Wir haben die preisgekrönte Songwriterin und Multiinstrumentalistin Mine in Kreuzberg zum Interview getroffen, um mit ihr über ihr neues Album Baum zu sprechen, das am 2. Februar 2024 erscheint. Ein Gespräch über Therapie, Dankbarkeit und kreative Ausbrüche beim Joggen…
Ich habe heute Morgen in der S-Bahn auf dem Weg hierher dein Album gehört, die Sonne schien und ich hatte auf einmal so ein Gefühl von Neuanfang. Welches Gefühl verbindest du mit dem Album?
Meistens merke ich erst in der Retrospektive, wie ich das Gesamtgefühl zu einem Album empfinde. Gerade bin ich noch zu nah dran. Mein allgemeines Gefühl ist, dass die Situation auf der Welt gerade wahnsinnig bedrückend ist. Die politische Situation hat mich noch nie so sehr beängstigt wie jetzt gerade. Gleichzeitig geht es mir in meiner individuellen kleinen Blase so gut wie noch nie. Ich fühle mich gerade mit mir selbst ganz gut und es war immer ein großes Problem für mich, mit mir selbst okay zu sein. Ich habe das Gefühl, ich blühe gerade so richtig auf. Und das spiegelt sich für mich auf jeden Fall in dem Album wider.
Was bedeutet der Albumtitel, Baum, für dich?
Ich verbinde damit das Bild vom Wurzeln schlagen. Ich bin extrem dankbar für meine Situation gerade: Ich mache Musik und verdiene damit mein Geld. Ich hätte nie gedacht, dass das mal so funktioniert. Das ist absurd: Ich spiele Konzerte und es gibt Leute, die kaufen Karten dafür! Außerdem habe eine tolle Familie und tolle Freunde. Lauter Dinge, die ich lange Zeit in meinem Leben überhaupt nicht hatte. Das macht mich einfach sehr, sehr froh. Dieses Gefühl ist für mich sehr neu, und ich bin dafür einfach krass dankbar.
Wie schön!
Ja, voll cheesy.
In früheren Interviews hast du mal gesagt, dass es dir gar nicht so wichtig ist, mit deiner Musik erfolgreich zu sein. Kreative Freiheit steht für dich an erster Stelle. Der kommerzielle Erfolg ist jetzt sozusagen ein Bonus?
Ja. Wenn mein einziges Ziel wäre, mit der Musik erfolgreich zu sein, dann könnte ich, glaube ich, gar keine Musik mehr machen. Dann würde es mich gar nicht mehr mit Freude erfüllen. Für mich ist wirklich das Allerwichtigste, dass ich künstlerische Freiheit habe, dadurch habe ich erst richtig Bock auf Musik. Ich habe alle Möglichkeiten, mich auszuprobieren. Das Geile am wirtschaftlichen Erfolg ist, dass ich mehr Budget habe. So kann ich zum Beispiel mit allen möglichen Instrumenten arbeiten. Ich kann sagen: “Ich will Hörner? Cool, lade ich mir Hörner ein.” Das ging früher halt nicht. Aber wenn das jetzt nicht mehr so wäre, dann würde ich trotzdem weiter Alben machen. Ich würde mit etwas anderem mein Geld verdienen, aber der Prozess wäre derselbe.
Man hört dem Album an, dass du dieses Spielerische zwischen den Genres voll ausnutzt. Was waren deine musikalischen Inspirationen in der Produktion?
Ich höre gerade super viel Musik und bin sehr neugierig. Ich freue mich immer über Neuentdeckungen. In der Zeit, in der ich angefangen habe das Album zu schreiben, habe ich zum Beispiel sehr viel Chormusik gehört. Klassische Chormusik, viele kirchliche, religiöse Sachen, das hat mich krass gekriegt. Da stehe ich irgendwie total drauf, je düsterer, desto besser. Außerdem habe ich super viel Hyperpop gehört. Und ich mag die aktuelle Entwicklung, dass Techno in die Popmusik einzieht. Ich stehe zum Beispiel auch total auf Domiziana.
In welchen Momenten schreibst du? Und wie entscheidest du, welche Songs auf dem Album landen?
Ich habe noch nie einen Song geschrieben und ihn nicht rausgebracht. Wie die Songs entstehen, das ist aber ganz unterschiedlich. Ich habe tatsächlich sehr oft beim Joggen Momente der Inspiration! Manche Texte habe ich in zehn Minuten beim Joggen geschrieben.
Wow. Und dann tippst du den Text beim Laufen ins Handy, oder wie läuft das?
Entweder das, oder mit Diktierfunktion. Wo ich so drüber nachdenke, fast alle Songs, die mir persönlich immer noch am besten gefallen, sind beim Sport entstanden. Also ja, beim Sport habe ich die besten Ideen. Aber auch manchmal schreibe ich einfach nur so Worte rein. Ich habe einfach einen Notizzettel im Handy und dann schreibe ich einzelne Sachen rein.
Auf deinem neuen Album sind wieder ziemlich persönliche Songs zu hören, zum Beispiel Staub, in dem es um den Tod deiner Mutter geht. Was macht das mit dir, etwas so Persönliches zu veröffentlichen?
