KAMASI WASHINGTON – Fearless Movement


Foto-© B+

Bright minds
With dark eyes
Speak loud words
Tell sweet lies

Lost without a trace of a way
To get out of this misery

Bright minds
With dark eyes
Speak loud words
Tell sweet lies

Bright minds
With dark eyes
Speak loud words
Tell sweet lies

Lost without a trace of a way
To get out of this misery

Bright minds
With dark eyes
Speak loud words
Tell sweet lies

(Kamasi Washington – The Garden Path)

Wie ein moderner afrikanischer König posiert Kamasi Washington vor einem großformatigen abstrakten Gemälde. Die archaische Ernsthaftigkeit und demonstrative Würde des Cover-Artworks zum neuen Album des US-Jazzgiganten wird konterkariert durch ein lachend ins Bild rennendes kleines Mädchen – Washingtons Tochter, die das aktuelle Meisterwerk des afroamerikanischen Komponisten, Saxophonisten und Bandleaders durchaus beeinflusst hat. Aber dazu später mehr. Zunächst mal bleibt festzuhalten, dass Kamasi Washington sich wie auf seinen vorherigen Monumentalplatten The Epic (2015) und Heaven And Earth (2018) schon rein optisch grandios zu inszenieren weiß.

Im Vergleich zu diesen beiden vielfach ausgezeichneten Dreifach-Alben mit 173 beziehungsweise 183 Minuten Gesamtspielzeit fällt Fearless Movement fast bescheiden aus – das fünfte Studiowerk des 43-jährigen Jazz-Erneuerers ist “nur” gut 86 Minuten lang. Aber auch diese knapp eineinhalb Stunden haben es wieder in sich und bieten in leicht kondensierter Form alles, was die vielen Fans dieses ungemein renommierten und populären Musikers (als einer von wenigen Jazzern unserer Zeit erreicht er hohe Popcharts-Platzierungen) erwarten: Spiritual Jazz, Soul, Funk, Gospel, Hip-Hop – zusammengerührt mit fabelhafter Expertise zu all diesen Musik-Genres und mit großer Neugier für die Zukunft eines so ambitionierten wie massentauglichen Jazz.

Kamasi Washington ist zwar ein furchtloser Grenzüberschreiter (der Albumtitel Fearless Movement spielt darauf an), er umgibt sich dafür aber gern mit vertrauten Musikern seiner kalifornischen Westcoast-Jazz-Community. So sind auch auf den zwölf bis zu dreizehneinhalb Minuten langen neuen Tracks befreundete Kolleginnen und Kollegen wie Sängerin Patrice Quinn, Keyboarder Brandon Coleman, Saxophonist Terrace Martin, Bassist Thundercat und Schlagzeuger Ronald Bruner Jr. zu hören. Zugleich integriert der Bandleader Promis wie P-Funk-Legende George Clinton oder Hip-Hop-Ikone André 3000 (als Flötist) in seinen mächtigen Sound. Doch nie hat man den Eindruck, dass dieses Album lediglich ein schnödes Star-Vehikel oder eine Bühne für exzellente Selbstdarsteller werden könnte. Fearless Movement bleibt immer eine Band-Platte.

Washingtons Ausgangsthese lautete diesmal: Wir sind alle als elastische Wesen geboren – wenn man allerdings nicht in Bewegung bleibt, verliert man diese körperliche Fähigkeit. Deshalb ist der Tanz das zentrale Thema, quasi als Metapher für Flexibilität. “Wenn die Leute hören, dass ich ein Tanzalbum mache, ist das nicht wörtlich gemeint”, räumt der US-Musiker zugleich ein. “Tanz ist Bewegung und Ausdruck, und in gewisser Weise ist es das Gleiche wie Musik – man drückt seinen Geist durch seinen Körper aus. Das ist es, was dieses Album antreibt.”

Modische Dancefloor-Beats sind also auch von Fearless Movement nicht zu erwarten – es geht mehr um eine Haltung. Viele Stücke unterscheiden sich daher nicht grundlegend von früheren Kompositionen: kraftvoll-virtuoses Sax-Gebläse des Meisters, ausladende Piano-Soli, Chöre, Streicher – immer noch alles episch angelegt, vielleicht etwas rhythmischer ausgerichtet (etwa in den treibenden Handclaps von Lesanu), ohne sich als Fusion- oder Crossover-Jazz anzubiedern. Das längste Stück der Platte ist zugleich einer ihrer Höhepunkte: Road To Self schwelgt in prächtigen Melodien und exzellenten Soli auf der Grundlage von fantastischen Bass- und Schlagzeug-Grooves. Der pure Wahnsinn.

“Die Welt ist stehengeblieben, aber ich habe definitiv nicht aufgehört”, sagt Washington mit Rückblick auf die globale Pandemie seit dem letzten Monumentalalbum Heaven And Earth. Zu Covid-Zeiten begann sein Fearless Movement. “Meine Tochter wurde genau in der Mitte davon geboren”, erzählt er. “Das sind zwei ziemlich große und monumentale Dinge, die gleichzeitig passieren. Eines, das jeden verändern würde, und eines, das jeden verändert hat.” Er hatte mit der Arbeit an einem Ballett begonnen und überlegte, wie er den Tanz mit seiner eigenen Musik verbinden könnte. Die Vaterschaft habe Kamasi Washington zudem “ein neues Gefühl der Dankbarkeit gegeben”, betont sein Label Young.

Fearless Movement beginnt daher mit einem Gebet in Ge’ez, der Sprache der äthiopisch-orthodoxen Bibel. Der Opener Lesanu sei “eine Widmung an einen verstorbenen Freund von mir und ein Moment, in dem ich für meinen Weg danke. Vater zu sein bedeutet, dass der Horizont deines Lebens plötzlich auftaucht. Meine Sterblichkeit wurde mir bewusster, aber auch meine Unsterblichkeit – ich erkannte, dass meine Tochter weiterleben und Dinge sehen wird, die ich nie sehen werde. Ich musste mich damit abfinden, und das wirkte sich auf die Musik aus, die ich machte.” Etwa im zweiten Track Asha The First, inspiriert von einer Piano-Melodie, die das Töchterchen immer wieder spielte.

Die privaten Hintergründe schlagen also auf Kamasi Washingtons neuem Album stärker durch als zuvor. Das Ergebnis bleibt das gleiche: Himmlisch schöner Jazz fürs Hier und Jetzt, gespielt mit ehrfurchtgebietender Kennerschaft und Klasse.

Kamasi Washington – Fearless Movement
VÖ: 03. Mai 2024, Young
www.kamasiwashington.com
www.facebook.com/kamasiw

Kamasi Washington Tour:
06.11.24 München, Theaterfabrik
07.11.24 Köln, Carlswerk Viktoria
13.11.24 Berlin, Theater des Westens

YouTube video

Werner Herpell

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