Foto-© Zoe Alma
You came close to the edge as you reached for the door
The medicine was bitter like nothing you’d tasted before
And you knew right then
You said, “I don’t want something already made
I want the image not on display
I want to be set free”
You felt for the words like the wings of a bird
Riding the winds of a dark form you heard
A voice, speaking low
It said, “I swim the deep waters
Dreams are my eyes
Deeper than blue”
And drifted from view
(Loving – Medicine)
Männer mit sanften Stimmen, gestreichelte Gitarren, behaglich ploppende Bässe, gedämpfte Keyboards, verhaltenes Schlagzeug – hmmm, brauchen wir wirklich noch mehr flüsternden Indie-Folkpop, dessen Spielfeld schon jetzt arg überfüllt ist? Ein klares Ja, wenn die Musik so hochwertig, feingesponnen und dann doch wieder originell daherkommt wie im Fall von Loving aus Kanada.
Loving? War da nicht was? Wer die in Berlin lebende, aus Südafrika stammende Singer-Songwriterin Alice Phoebe Lou kennt, die ihr ganz besonderes Charisma in Hunderten Straßenkonzerten, aber auch in größeren Clubs und mittelgroßen Venues weltweit unter Beweis gestellt hat, der kennt vielleicht/vermutlich auch Loving. Dabei handelt es sich im Kern um die Multiinstrumentalisten Jesse Henderson und David Parry, die seit langem Lou begleiten, ihr im Studio und auf der Bühne zur Seite stehen – und als Duo ähnlich bezaubernd klingen.
Mit ihrem zweiten Album Any Light sind Loving nun selbst auf dem Sprung zum internationalen Erfolg. Ihre “freshly polished soft-rock Americana” lobte gerade erst das Musikmagazin Uncut (Februar), und auch darüber hinaus dürfte diese Platte viel Beifall einheimsen (von Alice-Phoebe-Lou-Verehrern sowieso, denn die kennen ja diesen warmen, herrlich trägen, luftig produzierten Indie-Folkpop-Sound bereits bestens).
Ansässig sind Loving in British Columbia an der Westküste Kanadas. MIt dem feinen Debütalbum If I Am Only My Thoughts (kurz vor Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 erschienen und weiterhin bei Bandcamp erhältlich) setzten Henderson/Parry eine erste Duo-Studio-Duftmarke. Dann kam es zu der erwähnten Zusammenarbeit mit der südafrikanischen Kollegin Lou bei deren erfolgreichen Alben Glow (2021) und Shelter (2023), zu vielen gemeinsamen Auftritten in Europa – und jetzt ist endlich das Loving-Album Nummer 2 da.
“Soft spoken”, also leise und zurückhaltend, nennt man wohl den Gesangsstil, den die beiden Singer-Songwriter hier pflegen – man denkt da an Paul Simon, Sufjan Stevens, Josh Rouse oder Conor O’Brien (Villagers). Am ehesten vergleichbar sind die zehn kompakten Lieder (Gesamtlaufzeit knapp 30 Minuten) mit denen der norwegischen Kings Of Convenience, auch die frühen Piano-Pop-Songs von Gilbert O’Sullivan und der Westcoast-Sound der 70er haben Spuren hinterlassen (etwa in Gift).
Was die Tracklist betriftt, ist das im Risque-Disque-Studio auf Vancouver Island aufgenommene Album ein bisschen “front-loaded” – die intensivsten Ohrenschmeichler Any Light (schön Spotify-sperrig mit dem langen instrumentalen Gitarren-Intro), das federleichte Medicine (Harry Nilssons Everybody’s Talking lässt grüßen) und das sanft wiegende Midtempo-Stück No Mast sind allesamt in der ersten Hälfte untergebracht.
Aber auch danach hat Any Light noch einige Highlights zu bieten, bis es mit der Ballade Blue berührend ausklingt. Textlich verhandeln die Songs komplexe Themen wie romantische Liebe, Depression, existenzielle Unsicherheit und die psychischen Folgen des Lebens in einer zunehmend digitalisierten Welt – also kein leichter Stoff, der dem Easy-Listening-Appeal mancher Lieder direkt entspräche.
Die beiden Loving-Musiker spielten zwar den größten Teil der Instrumente selbst ein (Henderson: Klavier, Orgel und Gitarre; Parry: Gitarre, Bass, Schlagzeug/Percussion und zusätzliche Keyboards). Für die ausgefeilten Tracks nahmen sie aber noch etwas Hilfe befreundeter Musiker in Anspruch, darunter Evan Cheadle an der Gitarre, Colin Nealis für die Streicher und Keenan Mittag-Degala für weitere Percussions. So ist den Alice-Phoebe-Lou-Begleitern selbst ein ambitioniertes Album geglückt, das auch die befreundete Wahl-Berlinerin gern hören wird. Ein Indie-Folkpop-Juwel – defintiv besser als die meiste Konkurrenz.
Loving – Any Light
VÖ: 09. Februar 2024, Last Gang
www.lovingband.com
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