30 - 21
30. Daughter – Stereo Mind Game
Die Songs auf dem neuen, lang erwarteten Daugther-Album sind introspektiv und reflektierend, aber dennoch erfüllt von einer subtilen Energie, die durchdringt und mitreißt. Daughter haben sich in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Indie-Acts entwickelt und ihre Musik hat eine riesige Fangemeinde auf der ganzen Welt gefunden. Ihre einzigartige und eindringlichen Musik hinterlässt einen melancholischen Geschmack. Aber Melancholie muss nicht immer negativ wahrgenommen werden. Melancholie kann auch dazu führen, dass man eine tiefere Verbindung zu sich selbst, zur Welt und zu anderen Menschen aufbaut und genau so hören sich Daughter auch an.
29. shame – Food for Worms
Kaum war die Tour zum gefeierten Zweitwerk Drunk Tank Pink abgeschlossen, legten die britischen Indie-Rocker shame nach und kündigten mit Food for Worms das erste Album an, bei dem die Band nicht in sich gekehrt ist, sondern den Fokus auf die Welt um sich herum legt: “Ich glaube nicht, dass man ewig in seinem eigenen Kopf sein kann”, sagt Sänger Charlie Steen dazu. Bei einem Gespräch mit einem Freund nach einem ihrer Auftritte kam ihm ein abschweifender Gedanke, den er festhielt: “Es ist seltsam, nicht wahr? In der populären Musik geht es immer um Liebe, Liebeskummer oder um sich selbst. Es gibt nicht viel über deine Kumpels.” Drum erinnert Food for Worms an eine gewisse Mortalität, andererseits feiert es das Leben und die Einsicht, dass wir uns letztlich doch alle gegenseitig brauchen.
Gleichzeitig markiert das Album eine klangliche Abkehr von allem, was sie zuvor gemacht haben. shame haben ihre Post-Punk-Anfänge für weitaus vielseitigere Einflüsse aufgegeben und schöpfen aus den scharfen, aber unkomplizierten lyrischen Beobachtungen von Lou Reed und den melodischeren Werken der deutschen Band Blumfeld aus den 90ern. shame beauftragten den renommierten Produzenten Flood (Nick Cave, U2, PJ Harvey, Foals) mit der Umsetzung ihrer Vision. Die Live-Aufnahme jedes Titels bedeutete eine Art Kapitulation: Hier geben die rauen Kanten dem Album seine Textur; die Fehler sind interessanter als die Perfektion. In gewisser Weise erinnert das so an den Titel des Albums und daran, dass die Band mit dieser Platte ihre Zerbrechlichkeit umarmt und damit eine neue Quelle der Tapferkeit erschließt.
28. The Clientele – I Am Not There Anymore
Weitermachen mit einem gut eingeführten, harmonischen Sound – oder den Horizont erweitern und munter drauflos experimentieren? Diese Frage stellen sich viele Künstler im Laufe einer Karriere, doch die meisten Schuster bleiben am Ende bei ihrem Leisten. Nicht so die englische Indie-Band The Clientele, die auf dem programmatisch betitelten I Am Not There Anymore ins Risiko ging. Die pastoralen Britfolk- und Softpop-Melodien wurden zwar nicht gänzlich aus dem Klangbild der Band um Alasdair MacLean eliminiert, doch mit Dissonanzen und Spoken-Word-Passagen ergab sich eine Abkehr von der gewohnten Zugänglichkeit. Eine mutige Platte – belohnt von großem Kritiker-Zuspruch.
27. Billie Marten – Drop Cherries
Das vierte Album der britischen Songwriterin Billie Marten markiert das erste Mal, dass sie alle Songs geschrieben und koproduziert hat – dafür zog sie sich nach Somerset und Wales zurück. Die Songs befassen sich dabei mit Sehnsüchten und Herzschmerz – bei klanglicher Eleganz, verziert mit spannenden Details.
26. Sufjan Stevens – Javelin
Gitarre, Banjo, Piano, Orgel, Bass, Oboe, Saxofon, Querflöte, Akkordeon und Schlagzeug spielt Sufjan Stevens – unter anderem, wie sein Wikipedia-Eintrag noch verrät. Die Vielseitigkeit eines Multiinstrumentalisten kommt dem eigenbrötlerischen US-Amerikaner zugute, wenn er im stillen Kämmerlein – einem Brian Wilson oder Paddy McAloon nicht unähnlich – seine modernen “pocket symphonies to God” (oder wem auch immer) zusammenbastelt. Auch jetzt wieder, für Javelin – ein Großwerk, das Vergleiche mit den Genies von Beach Boys und Prefab Sprout durchaus zulässt. Wie die traurige Familiengeschichte von Carrie & Lowell ist Javelin textlich ein sehr persönliches Album. Will Anybody Ever Love Me? oder So You Are Tired etwa klingen wie Gebete oder doch zumindest sehr anrührende Bekenntnisse. Sufjan Stevens hat wieder mal ein von seiner komplexen Persönlichkeit tief durchdrungenes Solo-Werk geschaffen. Fremdbeiträge stammen lediglich von einem engen Freundeskreis.
