THE BATHERS – Sirenesque


Foto-© Gavin Fraser

Siren voices sing
Don’t they
Siren voices sing
We can make you a king

One day
We can make you a king
With fanfares
And melodies

Memories that take wing
By the harbours
Down in the bars
To hear them calling

Calling from afar
Where the sea is blue
Where the sea is green
It captured me with You

(The Bathers – Sirenesque)

Ältere Musikfans werden sich erinnern (und jüngere jetzt vielleicht nachschlagen): Es gab Zeiten, da war (Indie-)Pop aus Schottland sowas von hip und hitverdächtig. Aztec Camera, Orange Juice, The Jesus And Mary Chain, The Proclaimers, The Blue Nile und die Waterboys waren es, die in den 80er Jahren von Glasgow oder Edinburgh aus mit frischen, atmosphärischen Songs zum ganz heißen Scheiß wurden. In den 90ern kamen Travis, die Trashcan Sinatras, Idlewild und Teenage Fanclub hinzu. Fast jedes der Alben dieser Bands lohnt zumindest das Reinhören (reiferen Schottland- und Schotten-Pop-Fans wie diesem Schreiber sind sie längst liebgewonnene Nostalgie-Objekte geworden).

Warum die popgeschichtliche Vorrede? Weil es mit Sirenesque von The Bathers ein aktuelles Comeback-Album aus Schottland vorzustellen gilt, das in diesem Musikjahr an dieser Stelle nahezu unter den Review-Tisch gefallen wäre – was sich nach dem Motto “Fast verpasst, aber zum Glück nicht ganz” nun ändern soll.

Wenn man eine Band aus besagten 90er Jahren wirklich nicht mehr auf dem Zettel hatte, dann waren es The Bathers. Das Barockpop-Projekt um den jungen Gentleman-Songwriter Chris Thomson mit seiner vor der Zeit gereiften, spröden Crooner-Stimme hatte damals einige Alben vorgelegt, die komplett aus der von Grunge-Rock oder Hip-Hop geprägten Zeit fielen und zum Schönsten gehören, was diese Dekade vorzuweisen hatte. Dann, mit dem erneut epischen Pandemonia von 1999, war Schluss. Wie man hörte, machte Thomson in Familie.

Was sich mit einigen Neuauflagen alter Bathers-Alben – etwa der bei einem deutschen Klein-Label erschienenen Marina-Trilogie – seit 2020 andeutete, bestätigt sich nun: Es gibt wieder Interesse an den großformatigen, dunkel-romantischen Liedern des Chris Thomson. Zumindest in seiner Heimat ist die Begeisterung riesig für Sirenesque und die Wiederkehr von The Bathers. Dass ihr neues Werk das allerbeste, das Opus Magnum in einer wechselvollen Karriere sei, hatte man zwar schon öfter über diese Band gelesen – es macht die Aussage aber im aktuellen Fall nicht falsch.

Das kleine Label Last Night From Glasgow (LNFG), das sich seit einiger Zeit um die so liebevolle wie hochwertige Veröffentlichung älterer und aktueller schottischer Popmusik (Trashcan Sinatras, Starless, Sister John, The Bluebells, The Kingfishers, Love And Money) verdient macht, hat beim Bathers-Comeback jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Diese Musik ist ja auch immer noch spektakulär – wenn man ein Faible für emotionale, üppig instrumentierte Songs hat und, was Chris Thomsons Gesang betrifft, bei Tom Waits, Van Morrison oder Scott Walker andocken kann. Sirenesque ist überdies ein Album, das man unbedingt durchhören sollte, in dessen melancholische Stimmungen man sich fallen lassen sollte – also das Gegenteil von Spotify-Häppchen-Zeugs.

Von dem wie ein romantischer Tagesanbruch heranwehenden Instrumental-Opener Culzean (nur Thomson am Piano und etwas Vogelgezwitscher), über Artpop-Epen wie Locomotion Is Easy und The Camelia House, bis zu den Stücken der zweiten Albumhälfte, die vor orchestraler Grandezza nur so strotzen (Lost Bravado, Feathers, Books And Lace und She Rose Through The Isles werden vom Scottish Session Orchestra und den Prager Philharmonikern ausgeschmückt) – The Bathers haben noch nie nur gekleckert, aber hier klotzt die Band um Chris Thomson, Hazel Morrison und Callum McNair, als gäbe es kein Morgen.

Drei Songs dieses wunderbaren Albums sind dann doch hervorzuheben. Track zwei, das siebenminütige Titelstück Sirenesque, präsentiert nun zum ersten Mal seit vielen Jahren Thomsons früher seltsam “verbraucht” klingende, nunmehr für einen rund 60-jährigen Mann aber perfekt gealterte Baritonstimme, außerdem einige fantastische Gitarren-Soli von Thomson und Chris Montague auf einem Meer aus Streichern und Chören. Garlands wird nicht nur mit einem toll animierten Video präsentiert, der Song gehört auch melodisch und produktionstechnisch zu den Highlights. Und Welcome To Bellevue verzückt gegen Ende erneut mit der Kombination aus sinfonischer Opulenz und markanten E-Gitarren-Sounds.

Auch Sirenesque ist, mehr als 30 Jahre nach dem bescheidenen Start von The Bathers, wieder ein komplett aus der Zeit gefallenes Album. Wer sonst lässt heutzutage für ein Comeback mit ungewissem Ausgang ein rundes Dutzend Bandmusiker sowie zwei Orchester in Glasgower und Prager Studios antreten, um dort derart überdimensionale Lieder einzuspielen? Die Songs baden im epischen Schönklang wie nur wenige Produktionen der vergangenen Jahre – aber diese berührenden Klangmalereien erfordern halt auch die ganz breite orchestrale Palette.

Und Chris Thomson ist jetzt offenkundig zurückgekommen, um zu bleiben. Er behielt aus den ergiebigen Sessions der neuen Bathers noch Top-Material übrig. “Ich hab’s nicht so mit Doppelalben”, sagt er. “Für mich ergibt es mehr Sinn, das ‘Sirenesque’-Album jetzt erstmal rauszubringen und dann innerhalb der nächsten sechs Monate oder so eine zweite Ladung zu veröffentlichen.” Denn: “Nun habe ich so lange gewartet, da wäre es doch nett, das Momentum ein bisschen zu nutzen.” Sehr sehr einverstanden.

The Bathers – Sirenesque
VÖ: 14. Oktober 2023, Last Night From Glasgow (LNFG)
www.facebook.com/kelvingrovia
https://thebathers.bandcamp.com

YouTube Video

Werner Herpell

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