Foto-© Danielle Neu
I won’t join the collective
But I want to see you
I wanna tell you about the memories
Come due, are you the collection
Did you give up your heart
(Mumble rap)
Watch the numbers
If I don’t take a bite of the candy house I can’t escape
(Kim Gordon – The Candy House)
Es hat ein bisschen gedauert mit der guten Kim Gordon und ihren Soloaktivitäten. Sie kamen vereinzelt. Erst als eine Hälfte von Body/Head mit Bill Nace, dann als Teil des Projekts Glitterbust. 2015 veröffentlichte sie ihre Memoiren unter dem Titel Girl In A Band. Ihr erstes Album No Home Record lieferte vor fünf Jahren erste Indizien. Kommt ihr bloß nicht mit der falschen Unterkunft! „Rustic, romantic, Malibu getaway, arctic oasis, you are a plague, licensed guest house, false alternatives“, wetterte sie in Air BnB. Die Musik hatte noch etwas mit dem gemein, was man von der Band kennt, in der sie eine Weile war. Kratzgitarre und Punk-Mentalität erinnerten an Sonic Youth. Viel auf der Platte war aber auch anders. Trap-Beats statt Rock-Schlagzeug? Klar. Elektronische Störattacken statt Lärm über den Verzerrer? Unbedingt.
Man war vorbereitet. Aber alles verblasst schon im Vergleich zur ersten Kostprobe des neuen Albums. Der insistierende Rhythmus in Bye Bye ist fabelhaft, der kakophonische Kollaps am Ende ebenso. Kim geht ihre Packliste durch, Wimpernzange, Vibrator und Reizwäsche dürfen nicht fehlen. In der Summe klingt es garstig, aufreizend, humorvoll und verdammt catchy. In I Don’t Miss My Mind ertappt Kim Mitbürger dabei, wie sie Angebotsanreizen gegenüber masochistisch kapitulieren: „Stranded in this paradise, industry of nothing, I’ll trade you for a nail, drywall for days, drywall for a year, but don’t turn on the water.“ Scheiß’ auf den Versorger, ich will noch mehr bestellen – auch eine Lebensweise.
Männer bleiben ein Thema. Nichts Neues, klar. 1990 forderte Kim in Kool Thing den Aufbruch in eine neue Zeit. „Are you gonna liberate us girls from male white corporate oppression? Fear of a female planet?“, fragte sie damals. Jetzt sind die Kerle in I’m A Man Zweifler, die mit ihrer unterjochten Rolle umgehen müssen. „Dropped out of college, don’t have a degree and can’t get a date, it’s not my fault, I’m not bringing home the juice, I’m not bringing home the bacon, it’s good enough for Nancy.“ Kim hält nicht die Siegertrophäe hoch. Sie ist Feministin, keine Frage, sie freut sich über Fortschritte. Aber sie blockt den männlichen Reiz nicht gänzlich ab. „A man is looking at me, his eyes were so blazed, he made me feel like we fucked someway, we fucked somewhere…I still think about him, I still think of that man“, gibt sie in Treehouse zu.
Man merkt an vielen Stellen, dass es nicht um die Neuauflage der Daydream Nation geht. Eher ist es eine Grußadresse aus dem Nightmare USA. Wie es dort läuft, muss sie keinem und keiner erklären. Trotzdem feuert sie in It’s Dark Inside aus allen Lagen. „Send in the clowns, send in the army. You want to be American? Get your gun, you’re so free, you can shoot me“, alarmiert sie von der Perspektive in L.A. aus. Dort ist sie aufgewachsen, dort lehrte ihr Vater an der UCLA, dort studierte sie selbst und dort lebt sie wieder. Die lokale Kunstszene erregt ihr Interesse, aber so richtig gesund scheint es in selbiger nicht zuzugehen. Irgendjemand kocht sich Zeug auf, während drumherum alle Kids auf TikTok sind. „Drive by situation underneath the freeway, nite burning fires begin, LSD, MDMA, mushrooms, unintelligible, LA is an art scene“, resümiert sie in Psychedelic Orgasm. Ganz schön heavy alles. Aber man geht bei jeder Beobachtung und Episode des Horrors voll mit, auch weil Justin Raisen die richtige Produktion liefert. Er hat sonst Kundinnen am Start, die auf Breitenwirkung aus sind. Sky Ferreira, Charli XCX, Angel Olsen etwa. Er war schon auf No Home Record dabei. Jetzt liegt alles konsequent zwischen Suicide, Yoko Ono, The Young Gods und Leslie Winer. Industrial, Trap und Noise Rock reiben aneinander, überall knistert und kracht es. Ständig hat man das Gefühl, es breche zusammen und explodiere vor unseren Ohren. Apocalypse Wow.
Es muss erlaubt sein, auf das Alter dieser Künstlerin einzugehen. Sie wird im April 71. Wie wir wissen, freuen sich andere Menschen ihrer Generation über die Rente. Kim pfeift auf Altersalmosen kniet sich voll rein. Bei ihr klingt es nach Auftrag, nach Revolution. Sie hat etwas zu sagen, geht dazwischen, eckt an und findet mit Justin Raisen immer unter die Haut gehenden Sound für ihre Schauerreden. The Collective ist eine Machtdemonstration. Und wahrscheinlich schon das Album des Jahres.
Kim Gordon – The Collective
VÖ 8. März 2024, Matador Records
www.kimaltheagordon.com
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