Foto-© Heather Hazzan
You think I’m weird when I get too excited
I think it’s weird how you’re so empty-minded
Yeah, you’ve been dragging me down all of these years
With your coolness, and I don’t care
So please
Don’t say I’m too much
That I’m over the top
You don’t understand me
Yeah, we’re so different at heart
You’re on Earth, I’m on Mars
But I still keep tryin’
(girl in red – Too Much)
Bedroom Pop ist tricky auf der großen Bühne, tricky auf einer Major-Label-Platte. Soweit, so wenig überraschend. Was aber, wenn der Erfolg so groß wird, dass diese Veränderung fast schon erzwungen ist? Dann kann es kommen wie bei Billie Eilish und ihrem kometenhaften Debüt, oder es kommt so wie bei girl in red, die auf ihrer zweiten Platte noch ein wenig nach der Übersetzung ihres Charmes in die Leinwand-Pop-Welt sucht.
Mit knapp über 18 Jahren brachte Marie Ulven Ringheim eine fantastische Single nach der anderen, spielte sich mit Lo-Fi- und Alternative-Pop-Bangern wie i wanna be your girlfriend, summer depression, we fell in love in october in jede Playlist und New York Times Bestenliste.
Entsprechend waren die Erwartungen an ihr erstes Album if i could make it go quiet 2021. Bis auf ein paar Singles wie Serotonin konnte girl in red diese aber nicht einlösen. Und auch ihr zweiter Aufschlag I’M DOING IT AGAIN BABY! kann nicht an die frühe Magie anknüpfen. An Versuchen mangelt es nicht – das Album markiert den Übergang zum Pop mit großen „P“, und ist nicht nur persönlich, sondern auch in Produktion und Melodien stark von Taylor Swift beeinflusst, mit der girl in red letztes Jahr in den USA tourte. Manchmal klickt die so durchgerechnete Hit-Maschine, aber größtenteils nimmt man sie der sympathischen Norwegerin einfach nicht ab. Die Gleichzeitigkeit von energetischem Neuanfang und dem für girl in red essentiellen offenen Umgang mit Depressionen wird dabei gleich zu Beginn deutlich, mit den beiden Songs I’m Back und DOING IT AGAIN BABY.
I’m Back ist ein ehrliches Intro über Mental Health: „I’m back, I feel like myself, I was gone for a minute ’cause I went to get help, It’s not the end of the world Time doesn’t stop for a sad little girl”. Sound und Gesang sind zahm, zum Ende wird der Track mit hallenden Synths und gehauchter Weiblichkeit eins zu eins zu einem Taylor Swift Song. Direkt darauf folgt mit DOING IT AGAIN BABY die Manie zur überwundenen Depression im ersten Song. Und kommt mit gut geschichteten Gitarren und… Banjo. Das ist ein wenig wild, es ist überhaupt alles sehr zusammengewürfelt in den ersten 5 Minuten des Albums. Maries Stimme ist kaum wiederzuerkennen, so stark ist sie bearbeitet.
Der Grund, dranzubleiben, ist Too Much: Die Lead Single ist 100% girl in red – verletzlich, offen, anklagend – aber auch zuckersüß. Und Phantom Pain schließt gut daran an, die Produktion ist high-class, aber fast schon too much (ha!), verzerrte Vocals und Gitarren sollen der Musik die Ecken und Kanten geben, die auf den ersten, im eigenen Schlafzimmer aufgenommenen Songs, natürlicherweise stark waren. In einem starken letzten Drittel und all der Energie, die in epische Bridges gesteckt wird, lauert die nächste Swift-Parallele. Inhaltlich entwickelt sich ab hier leider nichts mehr weiter, persönliche Themen werden fallengelassen und mindestens drei oder vier Songs in der kurzen Tracklist sagen uns genau dasselbe, und dabei nicht viel: Du hast mir Unrecht getan, aber ich komm‘ schon damit klar.
You Need Me Now, die letzte Vorab-Single, ist konstruiert als Hit. Klassischer Aufbau und stärkere Rock-Influences – auch eine Richtung für girl in red, wird aber nicht weiter ergründet. Die Ankündigung des Features von Sabrina Carpenter in der zweiten Hälfte ist certified cringe, aber ansonsten funktioniert das alles als 2000er-Throwback gut. In der zweiten Hälfte des Albums finden sich kaum noch Highlights, dafür viele Klischees und Effekte. So schade es ist, teilweise wird die Attitüde sogar nervig (vor allem auf Ugly Side).
Eine letzte gelungene Kombination von girl in red’s typischen Schlaflied-Melodien mit stadiontauglicherem Elektropop bietet der vorletzte Track New Love. Auch der ist überproduziert, aber bleibt im Kopf. Der Schluss ***** (Five Stars), vielleicht aus einem geloopten Skit gebaut, wäre auf einem längeren Album ein interessantes Interlude, ist als Abschluss dieser gerade einmal 27 Minuten langen Platte aber irgendwie unpassend. Und dass hier ein wenig Hyperpop rauszuhören ist, verstärkt noch einmal die Frage: Wo soll die Reise hingehen?
Marie Ulven und das Produktionsteam probieren viel aus, aber es zündet wenig. Von der anfänglichen nahbaren Intensität ist wenig übrig, und was danach kommt bleibt weiter unklar.
girl in red – I’M DOING IT AGAIN BABY!
VÖ: 12. April 2024, Columbia Records
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