25. CATT – Change
CATT macht Musik mit Tiefe. Sie erzählt über das Hier und Jetzt, über Veränderung und Transformation des Selbst. Ihr Motto ist Liebe, Leichtigkeit, Tiefe, Sehnsucht, Traurigkeit, Schmerz, Wunder und Neugierde – so auch auf ihrem zweiten Album! Seven Wishes erinnert an die junge Joni Mitchell. Klavier und Gesang gehen bei Band-Einsatz in eine Pop-Ballade über. Wild Heart vertieft den poppigen Charakter der ersten Hälfte des Albums, während Honesty Lies mit zarter Trompete ein gelungener Folk Track ist. No One Ever Tells You ist eines der Album Highlights und sticht als Pop Hit mit Ohrwurmpotenzial heraus. Dream Of A Sun Hat und I’m The Wind leben von Akustik-Gitarre und Trompete und sind wunderbare Wohlfühl-Sommer Hits, die zum Träumen einladen. Spell Me Free ist eine Ballade, die ihre klare kräftige Stimme hervorhebt und mit E-Gitarren Solo endet. Slow Motion Harmony bringt das Album ruhig und harmonisch zu Ende.
24. Romy – Mid Air
Wir feiern die ganzen Songs, die Romy, ansonsten Songwriterin und Sängerin von The xx, bisher solo veröffentlicht hat – umso schöner, dass nun mit Mid-Air seit einigen Wochen endlich das Solo-Debüt der Songwriterin vorliegt. “Es ist ein Album, das sich mit Liebe, Trauer, Beziehungen, Identität und Sexualität beschäftigt. Es ist ein Liebesbrief an die queeren Clubs, in denen ich Gemeinschaft und Anschluss gefunden habe”, sagt die Britin darüber. Die Entstehung des Albums, ihres ersten Soloprojekts, war ein Prozess, bei dem sie sich selbst außerhalb von The xx kennengelernt hat und in dem sie auch noch die Zeit hatte, sich zu verlieben. “Es ist in gewisser Weise ein Coming-Out-Album, obwohl ich mich in meinem persönlichen Leben schon vor langer Zeit geoutet habe, aber ich schätze, es ist auch ein Album zum Durchkommen – durch Trauer und Herzschmerz, hin zu Euphorie.”
23. The Bathers – Sirenesque
Wenn man eine Band aus den 90er Jahren wirklich nicht mehr auf dem Zettel hatte, dann waren es wohl The Bathers. Das Barockpop-Projekt um den jungen Gentleman-Songwriter Chris Thomson mit seiner vor der Zeit gereiften, spröden Crooner-Stimme hatte damals einige Alben vorgelegt, die komplett aus der von Grunge-Rock oder Hip-Hop geprägten Zeit fielen und zum Schönsten gehören, was diese Dekade vorzuweisen hatte. Dann, mit dem erneut epischen Pandemonia von 1999, war Schluss. Wie man hörte, machte Thomson in Familie.
Was sich mit einigen Neuauflagen alter Bathers-Alben – etwa der bei einem deutschen Klein-Label erschienenen Marina-Trilogie – seit 2020 andeutete, bestätigt sich nun: Es gibt wieder Interesse an den großformatigen, dunkel-romantischen Liedern des Chris Thomson. Zumindest in seiner Heimat ist die Begeisterung riesig für Sirenesque und die Wiederkehr von The Bathers. Dass ihr neues Werk das allerbeste, das Opus Magnum in einer wechselvollen Karriere sei, hatte man zwar schon öfter über diese Band gelesen – es macht die Aussage aber im aktuellen Fall nicht falsch.
22. Paramore – This Is Why
Warten auf Paramore lohnt sich immer wieder. Nach der x-ten Beinahe-Auflösung und Neuzusammensetzung der Band kamen die drei Verbliebenen die letzten Jahre zur Ruhe, und das Ergebnis war – ein Knall. This Is Why ist eines der besten Rock-Alben der vergangenen Jahre, mit Hayley Williams lyrisch und klanglich in Höchstform und cleanem Post-Punk, der sowohl in der Tiefe als auch mit krachenden Hits (C’est Comme Ca, This Is Why, The News) überzeugt. Auch wenn es normalerweise kein Qualitätsmerkmal ist: Die zwei Grammy-Nominierung für die Band kommen nicht von ungefähr. So viel Dringlichkeit und Groove war lange nicht mehr bei Paramore.
21. James Holden – Imagine This Is A High Dimensional Space Of All Possibilities
Der englische Produzent liebt die Konzeptidee. Dieses Mal dreht sich alles um den Spirit der Rave-Ära in den frühen Neunzigern. Als man in Britannien friedlich auf dem Feld feierte. Holden bedient nicht nur den 4/4-Beat, bei ihm spielen auch Jazz, Folk, Ambient und Weltmusik hinein. Und es bleibt Raum für Hintergedanken. Elektronische Musik der Extraklasse.