sprung ins „I made it“ der Musikerin markiert. Mahalia ist angekommen im Erfolg, aber auch gelandet in der Wirklichkeit.
Das Crazy In Love des Albums ist die Vorab-Single Terms and Conditions. Der Ohrwurm-Faktor ist gefährlich hoch, der Groove ansteckend, auch wenn im Kern ein relativ farblos elektronisch instrumentierter Pop-Hit steckt. Mahalias großartige Stimme steht hier im Vordergrund, und – keine Sorge, letztes Mal – die Erinnerung an Destiny’s Child und die frühe Beyoncé ist omnipräsent.
In der Mitte des Albums finden sich wieder mehr ruhige Songs im Stil von Love and Compromise, doch die Gastauftritte, die Mahalia hierfür organisiert hat, bringen einen zeitgemäßen und etwas reiferen Anstrich. Das ist am deutlichsten auf November, einer klassischen R&B-Ballade mit zum Titel passendem winterlichem Vibe und Arrangement. Stormzy fügt sich hier perfekt ein und rappt nachdenklich im Stil seiner letzten eigenen Platte. Hier zeigt sich, dass IRL ganz unabhängig von den offensichtlichen Vorlagen in den USA (die offensichtlichste „Hommage“ ist Cheat mit JoJo, was ohne Probleme auf einer Compilation-CD von 2004 auftauchen könnte) einen sehr realen Platz in der britischen Szene hat und mit ihr eine produktive Beziehung eingeht. Wassup mit Kojey Radical ist ein weiteres Beispiel dafür. Eine einfache Erzählung einer Clubbekanntschaft, geschickt modernisiert. Hier ist Mahalia Rihanna („You made a good girl go bad now“) und Kojey ratlos („Help me out: Tell me are we kissin’? Are we chasin’ validation from a stranger?”).
Ansonsten verlässt sich Mahalia auf Songs wie diesem oder In My Head sehr auf ihre Stimme, der Rest der schrammt zu oft das Label Industrieware. Daher ist es erfrischend, als mit Hey, Stranger auf einmal Gitarren die Bühne betreten und ein wenig Reflexion einsetzt. Nach diesem musikalisch starken Interlude folgt nämlich mit Isn’t it Strange? der inhaltlich beste Song, eine Reflexion über die Absurditäten einer Internet-Karriere und die krassen Gegensätze zwischen dem Aufwachsen in Leicestershire und der glänzenden Londoner Belle Etage: „Say I love my mom but I don’t call her, Say I work hard, I could work harder, Say I’m always tired but I stay up late, Don’t even drive and I want a Range, Isn’t that strange?“
Und auch diese softe Seite wird weiter ausgeführt: mit Lose Lose, einer gitarrengetriebenen Lounge-Nummer, die eine weitere Tür für Mahalias musikalische Zukunft aufstößt. Bliebe sie diesem Stil treu, wäre ein gemeinsames Projekt mit Tom Misch der nächste logische Schritt.
Egal, für welchen Weg sie sich entscheidet – folgt sie dem Vorbild des amerikanischen R&B in den 2000ern und bindet sich an den Rap, oder arbeitet sie an ihrer eigenen Soul-Marke und wird musikalisch wieder etwas kreativer – Mahalia scheint sich alle Optionen offen zu halten. Da man dies hört, ist IRL ein Album ohne Richtung, aber mit klarer Identität und starken Singles.
Mahalia – IRL
VÖ: 14. Juli 2023, Warner Music International
www.mahaliamusic.co.uk
www.facebook.com/mahalia