Foto-© Steve Gullick
Starling swarms will soon be lorn.
Rooks tell stories ’cross the corn.
Goocoo soon will ’es leave make.
Swifts abandon autumn’s ache.
What says dunnick, drush or dove?
Love Me Tender? Tender love?
(PJ Harvey – A Child’s Question, August)
Am 7. Juli erschien PJ Harveys zehntes Studioalbum – ihr erstes nach sieben Jahren. Und auch wenn sie im Laufe ihrer Karriere immer Wert gelegt hat, sich neu zu erfinden, ist I Inside the Old Year Dying ein besonders tiefer Einschnitt in die PJ-Harvey-Hörgewohnheiten. Das sei auch dem Aufnahmeprozess und der Beziehung geschuldet, die Harvey mit ihrem langjährigen Kollaborateur John Parish und Producer Flood hat. Sie sagt: “The three of us come together and we all want the same thing – to challenge ourselves and not repeat ourselves.“ Das ist gelungen, auch weil sie sich erlaubt haben, loszulassen und live aufzunehmen – spontane Emotionen, Ideen und Arrangements, aufgenommen im Moment der Entstehung. Die Geschichte dieses Albums ist allerdings weniger spontan und beginnt schon 2017. Harvey hatte gerade die Tour zum Album The Hope Six Demolition Project beendet und fühlte sich ausgebrannt, entfernt von ihrer Kunst. Unter dem Mentoring des schottischen Lyrikers Don Paterson schrieb sie ihren zweiten Gedichtband Orlam, der zur Inspirationsquelle des Albums wurde. Die Songs selbst seien dann innerhalb von drei Wochen aus ihr herausgepurzelt.
Wie hört sie sich also an, die neue befreite Perspektive der PJ Harvey? Die 12 Tracks sind kunstvoll, atmosphärisch, aber auch herausfordernd. Es werden bedrohliche, aber zarte experimentelle Klangwelten geschaffen (All Souls), dunkle Töne ummanteln Lyrics über Tod und Kindheit während sich Harveys Stimme über Grenzen hinwegsetzt (Prayer at the Gate). Vieles wirkt unwirklich auf I Inside the Old Year, weniger greifbar als ihre früheren Werke. Trotzdem erkennt man sie doch wieder. Warme Indierockklänge in A Child’s Question, August; der stampfende Titeltrack I Inside the Old Year Dying erinnert an Let England Shake. Daneben stehen Tracks wie aus einer anderen geheimnisvollen Welt (Lwonesome Tonight), teilweise angereichert mit Naturklängen wie bei A Noiseless Noise.
Nicht nur klanglich ist ihr zehntes Album ein neuer Aufbruch. Auch inhaltlich hat PJ Harvey eine neue Perspektive eingenommen: Vom Großen ins Kleine handelt I Inside the Old Year Dying von ihrer Heimat Dorset: „I instinctively needed a change of scale. There was a real yearning in me to change it back to something really small – so it comes down to one person, one wood, a village.” Die Texte – teilweise im örtlichen Dialekt verfasst – sind so kryptisch wie nie. Eine Verschmelzung ihres Schaffens als Lyrikerin und Musikerin. I Inside the Old Year Dying ist eine vielschichtige Herausforderung, die Fragen offen lässt, klangliche Grenzen auslotet und sich doch so einnehmend präsentiert, dass der Geist unwillkürlich mitwandert.
PJ Harvey – I Inside the Old Year Dying
VÖ: 07. Juli 2023, Partisan Records
www.pjharvey.net
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