Foto-© Tom Ham
My baby she’s so great
I wake up grateful every day
My baby is beautiful
All is love and love is all
Fuck the king
He ain’t the king
She’s the king.
(Idles – Gift Horse)
Man kann darüber streiten, durch wen und ab wann es in den Achtzigern abwärts ging. Im Rock bietet sich der Zeitpunkt des Durchbruchs gewisser Iren als Zeitpunkt des qualitativen Verfalls an. Erst klangen U2 ungemütlich, wie im Halbdunkel. Aber dann kamen 1983 das Klavier in New Year’s Day, Bonos pompöse Appelle und unerträgliche Massenhysterie. Von da an gab es auf der Welt nur eine Band. Wenn Musiker mit Major-Verträgen weiterkommen wollten, hatten sie gleichförmig und hymnisch wie U2 zu klingen. Keine Diskussion. Sonst landete man vor der Tür.
Diese ungute Erinnerung wird man nicht los, wenn man TANGK hört. Schon vorab, bei Grace, kam der Verdacht auf, Idles könnten dem Joshua-Tree-Vibe verfallen sein. Niemand geht auf die Barrikaden, alles klingt gemäßigt, Sänger Joe Talbot macht auf Harmonie: „No God, no king, I said love is the thing.“ Unterstützend bietet die Band aus Bristol im Merchandise ein Shirt mit der Aufschrift „Love Is The Fing“ an. Marktschreierischer geht es nicht. Natürlich ist gegen Herzenswärme nichts einzuwenden. Die brauchen wir alle. Und wenn man Vater ist, fühlt man sich anders. Nur: Man will Idles nicht als Mittler für diese Art von Gefühlslage haben. Man braucht sie als Gegenpol. Wenn der gottverdammte König, die Politik oder das System ankotzen. Wenn man Menschen braucht, die mit Mumm die Malaise malträtieren.
Stattdessen hört man in Idea 01 neoklassizistisches Geklimper. Oh dear. Idles haben zum ersten Mal mit Nigel Godrich zusammengearbeitet, der als Produzent von Radioheads OK Computer die Welt veränderte und längst ein Mann des Establishments ist. „We wanted to make a big left turn, wanted someone tethering us, stopping us disappearing up the wrong side of us“, erklärte Gitarrist Mark Bowen unlängst im Interview mit der BBC. Sorry, aber da hatten Nirvana die bessere Idee, als sie nach dem Erfolg von Nevermind Steve Albini in den Kontrollraum verfrachteten. Einer wie er hätte verhindert, dass bei Idles aus deren A Gospel ein nachdenklicher und sphärischer Track wird, der mehr mit Max Richter als mit Mark E. Smith zu tun hat. Roy ist im Ansatz besser, man punktet mit Spaghetti-Western-Feeling. Aber dann wird es doch irgendwie zu kuschelig und melodisch. Das Insistieren auf den Begriff Freudenfreude in Pop Pop Pop hat mehr mit Sorglosigkeit als mit Aufstand zu tun. Wtf?
Rettung kommt im letzten Drittel des Albums. Da stößt man in Hall And Oates auf eine räudige Gangart, die sehr an The Stooges erinnert. Im selben Stück schaltet man per Break auf Echo & The Bunnymen um – auch nicht schlecht. So etwas entspricht dem Post-Punk-Gefühl, das Idles so fulminant herüberbringen. Jungle ist kontrollierter, aber der an Link Wray gemahnende Twang sorgt für Spannung. „That gratitude cuts through my veins, I hold my hand up and I’m awake“, versichert ein befriedeter Joe Talbot. Zum Glück klingt er an dieser Stelle nicht sensibel oder harmlos, sondern wie Nick Cave auf der Birthday Party. Positiv ist auch Monolith zum Schluss. Der David-Lynch-Vibe lädt zum Gruseln ein, das Saxofon und der Jazz-Input überraschen. Man hätte die Idee ausbauen können, das Stück ist – wie das ganze Album – viel zu kurz.
Alles nur eine Momentaufnahme, womöglich. Schon im März stehen Idles in Deutschland wieder auf der Bühne. Live werden die Jungs in geräumigen Hallen sicher zu Berserkern. Da trainieren sie sich mehr Härte an, die ihnen danach im Studio hilft. Vielleicht denken sie bei der Gelegenheit an ihre Ursprünge. Wie heißt ihr zweites Album doch gleich? Joy As An Act Of Resistance. Das ist ein gutes Leitmotiv. Selbst im Zustand der Freudenfreude sollte man nicht vergessen, wie wichtig der Geist von Widerstand ist.
Idles – TANGK
VÖ: 16. Februar 2024, Partisan Records
www.idlesband.com
www.facebook.com/idlesband
IDLES Tour:
15.03.24 Berlin, Max-Schmeling-Halle
16.03.24 Hamburg, Sporthalle
21.03.24 Köln, Palladium – ausverkauft
22.03.24 München, Zenith
23.03.24 Frankfurt, Jahrhunderthalle