Foto-© Tonje Thilesen
‘Cause baby, you’re a time-bound entity
Event, like me
And we’re the party of the century
That makes you like a sunset
That makes you like a snowstorm
That makes you like a drought
That makes you like a war
(Katy Kirby – Party of the Century)
Manche Alben sind für den Sommer gemacht, andere für den Winter. Katy Kirbys zweite LP Blue Raspberry gehört zu den letzteren. Perfekt für Abende, an denen es schon vor fünf Uhr dunkel wurde, für melancholische Spaziergänge in der Kälte. Dabei sind die elf Songs der Texanerin viel mehr als nur eine weitere Anreihung vor sich hin tröpfelnder, melancholischer Singer-Songwriter-Spielerein.
Kirby zeigt sich auf Blue Raspberry fasziniert – von der Liebe und all ihren Graustufen – und faszinierend – mit einer deutlich breiteren instrumentellen Aufstellung und mehr konzeptionellen Kniffen als auf dem Debütalbum Cool Dry Place. Kirby ist unter anderem deshalb eine faszinierende Künstlerin, weil sie nicht nur ein sehr treffsicheres Gespür für zarte Singalongs hat, sondern aus ihrer Sozialisation im tiefkonservativen texanischen Outback mit christlicher Musik etwas Neues geformt hat, etwas freieres, queeres und gleichzeitig geerdetes.
Die besondere Stimmung, die dadurch erzeugt wird, spürt man schon gleich ab Track 1: Redemption Arc ist ein Rückblick auf die Reise, die die Sängerin in den letzten Jahren gemacht hat. Und mit dem folgenden Fences, einem kurzen, wunderschönen Folk-Song, setzt sie das Gespräch mit sich selbst fort und gibt ein Motto vor: „Swing for the fences, what’s the functional difference, you still get partial points just for trying.”
Die folgende halbe Stunde verbringen wir mit Katy fast immer unter 60 BPM, vor einem imaginären Kamin, und reflektieren mit ihr darüber, wie künstlich die eigenen Gefühle scheinen können, und ob Künstlichkeit eigentlich etwas Schlechtes ist. Cubic Zirconia und Salt Crystal greifen hier schön ineinander und winken sich von verschiedenen Enden des Albums zu.
Hand to Hand ist wohl der entrückteste Song in der jungen Karriere Kirbys. Kaum denkt man beim Aufbau und einigen melodischen Kniffen an Big Thief, kommen auch schon die klanglichen Experimente um die Ecke, an denen Kirby nach eigener Aussage bei diesem Album am meisten Spaß hatte. Ein Highlight ist die Ballade Party of the Century. Erst zwei-, am Ende vierstimmig gesungen, nur mit Gitarre und Streichern begleitet, erinnert der Track teilweise in seiner Leichtigkeit an die Kings of Convenience, bevor Kirby wieder ihren eigenen Twist findet. Mit dem Gedanken, dass alles Schöne und Schreckliche in unserer Endlichkeit liegt, liefert sie ein weiteres Mosaikstück auf diesem sehr von erzählerischen Bögen geprägten Album.
Das Herzstück des Albums, der Titeltrack Blue Raspberry, kommt erstaunlich spät, auch wenn er als erstes geschrieben wurde. Er erzählt davon, wie Katy sich das erste Mal in eine Frau verliebte. Lyrisch zommen wir ganz nah heran an diese Erfahrung, an die Verwirrung und Neugier, an die Faszination: „Straw stabbing the cherry at the bottom of her glass, Blinking back the sugar-water tears I see her nearly crying” und natürlich „From the lights of the laboratory she was surely born in blue raspberry” gehören zu den besten Zeilen des Albums.
Über die Entscheidung, danach den Track Table ans Ende der Platte zu stellen, werde ich noch lange rätseln. Eine gefühlte Ewigkeit sind die letzten E-Gitarren zu diesem Zeitpunkt her, und dann zeigt Katy plötzlich nochmal ihre andere, rockigere Seite. Ein kurzes, intensives Feuerwerk zum Abschluss. Sie lässt sie ihr altes Leben hinter sich: „Have you ever tried trying to run out, of everything you got?“. Mutig, laut, nachdrücklich.
Song für Song liefert Katy Kirby Beweisstücke dafür, dass sie das Zeug zum neuen Indie-Darling hat. Auch wenn ihr Debütalbum bereits ihre bezaubernde Stimme und ihren Witz präsentierte – Blue Raspberry ist ein Riesensprung, wirkt wie eine 3-D-Version ihrer Musik. Und so erzählt die Platte von der Liebe, wie wir sie fühlen. Kitschig, mit Streichern untermalt, aber auch mit großem Bewusstsein für die Absurdität, die all der künstlichen Aufbauschung, nach der man sich sehnt, innewohnt.
Katy Kirby – Blue Raspberry
VÖ: 26. Januar 2024, ANTI-
www.kirbykaty.com
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