Bedroomdisco Top Alben – April

Foto-© Andreas Hornoff

Ostern steht vor der Tür und damit dieses Jahr auch der Wonnemonat April, der natürlich auch musikalisch hält, was er verspricht: es wird geklotzt und nicht gekleckert – und damit noch mal ein stabiles Fundament für die Alben des Jahres gelegt! Unsere Alben des Monats sind:

1. Kettcar – Gute Laune ungerecht verteilt (VÖ. 05.04.24)

Normalweise werden viele Bands ja im Spätherbst ihres Schaffens von Album zu Album belangloser – nicht so bei den Herren von Kettcar, die gerade in der Krise ordentlich ihre Flagge in den Wind halten. “Mittelmeer, Massengrab, so traurig hier, zynisch da“, lautet die erste Zeile, die Frontmann Marcus Wiebusch in der aktuellen Single Auch für mich 6. Stunde singt – es ist ein Song, der nachhallt und beim ersten Hören fordert – wie das gesamte Album. Die zweite Single Doug & Florence ist eine Klassenutopie und verhandelt die nur vermeintliche Gleichheit in unserer Gesellschaft. Und dann wäre da auch noch die erste Single München, die durch die aktuellen Geschehnisse – Stichworte: Landhaus Adlon, “Remigration” – eine wütend- und traurigmachende Aktualität erhielt. Wer dachte Kettcar wären durch, wird somit 2024 eines besseren belehrt – diese Herren haben immer noch die richtige Haltung, legen den Finger in die Wunde und recken die Faust in den Wind, vielleicht waren Kettcar nie wichtiger als aktuell.

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2. girl in red – I’M DOING IT AGAIN BABY! (VÖ. 12.04.24)

Schon seit den Anfangstagen bzw. den ersten Singles und EPs sind wir große Fans des Schaffens der norwegischen Sängerin, Songwriterin und Produzentin Marie Ulven Ringheim, alias girl in red. Nachdem die gerade mal 25-jährige Newcomerin 2021 mit ihrem Debütalbum If I Could Make It Go Quiet den großen internationalen Durchbruch schaffte und allgegenwärtig war, den Großteil des Jahres 2023 im Vorprogramm von Taylor Swift auf ihrer Eras Tour sowie auf ihren eigenen weltweiten Festivalauftritten verbrachte, folgt nun Streich #2…und was sollen wir sagen, Marie liefert und liefert und liefert! Beschwingte Gitarren treffen auf große Pop-Momente sowie offenherzige Lyrics.

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3. Maggie Rogers – Don’t Forget Me (VÖ: 12.04.24)

“I wanted to make an album that sounded like a Sunday afternoon”‚ erklärt Maggie Rogers in einem Brief, der die Geschichte der Entstehung ihres neuen Albums Don’t Forget Me erzählt. “Worn in denim. A drive in your favorite car. No make up, but the right amount of lipstick. Something classic. The mohair throw and bottle of Whiskey in Joan Didion’s motel room.  An old Corvette. Vintage, but not overly Americana. I wanted to make an album to belt at full volume alone in your car, a trusted friend who could ride shotgun and be there when you needed her.” Und wahrhaftig – die US-amerikanische Songwriterin serviert mit ihrem neuen 10-Song-starken Album ein angenehm zurückgelehntes Werk, das sie zusammen mit Ian Fitchuk (Kacey Musgraves, Maren Morris) in den Electric Lady Studios in New York produzierte.

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4. Parra for Cuva – Mimose (VÖ. 19.04.24)

Produktivität ist nicht dasselbe wie Kreativität. Während erstere geschieht, blüht zweite auf. Kreativität braucht Raum und Zeit um zu gedeihen und sogar „ein bisschen Langeweile“, sagt Parra for Cuva. Kürzlich hat der Künstler den Zustand des „inspirierten Müßiggangs“ im italienischen Ligurien erlangt, wo er in zwei aufeinanderfolgenden Jahren im Frühjahr eine Hütte gemietet hatte. Der Aufenthalt war gefüllt mit Besuchen von Freunden, Spaziergängen am Meer, gutem Essen und dem frischen Geruch der blühenden Mimosensträucher. Und er war die Inspiration zu Mimose – seinem bisher kreativsten Album. „Ich war etwas frustriert, weil alles was ich tat, irgendwie gleich klang. Ich wollte aus dieser Berlin-Blase raus“, sagt er. Der Trip nach Ligurien war der erste Schritt nach draußen, er hätte eine Flucht sein können, wurde aber zu einer Reise, die Parra for Cuva in bisher unbekannte Territorien mit seiner Musik führte. „Ich möchte die Leute mit meiner Musik herausfordern und ich denke, dieses Album tut das. Es klingt immer noch wie Parra for Cuva und doch anders.“ Und wahrhaftig – in der Leichtigkeit der elektronischen Kompositionen auf Mimose schimmert immer wieder die Wärme, die Sonne und die Leichtigkeit dieser Tage in Ligurien durch. Und das kann ja einfach nichts schlechtes sein!

