Foto-© Lydia Kitty
I gotta match the fires to the flame
The feelings just got attached
I got the days for the stray far away
Smoulder waves, we started dancing
Know we had to take you back home
Time movin’ slow, we fast forward
You got me burning like a candle flame
You’re gonna hurt because you never change
Take me from the darkness tryna heal my pain
Hear my prayer, hear my prayer
(Jungle, Erick the Architect – Candle Flame)
Das sehr normale Viertel Shepherd’s Bush im Nordwesten von London ist nicht gerade der Ort, den man mit einer pulsierenden Disco-Szene verbinden würde. Es ist aber vielleicht genau der Ort, an dem sich zwei junge Musikverrückte einschließen und mit den Sounds verschiedener Jahrzehnte und Kulturen experimentieren würden, um ihrem Alltag zu entkommen.
Vor zehn Jahren wurde aus den Experimenten von Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland das Projekt Jungle, das mit seiner Ästhetik und seinem Throwback-Sound genau in die urbane Kultur der letzten Jahre passte. Der Treffer in die Mitte des Zeitgeists hält an – mittlerweile sind die beiden Londoner bei ihrem vierten Album angekommen. Und auch wenn dieses wie zu erwarten keine vollkommen neuen Kreativitätsausbrüche bietet, ist Volcano doch ein neuer Peak für die Band.
Die vierzehn neuen Songs decken – wie schon zuvor auf Loving in Stereo – die ganze Bandbreite von Hip Hop über Soul bis zu Disco ab, klingen aber eigensinniger als auf dem Vorgänger, der bisweilen wie ein akribisch geplantes Chart-Topper-Projekt daherkam. Damit schaffen Jungle geniale Momente, aber abseits von diesen wirken die Songs etwas zusammengewürfelt.
Dass im Volcano Neues brodelt, macht schon der Opener Us Against the World deutlich – mit treibender Basslinie und einem Energielevel, das den Ton für die erste Albumhälfte angibt. Jungle schrauben den Soul zu Beginn etwas zurück und drehen dafür die Tanzbarkeit aufs Maximum, am deutlichsten auf Holding On. Die in den Hintergrund gemischten, verzerrten Lyrics haben hier keine Bedeutung mehr, der Song ist für die Festivalbühne oder den Club gemacht. Dafür, dass hinter Jungle im Prinzip nur zwei weiße Jungs stecken, ist die Performance sowieso stets von überragender Bedeutung: McFarland und Lloyd-Watson lassen meist ihre Artworks, Gastmusiker und wunderschönen Musikvideos für die Musik sprechen – und live ihre siebenköpfige Band.
Apropos Musikvideos: Für die beiden Vorab-Singles und Sommer-Banger Candle Flame und Dominoes wurden zwei aufeinander aufbauende One-Shot-Videos gedreht, die einen mit ihren exzentrischen und perfekt inszenierten Choreografien atemlos zurücklassen. Mit dabei sind wie schon bei der ikonischen Casio-Choreografie die Tänzer:innen Will West und Mette Linturi. Musikalisch funktioniert die Verbindung von Disco und Erick the Architects Rap-Parts auf Candle Flame perfekt, und zusammen mit dem Ohrwurm-Riff auf Dominoes liefern Jungle verlässlich einen Sommer-Doppelhit.
Den starken Auftakt des Albums vervollständigt I’ve Been in Love mit Channel Tres, eine weitere gelungene Rap-Fusion. Erneut schlängeln sich die musikalischen Einflüsse von den 70ern bis in die 90er, und auch wenn das Keyboard-Thema etwas recycelt klingt, trägt es doch zur sommerlichen Leichtigkeit bei, die spätestens hier voll einschlägt und auf Back in 74 vollendet wird. Der Song handelt vom Heimkehren und Zuhause sein – “Oh, back on 74, Call this place my home, Never gonna cry anymore” – und der Sound ist dementsprechend „klassisch“ Jungle.
Damit wird allerdings ein eher unspektakulärer Mittelteil des Albums eingeläutet, der den Erwartungen, die sich nach den ersten Tracks aufbauen, nicht mehr gerecht werden kann. Jungle sind, auch wenn sie es immer wieder versuchen, eigentlich keine Albumkünstler. Ihre Songs sind Einzelkunstwerke, ihre Musik ein eigener Vibe, aber ein Narrativ, ein Gefühl oder eine musikalische Idee über eine Dreiviertelstunde zu erkunden, das wäre den beiden Musikern wohl schlicht und ergreifend zu langweilig. So stürzen sie sich auch auf Volcano immer wieder in neue Sounds, mal klassischer Soul, mal Afrobeat-Rhythmen (Coming Back), dann wieder ein 70s Remix (Don’t Play). Und immer wieder kehren Jungle auch zu ihrer Erfolgsformel, dem einfachen und unanstößigen Disco-Soul zurück. Dafür ist Problemz ein schönes Beispiel – ein Genuss im Hintergrund, knapp an der Fahrstuhlmusik vorbei.
Wenn man nach einem Bogen sucht, der das Album umspannt, dann ist es am ehesten das Bild des Sommertags. Vom aufregenden, sonnendurchfluteten Morgen des ersten Drittels, über die gelösten Partytunes des Mittelteils, bis zum ruhigen, nicht enden wollenden Abend. Good At Breaking Hearts wäre in diesem Sinne ein schöner Abschluss gewesen. Die Ballade mit JNR Williams und Lydia Kitto trifft einen leichten, melancholischen Ton und lässt ausnahmsweise mal Zeit zum Nachdenken.
Und es bleibt noch Zeit für den ebenso schönen Closer Pretty Little Thing, eine erneute Kooperation mit Bas, der schon bei Romeo auf dem letzten Album mitwirkte. Ein starker Track, der bis zu seinem Fade-Out den Eindruck verfestigen lässt, dass Jungle am besten sind, wenn sie sich zurücknehmen, ihre Fäden im Hintergrund ziehen und – Zeit für große Ideen – ein großes Collaboration-Album planen. So wie der erste Song Machine Teil 2020 für Gorillaz genau das richtige Format für die vielfältigen Features war, die Damon Albarn umsetzen wollte, könnte ein ähnlich kreatives Projekt der nächste Schritt für die Londoner Discoboys sein, um aus ihrem gewohnten Großstadtdschungel auszubrechen. Denn ihren Markenkern haben sie mit Volcano erneut, aber nun langsam auch erschöpfend, getroffen.
Jungle – Volcano
VÖ: 11. August 2023, Caiola Records
www.junglejunglejungle.com
www.facebook.com/jungle4eva
Jungle Tour:
05.11.23 München, TonHalle
06.11.23 Berlin, Verti Music Hall
13.11.23 Hamburg, Sporthalle
14.11.23 Köln, Palladium