Foto-© Inez & Vinoodh
Was ist die Steigerung eines Cover-Albums? Ein Mitschnitt, auf dem gleich ein gesamtes Konzert gecovert wird. Und dazu noch eins der bedeutendsten der westlichen Musikgeschichte. Im November 2022 betrat Chan Marshall aka Cat Power die Bühne der Royal Albert Hall in London und gab eine Song-für-Song-Neuauflage der Bob-Dylan-Show, die 1966 in die Musikgeschichte einging.
Stattgefunden hat diese allerdings in der Manchester Free Trade Hall, aufgrund eines falsch beschrifteten Bootlegs ist sie auch heute noch als Royal Albert Hall Concert bekannt. Dylan entschied sich, in der Mitte der Show von der akustischen zur elektrischen Version zu wechseln und mit der Rockband The Hawks zu spielen. Später wurde aus ihr The Band. Für Dylan damals ein Befreiungsschlag. Der Messias des Folk, der sich nicht mehr einschränken wollte. Das wurde nicht uneingeschränkt hofiert, aber läutete zweifellos eine neue Zeit ein. Dieses Momentum zu rekreieren, ist wahrscheinlich unmöglich. Marshall, die eine besonders starke Affinität zu dem Songwriter-Poeten und bereits drei Cover-Alben aufweist, wollte dem Künstler, den sie als “Gott Dylan” bezeichnet, Tribut zollen. So versucht sie sich uneitel, möglichst nah am Original am Zauber des Materials, das für Millionen von Menschen zur musikalischen Identitätsbildung beigetragen hat.
Marshall arbeitet mit nahezu identischer Instrumentierung, nur wenige Tonarten wurden angepasst, selbst der berühmte „Judas“-Ruf aus dem Publikum findet sich wieder. Marshall geht es hier offensichtlich nicht um Selbstverwirklichung, sondern um Ehrfurcht. Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied: Wo bei Dylan die Energie der Unbeugsamkeit und vielleicht auch Wut die Originalaufnahme trägt, ist es bei Cat Powers Interpretation eine tiefe, aber sanfte Emotionalität dem Material gegenüber. Natürlich erhalten Stücke wie Just Like A Woman oder Visions of Johanna eine neue Perspektive, wenn sie von einer Frau interpretiert werden. Von einer erwachsenen Frau noch dazu – Dylan war beim Originalkonzert gerade einmal Mitte Zwanzig. Die sehr viel geschmeidigere Stimme Marshalls meistert es, die Details wirkmächtig zu machen. Vor allem in Stücke wie Mr. Tamborine Man oder It’s All Over Now, Baby Blue kann man sich dank ihrer Führung fallen lassen, ohne den omnipräsenten Vergleich anzustrengen. Und auch wenn der akustische Teil der Platte eindrücklicher ist, lässt man sich auch auf Stücke wie One Too Many Mornings oder Baby, Let Me Follow You Down gerne gemeinsam mit ihr neu ein.
Cat Power Sings Dylan gibt keine neue Perspektive auf das Schaffen Dylans oder Marshalls. Emotional, braver, aufgeräumter – das alles war das Konzert in der Royal Albert Hall. Aber auch eine Erinnerung daran, welchen Stellenwert Musik im kollektiven sozialen Gedächtnis einnehmen kann. Davor keine Angst zu haben, sondern sich ganz und gar mit ihrem ganzen Können hineinzubegeben, das hat Marshall getan. Herausgekommen ist eine Aufnahme, die sentimental macht und beide glänzen lässt. Was für Balanceakt!
Cat Power – Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert
VÖ: 10. November 2023, Domino Records
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