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5. St. Vincent – All Born Screaming (VÖ: 26.04.24)

Die musikalische Karriere von St. Vincent ist durchzogen davon, immer wieder die musikalischen Grenzen zu verschieben, durch klangliche Experimente zu verblüffen und sich immer wieder weiter zu entwickeln – wovon unter anderem drei Grammys zeugen. Nur wie macht man das auch noch beim mittlerweile 7. Studioalbum? Man nimmt einfach noch mehr selbst in die Hand – so ist All Born Screaming das erste komplett selbst produzierte Album von Annie Clark und zeigt die Künstlerin, entsprechend ungefiltert und in direkter Umsetzung dessen, was Kopf, Herz und Hände auf Band bringen: “Es gibt Orte, an die man emotional nur gelangen kann, wenn man allein hinausgeht – um herauszufinden, was das eigene Herz wirklich sagt”, so Clark und ergänzt in Bezug aufs Album: “It sounds real because it is real.” Herausgekommen ist eine Einladung, die Grenzen dessen auszuloten, was machbar ist – und von dort aus weiterzugehen. Es entstand unter Mitwirkung eines absoluten Traum-Lineups aus Clarks Freundeskreis, darunter unter anderem Dave Grohl, Cate Le Bon, Justin Meldal-Johnsen, Stella Mogzawa und David Ralicke. Und eins ist bei St. Vincent eh klar – langweilig wird es hier nie!

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Newcomer:

1. Fabiana Palladino – Fabiana Palladino (VÖ: 05.04.24)

Fabiana Palladino wurde 2017 als eines der ersten Signings des Paul Institute bekannt, nachdem ihr R&B-beeinflusster wie vielseitiger Pop-Mix Jai Paul sofort begeisterte, der das Label daraufhin zusammen mit seinem Bruder A.K. Paul gründete. Nun in 2024 erscheint endlich das selbstbetitelte Debütalbum der britischen Sängerin, Songwriterin, Multi-Instrumentalistin und Produzentin. Das Album entstand nach dem Ende einer langen Beziehung und setzt sich mit komplexen Fragen zu Liebe und Einsamkeit in Beziehungen auseinander. Das Ergebnis sind 10 Songs, die sich von den großen R&B-, Soul-, Pop- und Disco-Studioproduktionen der 80er und 90er Jahre inspirieren lassen, gefiltert durch einen modernen Blinkwinkel. “I wanted to push myself production-wise,” sagt sie darüber. “I wanted high-production value sounds because I grew up listening to music that was made in studios, played by great musicians and recorded by brilliant engineers, and I really appreciate that.”

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2. English Teacher – This Could Be Texas (VÖ: 12.04.24)

Das Time Magazine ernannte ihren Song Nearly Daffodils zu einem der 10 besten Songs 2023, das Publikum feierte ihre Live-Performance bei Later….with Jools Holland und 2024 dürfte es für die Band aus Leeds ebenfalls spannend bis sensationell werden. Denn die 2020 gegründete Band um Frontfrau Lily Fontaine präsentiert im April ihr Debütalbum This Could Be Texas und klingt darauf wie ein dringlicher Post-Punk-Trip im Fahrwasser von Dry Cleaning, SPRINTS oder Porridge Radio!

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3. Finn Ronsdorf – From Mind We Arise (VÖ: 12.04.24)

Laut VOGUE ist der queere Berliner Sänger, Performance-Künstler, Maler und Komponist Finn Ronsdorf “mit seinem nahezu philosophischen Ansatz auf dem Weg, eines der interessantesten Pop-Gesichter Deutschlands zu werden”, die ZEIT nennt ihn Konzeptkünstler, die WELT schlicht Gesamtkunstwerk. Und wahrhaftig – Ronsdorfs Debütalbum umfasst ein breites Spektrum musikalischer Genres von Pop-Epos über Blues, Soul-Ballade, Indie-Rock, Schlaflied bis hin zu Cabaret. Seine Stimme bewegt sich zwischen zart-zerbrechlicher und kraftvoll-brutaler Expression und brachte ihm bereits Vergleiche mit Jeff Buckley, Otis Redding und Nina Simone. Und letztlich geht es dem Newcomer darauf vor allem um das Menschsein – fernab von jeglicher Kategorisierung, um das Verhältnis zwischen Identität und Gesellschaft, um die transformative Kraft der Selbstreflexion. So spannend war ein deutscher Künstler schon lange nicht mehr auf einem Debütalbum!

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Wiederkehrer: Endless Wellness – WAS FÜR EIN GLÜCK (VÖ:26.01.24)

Immer wieder Wien – die österreichische Hauptstadt hat es sich wohl zuletzt kulturell zur Aufgabe gemacht den Indie-Rock zu retten und schickt mit Endless Wellness den nächsten Hochkaräter auf die Newcomer-Fläche! So ist auf dem Debüt des seit 13 Jahren befreundeten und zuvor schon in anderen Band-Projekten zusammen tätigen Quartetts eine schrammelnde Westerngitarre zu hören, die übersteuert. Eine Orgel bietet Fläche, manchmal legt sich auch ein düsterer Synthesizer dazu. Es könnte Fuzz-Folk genannt oder schlicht dem allumfassenden Indie zugeordnet werden; sie könnten als Big Thief, nur auf deutsch, die frühen Tocotronic, aber später oder als Isolation Berlin aus Wien bezeichnet werden…Die obskur-poetischen, deutschsprachigen Texte sind eine laute Konfrontation mit Depression und schlagen zuletzt immer die Brücke zur Gesellschaft, vom Mikro- zum Makrokosmos. Es sind Lieder zum alleine Hören oder zum gemeinsam Tanzen, das Gewicht von den Schultern schüttelnd. Es ist eine ambivalente Spannung, die zwischen der drängenden Musik und den Texten über existenzielle Ängste schwebt. Damit schaffen es Endless Wellness, unsere Zeit und ihre Geister einzufangen und in melancholische, aber tröstende Wärme umzuwandeln. Das darf mit Humor passieren, mit Harmonien und auf jeden Fall mit Verzerrung. Es sind alternative Liebeslieder, für eine Achtsamkeit, für eine Zuversicht, für: Endless Wellness. Und ja, das ist so gut, wie es klingt!

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Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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