Foto-© Patti Perret / A24 / X Verleih
„Nein, Sir!“ Er sei weder Kommunist noch Terrorist, und schon gar kein Homosexueller. Ellis French (Jeremy Pope) schreit dem Ausbilder bei seiner Ankunft im Bootcamp der US-Marines so laut entgegen, was er hören will, dass dieser sich leicht irritiert die Ohren reibt. Es ist 2005, ein paar Jahre nach 9/11, und beim amerikanischen Militär gilt die Regel: Don’t Ask, Don’t Tell. Rekruten dürfen nicht über ihre Homosexualität sprechen, und ihre Ausbilder dürfen sie nicht danach fragen – eigentlich. Ellis’ Ausbilder brechen diese Regel sofort, und dass ihn während der Grundausbildung hier Gewalt und Unterdrückung erwarten, ist offensichtlich.
Trotzdem ist Ellis hoffnungsvoll hier aufgetaucht, denn vorher hat er jahrelang auf der Straße und in Obdachlosenunterkünften gelebt. Seine religiöse Mutter hatte ihn wegen seiner Homosexualität zu Hause rausgeworfen, als er noch ein Teenager war. Mit Beginn des Bootcamps erhofft er sich einen Neustart – und nicht, wie seine Mutter in einer verstörenden Szene zu Beginn des Films vorschlägt, weil er glaubt, die Zeit bei der Marine würde ihn von seiner Homosexualität heilen.
„Dieses kleine Stück Papier ist alles, was ich noch von dir habe. Wenn du nicht als der Sohn zurückkommst, den ich zur Welt gebracht habe, ist diese Urkunde ungültig.“
(Ellis Mutter, als dieser sie um seine Geburtsurkunde bittet, um der Marine beitreten zu können)
The Inspection, das erste Feature von Regisseur und Drehbuchautor Elegance Bratton, folgt Ellis durch seine Ausbildungszeit und zehrt dabei von Brattons eigener Biografie. Er zeigt, wie hart der Militäralltag ist, für manche noch mehr als für andere: die grausame Homophobie, der Ellis ausgesetzt ist, als seine Kameraden von seiner Sexualität erfahren, ist teilweise kaum auszuhalten.
Doch genau hier bricht Bratton mit den altbekannten Narrativen und Sehgewohnheiten. Ja, Ellis leidet unter den homophoben Übergriffen seines Umfelds, doch durch seinen Blick wird das Trainingslager der Marines auf einmal auch zu einem sexuell aufgeladenen, homoerotischen Ort: so imaginiert er die karge Gruppendusche als Herrensauna oder streunt als Nachtwache zwischen den Betten seiner Kameraden, während diese masturbieren. Die Intensität des Trainings und die körperliche Nähe, die die Rekruten miteinander teilen, verschwimmen mit Ellis’ Fantasien, und in manchen Szenen gleichen die Bilder eher einem Gay Club als einer Baracke.
Die Überraschung von The Inspection ist, dass wir den Protagonisten nicht als Opfer erleben. Im Gegenteil scheint Brattons Film mit der Zeit trotz aller widrigen Umstände immer unbeschwerter zu werden und findet in vielen Bildern Raum für Humor. Hier liegt die Stärke des Films: Die repressiven Gewaltszenarios der Militärausbildung haben wir so oder so ähnlich schon etliche Male gesehen. Doch in vielen spielerischen, kreativeren Momenten schafft Regisseur Bratton es, die Aggressivität, Gewalt und die Erotik, die das hyper-maskuline Umfeld des Militärs mit sich bringen, miteinander zu verflechten.
Dadurch gewinnt Ellis eine Deutungshoheit über sein eigenes Dasein in diesem ihm so feindlich gesinnten Umfeld, die man nicht hat kommen sehen – und die queeren, Schwarzen Charakteren in Filmen und Serien, die Diskriminierungserfahrungen behandeln wollen, immer noch viel zu selten gewährt wird. So findet er am Ende tatsächlich seinen Weg zu Selbstbewusstsein und Anerkennung – wenn auch vielleicht nicht ganz so, wie man es erwartet hätte.
The Inspection (USA 2022)
Regie: Elegance Bratton
Besetzung: Jeremy Pope, Gabrielle Union, Raúl Castillo, Bokeem Woodbine, McCaul Lombardi, Aaron Dominguez, Eman Esfandi
Kinostart: 24. August 2023, X Verleih