Foto-© Paula Hornickel
In der elektronischen Musik geht es oft ordentlich zur Sache. Mit voller Rave-Kraft voraus. Das ist nicht der Weg, den Marius Lauber unter dem Namen Roosevelt im Auge hat. Bei ihm läuft es seit zehn Jahren, seit der EP Elliot, subtil und international gestimmt. Er ist einer, dem die Geschmeidigkeit des französischen House genauso liegt wie Disco-Sound oder Elemente aus dem Synthpop der Achtziger. Melodien sind bei ihm jederzeit möglich. Lauber ist nicht nur DJ und Produzent, sondern auch Sänger und Musiker. Daran wird sich bei ihm im Grundsatz nie etwas ändern, wie er im Interview erklärt. Aber der Weg zum Ziel kann ein anderer sein. „Auf dem neuen Album gibt es kein durchgehendes Konzept wie auf dem Vorgänger Polydans. Es fühlt sich jetzt wie ein Mixtape aus einer Zeit an, in der ich mehr zugelassen habe“, expliziert er. Dieses Mal hat er sich nicht separiert und eingeschlossen. Er hat sich in den Flieger, Zug oder ins Auto gesetzt und an verschiedenen Orten auf der Welt an Tracks gearbeitet, die nun auf dem vierten Roosevelt-Album Embrace zu hören sind. Er will Einflüsse, Gedanken und Klänge umarmen. Lauber erzählt auch, wie die Kollaboration mit dem großen Nile Rodgers für die Single Passion im letzten Jahr zustande kam. Ein Interview mit Themenüberschriften.
Pandemie
Die habe ich ganz gut überstanden. 2020 waren bei mir keine Konzerte geplant, im Jahr danach ging es fast wieder los. Live-Musiker, Crews oder Booker hat es mehr getroffen. Ideen für Songs sind bei mir nicht während des Lockdowns entstanden.
Ich habe von Künstlern gehört, die sich in der schwierigen Zeit Gedanken gemacht haben. Will ich schon wieder ein Jahr ins Studio, dann auf Tour gehen, dann wieder ein Jahr ins Studio? Oder gibt es ein anderes Konzept, wie ich immer noch kreativ sein kann? Vielleicht ist in mir auch eine gewisse Demut entstanden, weil ich davor nicht über meine Position nachgedacht habe. Meine Laufbahn ist organisch angewachsen, Bausteine legten sich aufeinander. Die Pandemie hat mir geholfen, Ruhe reinzubringen.
Ich habe in der Zeit herausgefunden, dass ich auf jeden Fall weiter Musik machen will. Es ist wieder alles instinktiv aus mir herausgeflossen. Mein Kopf hat nicht aufgehört, Demos zu schreiben, die ich verwirklichen will. Man sollte sich nicht gegen etwas wehren, das Teil von einem ist. So ein Gefühl sollte man annehmen, umschlingen. Daher der Titel Embrace.
Die Zusammenarbeit mit Nile Rodgers
Mein Manager hat seinen Manager die letzten zehn Jahre genervt und regelmäßig E-Mails geschrieben. Ich hatte in jedem Interview betont, dass er für mich der Allererste ist, mit wem ich was machen will. Es war dann eine klassische unromantische Musikbusiness-Verbindung. Der Hamburger Produzent Tensnake hat schon mal mit Nile an einem Track gesessen und wurde mal von meinem Manager betreut, deswegen bestand da eine Verbindung.
Irgendwann habe ich eine Mail bekommen, dass Nile nächste Woche Zeit hätte. Ich habe zwei Demos für diesen Zweck geschrieben, die Gitarren habe ich für ihn offen gelassen. Mein Manager hat Niles Nummer geschickt und gesagt, dass er gerne mit den Personen telefoniert, bevor er Sachen mit ihnen einspielt. Eines Morgens um 6 Uhr, als ich noch geschlafen habe, sah ich auf meinem Display: Nile Rodgers ruft an. Dann haben wir eine Stunde telefoniert. Er hat sich wirklich für meine Laufbahn interessiert, viel über die Kollabo mit Daft Punk erzählt und gesagt, dass einer der beiden Songs der stärkere ist. Der Meinung war ich auch, also setzten wir uns an Passion. Eine Woche drauf hat er die Gitarren in den Abbey Road Studios eingespielt, wo er Creative Director ist.
Wenn ich jetzt bei Wikipedia meinen Namen in der Diskographie von Nile Rodgers sehe, ist das schon ein großer Ritterschlag. Ich bin da echt dankbar für. Wir haben uns später in LA für Fotos getroffen. Manchmal trifft man in dem Business Leute, wo es einfach überwältigend ist zu sehen, wie nett die sind. Er ist so einer. Ein tolles Gefühl.
Die inspirierendste Zeit in der Musikhistorie.
Mitte der Siebziger bis Mitte der Achtziger. Das fing bei mir schon bei der Band Beat! Beat! Beat! im stillen Kämmerlein in Viersen an. Ich hatte schon immer Lust, was Zeitloses zu machen, war nie vom großen Trend geflasht. Ich bin auf Bands gestossen, die was aus dieser Zeitspanne als Referenzen in ihren Songs haben, zum Beispiel LCD Soundsystem. Sie zählen die Namen der Leute sogar auf, um die es für sie geht. Für mich war es immer spannend zurückzuschauen und zu gucken, wo es herkommt, was damit gemeint ist. Mein Arbeitsprinzip lautet: Everything is a remix. Man kann sich an allem bedienen und was draus machen.