Es war auf jeden Fall eine Herausforderung. Als meine Mutter gestorben ist, hatte ich gar keine Zeit, wirklich zu trauern. Ich bin zwei Wochen später mit Fatoni auf Tour gefahren. Eigentlich hätte ich die Tour absagen müssen, aber irgendwie war ich mit der Situation wahnsinnig überfordert. Ich hätte mir damals eigentlich Zeit nehmen müssen, damit klarzukommen, aber ich habe nie wirklich darüber gesprochen. Das kann ich nicht so gut, wenn es mir gerade nicht gut geht, und ziehe mich dann eher zurück. Immer erst danach, ein paar Jahre später kann ich mich öffnen und darüber sprechen. So war es jetzt auch mit dem Song. Ich glaube, ich habe diesen Song irgendwie gebraucht.
Hat das Songwriting für dich also auch eine Art therapeutische Wirkung?
Ja, total. Das habe ich mit diesem Album verstanden, und auch in der Therapie. Meine Therapeutin hat das eigentlich vor mir verstanden (lacht).
Klassiker.
Das Schreiben war immer meine Art, mit mir selbst umzugehen. Ich habe nie mit Menschen über meine Probleme gesprochen, in meiner Kindheit nicht, in meiner Teenager-Zeit nicht, in meinem Erwachsenenalter nicht. Mein Safe Space war immer die Musik. Da konnte ich heulen, da konnte ich traurig sein, da konnte ich Gefühle haben, für die ich mich sonst gegenüber anderen geschämt habe. Ich habe mich nicht getraut, vor anderen zuzugeben, dass es mir nicht gut geht. Aber in der Musik hat mich niemand bewertet. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich nicht mit anderen schreiben kann. Ich schreibe nur alleine.
Wenn du den Schreibprozess alleine durchlebst und der Song dann fertig ist – ist dir wichtig, was die Welt davon hält? Oder ist das für dich eher ein bisschen so, das ist abgeschlossen für mich, macht damit, was ihr wollt?
Meinungen sind mir nicht so wichtig. Der Prozess an sich ist das, was mich erfüllt und wenn ich das nicht hätte, dann wüsste ich, glaube ich, nicht wohin mit mir. Das ist für mich mega wichtig, dass ich das habe und dass ich mich darauf immer berufen kann. Musik ist ja kein Charakter. Ich muss mit dem nicht interagieren, sondern ich kann mich da einfach auskotzen Das ist irgendwie sehr ruhiges Gefühl. Ja, wirklich voll wie Therapie. Ist doch schön, oder? Dass es das gibt, dass Kunst so etwas sein kann.
Obwohl du nicht mit anderen gemeinsam schreiben kannst, kollaborierst du ja regelmäßig mit anderen Künstler:innen. Wie entscheidest du, mit wem du zusammenarbeitest?
Also am wichtigsten ist für mich, dass ich denjenigen feiere. Ich bin ein hibbeliger Mensch und neige zu Übersprungshandlungen. Wenn ich irgendwas höre, was ich geil finde, dann frage ich immer direkt über Instagram an (lacht).
Du slidest also einfach in die DMs?
Ja! Und ich mag auch alle, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Bei Leonie Pérené kann ich das gar nicht sagen, weil ich habe sie noch nie getroffen, aber ich habe ihr Album unglaublich viel gehört. Also habe ich sie auf Instagram sie einfach gefragt, ob sie Bock hat. Und die Zusammenarbeit sieht eigentlich immer so aus, dass jeder seinen Part schreibt und ich das dann zusammenproduziere. Ich lasse den anderen Künstler:innen da komplett Freiraum. Ich will ja auch nicht, dass man mir was vorgibt. Und ich frage auch genau diese Künstler:innen an, weil ich ihre Kunst gut finde und nicht, weil ich will, dass sie meine Sachen performen. Es geht dann darum, den Prozess gemeinsam zu gestalten. Das hat für mich was mit gegenseitiger Wertschätzung zu tun.
Freust du dich auf die Tour?
Und wie ich mich auf die Tour freue! Ich habe so viele Ideen und wir sind gerade schon mittendrin. Das Bühnenbild steht fast. Auch musikalisch habe so viele verschiedene Ideen und muss mich jetzt richtig ranhalten, dass ich das alles zeitlich noch hinbekomme. Und ich freue mich einfach, die Leute wiederzusehen, die mit mir auf Tour gehen. Das sind alles meine Freunde, wir kennen uns ewig. Wir haben gemeinsam bei den ersten Touren auf dem WG-Boden gepennt und jetzt dürfen wir einfach mit so einem großen Bus herumfahren.
Mine Tour:
18.04.24 Hamburg, Grosse Freiheit 36
19.04.24 Essen, Zeche Carl
20.04.24 Köln, Carlswerk Viktoria
21.04.24 Leipzig, Täubchenthal
24.04.24 München, Muffathalle
25.04.24 Erlangen, E-Werk
26.04.24 Dresden, Stromwerk
28.04.24 Kiel, Pumpe
29.04.24 Bremen, Schlachthof
30.04.24 Berlin, Columbiahalle
02.05.24 Frankfurt, Zoom
04.05.24 Mannheim, Alte Feuerwache
05.05.24 Münster, Skaters Palace
07.05.24 Hannover, Pavillon
09.05.24 Stuttgart, Im Wizemann (Halle)