Foto-© Max Zerrahn
Ich nähere mich an
wär so gerne näher dran
aber ich komm nicht näher ran
ich komm nicht näher ran
alles ist nur Übergang
nur Übergang
(All diese Gewalt – Alles ist nur Übergang)
Es brauchte wohl eine Rückkehr Max Riegers in die die eigene Innenwelt, ein spürbares Ausatmen nach all dieser Wut und Verzweiflung, die sich voriges Jahr in dem monolithischen, dunkel glitzernden Album-Juwel Die Nerven seiner gleichnamigen Band ein Ventil verschafft hatte. Vielleicht konnte der Nerven-Frontmann, nun ohne Julian Knoth und Kevin Kuhn an seiner Seite, nach dieser lauten, in proppevollen Gigs euphorisch bejubelten Indierock-Scheibe gar keine andere Platte machen als Alles ist nur Übergang unter dem Solo-Alias All diese Gewalt.
Daher haucht der Songwriter und Multiinstrumentalist nun die Titelzeile von etwas fehlt lediglich sanft heraus, wo er sie auf dem jüngsten Nerven-Kracher wohl gebrüllt hätte. Und er breitet in der Ballade Ihr seid nicht allein sowie dem abschließenden Titelsong eine behagliche Decke aus purem, tröstendem Schönklang über dem Hörer aus – mit plinkernden und seufzenden Gitarren, einem verhallten Klavier und warmen Bass-Tropfen. Der 30-jährige Top-Sänger, Top-Gitarrist und Top-Produzent (Casper, Stella Sommer, Ilgen-Nur, Drangsal, Jungstötter) schafft mit den überwiegend ruhigen, introspektiven, dabei aber nicht weniger intensiven Songs des vierten AdG-Albums eine hervorragende Überleitung zum hoffentlich 2024 erscheinenden nächsten Großwerk seines erfolgreichen Postpunk-Trios.
Dass es auf Alles ist nur Übergang – der Albumtitel deutet es an – ähnlich wie bei den Nerven oft um Transzendenz und Tod geht, hat Rieger kürzlich dem Rolling Stone (11/2023) bestätigt: “Auch das schwarze Album der Nerven handelt vom Sterben, aber eher als eine Art gesellschaftliches Phänomen: Da geht es um eine Welt, die vielleicht gar nicht merkt, dass sie stirbt, dass es mit ihr zu Ende geht. Hier geht es mehr um die persönliche Ebene: Irgendwie gibt es mir eine seltsame Ruhe, dass ich weiß, dass alles vorbeigeht. Ich finde das einen sehr tröstlichen Gedanken.”
Es gibt gleichwohl hier und da hörbare Verbindungen – also Songs, in denen All diese Gewalt und Die Nerven in Sound und Stimmung nah beieinander liegen. AB AB AB etwa, das längste Stück des neuen Soloalbums, zerrt mit marschierenden Rhythmen, sägenden Gitarren und druckvoll emotionalem Gesang (“Wir müssen alles abmontier’n”) an den Eingeweiden, ehe das Lied nach fünf Minuten in einem ambient-artigen Outro wieder zur Ruhe kommt. Ein fantastisches Stück deutschsprachiger Rockmusik, das erneut zeigt, warum Max Rieger ihr derzeit wohl wichtigster, kreativster Protagonist ist.
Ebenso ergreifend ist 21 Gramm, das vom Gewicht der Seele handelt. “Hier hatte ich gleich das Gefühl, dass dieser Zustand der Schwebe, den ich anstrebe, am besten gelungen ist: das Verhältnis zwischen hart und weich”, sagt der Wahl-Berliner. Dass das Weiche auf Alles ist nur Übergang dominiert, schmälert den Wert dieses “Nebenprojekts” überhaupt nicht. Riegers insgesamt neuntes Album mit Die Nerven und All diese Gewalt in nur rund zehn Jahren weicht keinen Zentimeter ab vom Kurs einer kompromisslosen Indiepop-Kunst.
All diese Gewalt – Alles ist nur Übergang
VÖ: 10. November 2023, Glitterhouse Records
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