HUSTEN – Aus einem nachtlangen Jahr

Aber was hab ich getan, um das alles hier in
einem besseren Zustand zu hinterlassen?
Eigentlich nicht viel
Ich hab mal drüber nachgedacht
Ja das hab ich schon

Und ich kam auf keinen grünen Zweig
Und am Ende tat ich mir einfach nur leid
(und dachte)

Schade eigentlich, dass all die schönen
Dinosaurier ausgestorben sind
und dafür wir jetzt an der Spitze der
Nahrungskette stehen
Denn wenn man’s genau betrachtet
haben wir’s einfach nur verkackt

(Husten – Nüchtern im Club (Nihilistendisco))

Wenn irgendwann Bilanz gezogen wird, welches deutsche Lied den Umgang mit der schon lange nahenden und bereits allerorten spürbaren Klimakatastrophe am subtilsten auf den Punkt gebracht hat, dürfte Nüchtern im Club (Nihilistendisco) weit vorn liegen. Denn die Berliner Promi-Band Husten schafft es hier, ganz ohne Prediger-Gehabe oder platte Phrasen den frustrierend larmoyanten Zeitgeist dieser Jahre einzufangen: Furchtbar schlimm das alles, aber irgendwie kann und will ich nichts ändern.

Zu einem knackigen Funk-Groove, wie man ihn in den 80er Jahren von den Talking Heads oder Gang Of Four zu hören bekam, schildert Sänger Gisbert zu Knyphausen das menschliche Dilemma, mit offenen Augen als “Könige der Gier” in den Abgrund zu rennen (“Wir haben’s verkackt”) – und sich dabei auch noch leid zu tun. Dieser Husten-Song vom fabelhaften neuen Album Aus einem nachtlangen Jahr ist wohl der erschütterndste von mehreren ähnlich düsteren aktuellen Liedern der Herren Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Tobias “Der dünne Mann” Friedrich.

“Ja, der Text ist krass”, sagt der solo ebenfalls sehr erfolgreiche Singer-Songwriter zu Knyphausen im Interview. “Wir haben auch überlegt, ob wir den so stehen lassen können, weil er wirklich ein Gefühl abbildet im Sinne von: Vielleicht kann es die jüngere Generation noch lösen, vielleicht ist’s aber auch schon zu spät, viel Hoffnung haben wir nicht mehr für die Menschheit.” Dies sei aber “natürlich nicht unsere Grundhaltung dem Leben gegenüber, das kommt hoffentlich in anderen Songs rüber”.

Ja, aber muss schon ein bisschen suchen nach dem Silberstreif am Husten-Horizont. Und findet ihn womöglich in Flamingo Hotel oder dem selbstreflexiven, klugen Liedermacher-Track Für immer und ewig. Aber auch diese Stücke sind von einer skeptischen Melancholie durchzogen, die ein bisschen schaudern lässt. Die ungemütlichen Porträtsongs Elli und Achim, du Träumer gehen ebenfalls sehr nahe, die beiden Sensibilisten zu Knyphausen und Friedrich haben auch hier Großes geleistet.

Eindeutig politische, anklagende Lieder sind für Husten gleichwohl “keine Option”, betont der im hessischen Rheingau aufgewachsene, schon lange in Berlin lebende Winzersohn zu Knyphausen. “Ich könnte mich darin nicht ernst nehmen, ein Lied mit klarer Schuldzuweisung, mit politischen Parolen zu schreiben. Ich finde politische Themen oft zu komplex, um sie in einen dreiminütigen Popsong im weitesten Sinne zu fassen.”

Was die Musik betrifft, haben Husten ihren schon auf dem tollen Debütalbum Aus allen Nähten (2022) gefundenen Indierock-Sound geschickt erweitert. Postpunk-Elemente tauchen nun ebenso auf Anklänge an allerfeinsten US-Folkrock von Wilco oder Bright Eyes. Vor allem wird klar, dass dieses Trio (erweitert um mehrere Gastmusiker) durch die Live-Auftritte des vergangenen Jahres zu einer echten Einheit verschmolzen ist – also längst viel mehr als nur drei bekannte Musiker in einer Zweckgemeinschaft.

“Ja, Aus einem nachtlangen Jahr ist tatsächlich auch für uns drei wahrnehmbar eine richtige Band-Platte”, bestätigt zu Knyphausen im Interview. Er finde “die Auseinandersetzung mit den anderen Köpfen immer inspirierend. Deshalb habe ich auch so große Lust, neue Projekte zu starten oder mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten (…) Weil ich mir bei meinen eigenen Songs manchmal zu sehr selbst im Wege stehe oder zu sehr in meiner eigenen Suppe schwimme, so dass ich den Wald nicht mehr sehe vor lauter Bäumen.”

Nach der Veröffentlichung von Aus einem nachtlangen Jahr (passenderweise im Herbst) und der Live-Präsentation des Albums will zu Knyphausen aber irgendwann auch wieder neue Solo-Stücke herausbringen. “Im November ist die wilde Tour-Phase dieses Jahres vorbei – da werde ich nächstes Jahr ein klein wenig zurückschrauben und mir Zeit nehmen für ein neues Gisbert-Album.”

Gut zu wissen. Ach ja, woher kommt eigentlich der gerade in Pandemie-Zeiten seltsam klingende Bandname? Zu Knyphausen klärt uns auf: “Die langweilige Antwort ist, dass es ein Name ist, den Tobi (Friedrich) schon lange mit sich rumgetragen hat. Er hatte mal angefangen, unter dem Projektnamen Husten Songs zu schreiben und zu arrangieren – wohl weil er ein Fan ist von der amerikanischen Band Soul Coughing. Jetzt, nach der Pandemie, können wir sagen, dass wir dem Husten wieder einen positiveren Beigeschmack geben wollten.”

Husten – Aus einem nachtlangen Jahr
VÖ: 29. September 2023, Kapitän Platte
www.facebook.com/Hustenmusik
www.kapitaenplatte.bandcamp.com/album/aus-einem-nachtlangen-jahr

Husten Tour:
11.10.23 Bielefeld, Bielefelder Songnächte@Forum
12.10.23 Hamburg, Knust
13.10.23 Dortmund, FZW
14.10.23 Köln, Gebäude 9
15.10.23 Frankfurt, Das Bett
17.10.23 Berlin, Columbia Theater
18.10.23 Leipzig, UT Connewitz
19.10.23 München, Strom
20.10.23 Reutlingen, franzK
21.10.23 Karlsruhe, Tollhaus
22.10.23 Hannover, Kulturzentrum Faust (Mephisto)

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Werner Herpell

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