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cumgirl8 sind eine Band über die viel geschrieben und gesprochen wird. Laut, bunt, anders – also eigentlich die Definition von Punk. Und so sollte man meinen, dass das Auftreten der Frauen in der amerikanischen Post-Punk-Band im Jahr 2023 niemanden mehr schockiert. Ist echte Provokation überhaupt noch möglich? Ist sie! Und cumgirl8 sind der lebende Beweis. Denn sie sind nicht nur laut, bunt und anders, sondern auch sexpositiv, unverblümt und weder mit ihrem Aussehen noch mit ihren Äußerungen auf Gefälligkeit ausgelegt.
Trotzdem sind Lida Fox, Veronika Vilim, Avishag Cohen Rodrigues und Chase Lombardo nicht auf Krawall gebürstet. Im Gegenteil. Nachdem wir unser Gespräch in Berlin auf Zoom verlegen mussten, sprechen wir offen und mit guter Laune über ihre EP phantasea pharm (via 4AD) und was ihren Arbeitsprozess und das Selbstverständnis von cumgirl8 ausmacht.
cumgirl8 als Kunstprojekt
cumgirl8 ist als erstes eine Band, aber auch ein Kunstprojekt. Das fängt bei den Live-Shows an. Diese sind auf Austausch mit dem Publikum ausgelegt, wie sie im Interview erzählen. Daher spiele es eine große Rolle, wie alt die Zuschauenden sind, wie die Energie im Raum ist und auch, ob die gespielten Songs schon veröffentlicht wurden oder nicht. Nach der EP ist nicht vor der EP für die Künstlerinnen. Wenn Menschen mitsingen und auf die gespielten Lieder reagieren, sei das immer etwas Besonderes. Doch auch wenn die Liveauftritte ein zentrales Element der Faszination cumgirl8 sind, sehen sie sich als Gesamtwerk, das nicht mit Musik beginnt und endet. Ihre Kunst entsteht um Ideen und Intentionen, die sich in den Songs wiederfinden.
Die Initialzündung für phantasea pharm passierte beispielsweise bei einem Konzert nach einer längeren Tourphase durch den Süden der USA. Bei der Vorbereitung einer Show haben sie Old MacDonald had a farm gehört und gesunden und ihre Outfits als Farmtiere gestaltet. Das hielt zwar nur ein paar Shows an, das Konzept für die Platte war jedoch geboren. Diese Anekdote zeigt, wie ungeplant und doch strategisch eingesetzt der Kreativitätsfluss von cumgirl8 ist.
cumgirl8 und die Platten
Die Bühne ist auch immer Teil des Schreibprozesses. Einige Songs beginnen hier, andere werden hier getestet und später verändert. „Performance before recording“: Passender kann die Energie vom cumgirl8 nicht beschreiben. Diese Direktheit findet sich auch in der bisherigen Veröffentlichungsstrategie wieder. phantasea pharm ist die dritte EP-Veröffentlichung der Band. Angesprochen auf das Format, kommen wir wieder auf Schnelligkeit und Reaktionen zu sprechen. Trotzdem sitzen alle Bandmitglieder gerade vor der Kamera in einem Studio und berichten, dass sie sich tatsächlich mitten im Schreiben eines Albums befinden. Also doch! Die freien Tage zwischen ihren Konzerten verbringen sie in Studios, dort, wo sie gerade sind. Dabei arbeiten sie kollaborativ zusammen, jede ist gleichberechtigter Teil des Schreibprozesses. Worum es dieses Mal geht, ist noch streng geheim.
cumgirl8 als feministisches Kollektiv
Dieses Bild – die ganze Band vor der Handykamera auf dem Boden eines Studios – ist symbolisch für das kollektive Selbstverständnis der Gruppe. Sie wollen bewusste der stereotypischen Dynamik von Bands entkommen und im Kollektiv handeln. Alle sind gleich. Keine Lust auf Leadership, wie erfrischend.
Das Auftreten der Band provoziert, polarisiert, ist politisch. Auf die Frage, ob das eine Reaktion auf die Gegebenheiten im Kulturbetrieb ist oder von Anfang an Teil des Konzepts war, sind sich die Künstlerinnen einig: cumgirl8 ist einfach so. Sexy und frei darin, sich auszudrücken, wie auch immer sie wollen. Sie waren sich von Anfang an einig, nicht zu erlauben, dass jemand diese Freiheit beschneidet. Und das sei eben politisch ohne es explizit darauf anzulegen. Maximale Freiheit, von denen sie hoffen, dass sie abfärbt. Sie erzählen, dass junge Mädchen, Frauen, und Transpersonen sich melden und darüber sprechen, dass ihre Freiheit abfärbt und das sei großartig, weil es funktioniere. Vergemeinschaftung also nicht nur in der Band, sondern idealerweise auch beim Publikum.
cumgirl8 und die breite Öffentlichkeit
Wie stark die Selbstverständlichkeit ihres Auftretens ist, zeigt auch ihre Einordnung negativer oder schockierter Reaktionen auf ihre Kunst. Sie freuen sich darüber, denn ähnlich wie die positiven Stimmen, sehen sie so, dass ihre Arbeit wirkt. Das sei die Definition von Kunst: zu erreichen, dass Menschen etwas fühlen. Oft sei das lustig, aber sie versuchen auch aktiv, auf ihre Kritiker:innen zuzugehen und zu fragen: „Why are you feeling that way?“ Sie laden solche Menschen aktiv ein, ihre Konzerte zu besuchen: „Come to the show, I will put you on the guest list and then you can decide if we are anorexic idiots.“ Das sei effektiv und mache Spaß.
Ständig der Öffentlichkeit und Bewertungen ausgesetzt, fungieren cumgirl8 als Rollenvorbilder aber auch als Kollektiv, an dem sich Menschen abarbeiten. Ich frage mich und die Band, ob sie damit manchmal auch hadern? Aber auch hier ist eine ehrliche Kompromisslosigkeit zu spüren. Es gäbe keinen Weg zurück, daher sind sie mit vollem Elan dabei. Außerdem sei es ein Gefühl von Selbstermächtigung und eine Bestätigung, dass es richtig ist, man selber zu sein. Ganz ohne Tribut ist das aber trotzdem nicht: „As tired as we are physically, I feel energized spiritually.”
Diese Energie spürt man in jeder Faser ihres Schaffens. Vielen Dank dafür!