Disco Fever
Ich wollte nie ein Revival-Act sein. Die gibt es im Disco-Bereich mit Glitzer-Vorhang oder Musical-Gefühl. Ich habe immer versucht, das zu vermeiden, weil ich es zeitlos haben wollte und nicht aus einem Gefühl der Nostalgie heraus. Mich kicken Sachen, bei denen Melancholie in der Tanzbarkeit steckt. Diana Ross war da gut, sie hat unfassbar traurige Lieder gemacht, die im glamourösen Mantel von Disco stecken. Das reizt mich am meisten, auch in meiner Musik. Ich will keine eindeutige Stimmung. Ich will es wie bei Arthur Russell haben, der darüber singt, wie er in der Sonne schwimmt. Trotzdem hat er Traurigkeit in der Stimme. In der Disco-Zeit gab es einen Radio-Hit nach dem anderen. Da ging es nicht um diese Tiefe, die ich gut finde.
An welchen Orten die Songs entstanden sind
Ich hatte mehrere Häuser gemietet, in ihnen verbrachte ich ein paar Wochen. In Barcelona oder LA. Ich saß auch einige Zeit in Zügen oder Backstage-Räumen. Oder in der Nähe von Lake Arrowhead in den Bergen, nahe an den Skigebieten Kaliforniens. Dort habe ich die ersten Demos geschrieben, zwischen März und April 2022.
Letzten Sommer war ich zwei Wochen in New York, mit Laptop und Kopfhörern. Alles war dieses Mal sehr improvisiert. Ich habe mich gefragt, ob ich ein halbes Jahr in einem dunklen Raum sitzen oder ob ich es anders angehen will. Ich musste aus der Komfortzone raus, habe Kollegen getroffen, die eine andere Herangehensweise hatten. Purple Disco Machine gehörten dazu. Mit ihnen habe ich auf Festivals gespielt und ihnen gesagt, dass ich wieder nach Köln muss, um Schlagzeug aufzunehmen. Sie haben mir in Mexiko bewusst gemacht, wie absurd dieser Gedanke ist. Es gäbe auch Schlagzeuge und Mikros in Mexiko oder Kalifornien.
Man sieht das jetzt an den Songs Yucca Mesa und Lake Shore. Das sind Straßennamen in der Gegend um Joshua Tree herum, wo ich eine Woche ein Haus hatte. Ich habe da im letzten Sommer auf einem Festival gespielt, danach eine Woche Pause gemacht und was aufgenommen, mit Field Recordings und Sprachmemos. Da ist etwas enthalten, was ich mit dem menschlichen Sinnsystem erfasse. Es gibt ein Gefühl für eine konkrete Situation. Dadurch hat es mehr Haptik.
Synthesizer
Bei mir gilt die Regel, dass ich ein Gerät verkaufe, wenn ich es ein Jahr lang nicht benutze. Es ist kein Museum. Ich habe immer so 15 bis 20 Geräte im Studio und Lager, nehme sie alle für diesen und jenen Sound. Einiges kommt bei mir immer wieder vor, etwa der Juno-verstimmte Lead-Sound, nach dem viele Leute fragen. Es müssen keine Sammlerstücke sein, es geht auch preiswert. Ich bin großer Fan vom Micro Korg, den es neu für 500 € gibt. Der macht bestimmte Sachen besser als andere. Es gibt auch kleine Boxen von Korg für 100 €, die Sweeps machen und auf der Platte zu hören sind. Ich habe mir auch einen alten Prophet V für die Platte geholt. Der Juno klingt mehr nach Achtzigern und nach Kitsch, durch den Prophet hat es mehr Wärme. Es ist ein wilder Mix geworden, der mir Spaß macht.
Konzerte
Hier wird es keine radikale Veränderung geben, weil wir das bisher immer gut gemacht haben und ein gute Zeit bei den Live-Shows hatten. Es hat sich dieses Mal in der Vorbereitung so angefühlt, als wäre es von einem etablierten Act. Beim Album davor, bei Polydans, war es immer noch so, dass ich glaubte, die Leute in einer Stunde von mir überzeugen zu müssen. Durch die Ruhe, die ich jetzt im Vorfeld hatte, habe ich eine gewisse Gelassenheit, was die Live-Show angeht. Die Leute sind da und haben Tickets gekauft. Prima. Die Show wird dynamischer als sonst. Ich kann mir aus vier Alben Sachen herauspicken. Es wird es kleine Kapitel mit zwei oder mehr Songs aus einer Platte geben. Wir werden ein bisschen mehr einen Bogen spannen, uns Zeit lassen und Zwischenmusik einbauen, um die Diskographie zu erzählen. Das ist das Ziel. Wir freuen uns darauf.
Roosevelt Tour:
01.12.23 Hamburg, Fabrik
09.12.23 Köln, Live Music Hall
10.12.23 Berlin, Kesselhaus
12.12.23 Wiesbaden, Schlachthof