POPSALON 2024 – Nachbericht

Foto-© Stephan Strache

Köln ist um Redewendungen selten verlegen. Wahrscheinlich nicht nur Köln. Aber wo Mensch lebt, ist Mensch Redewendungen eher inflationär ausgesetzt. Daher scheuen wir uns auch nicht diesen Nachbericht mit einer kölschen Redewendung zu beginnen: 
„Beim ersten Mal haben wir es ausprobiert, beim zweiten Mal ist es schon Tradition und beim dritten Mal Brauchtum!“ 

Mit dem popsalon in Osnabrück unsere persönliche Festivalsaison zu eröffnen, schwang sich mit unserem Besuch am vergangenen Wochenende damit bereits zur Tradition auf. Und damit auch der Bogen zu einer kölschen Redewendung passt, auch, dass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt, ehe es in Köln mit der c/o pop weiter geht. Und auch wenn uns bewusst ist, das ansonsten Groningen (Eurosonic Noorderslag) und Hamburg (Reeperbahn Festival) als europäische Speerspitzen der Showcasefestivals und Vorbilder vieler hiesigen dezentralen Clubfestivals das Festivaljahr rahmen, so sind für uns popsalon und c/o pop erneut der furiose Festivalauftakt.

Aber beginnen wir von vorne. Nicht von ganz vorne (das popsalon Auftaktkonzert mit The Notwist am Mittwochabend haben wir leider verpasst) aber zumindest vom Donnerstag an. Die komfortable Anreise per Bahn hatte einen Deut Tradition, Ankommen in Osnabrück etwas von Wiederkehr. Die Stadt schien innerhalb eines Jahres kaum verändert. Sie blieb als Konstante.
 Ganz anders das Booking der 12. Ausgabe des popsalons. Zumindest anhand der Shows, die wir diesmal sahen, wurde aus dem popsalon für uns der (post)punksalon. Betrachtet man UK als Heimat stilsicherer und identitätsstiftender, aktueller Musik so scheint der entsprechende Fokus nur passend.

Starteten wir 2023 zentral im Haus der Jugend in das Festival, führte uns dieses Jahr unser erstes Konzert weit vor die Tore der Stadt, in den Hyde Park. Dort dann Deutschpunk anstelle von Postpunk, Bremen statt UK. Was Team Scheisse aber mit Postpunk gemein hat, sie schaffen es ein Genre ins Jetzt zu katapultieren, Deutschpunk auch 2024 noch musikalische Relevanz zu verschaffen. Und sie bemühen sich dafür einen Raum zu schaffen, in dem Jedermensch sich wohlfühlen und feiern kann. So schade es ist, das 2024 noch schreiben zu müssen, so gut ist es, wie Team Scheisse dies aktiv gestalten. Sei es durch gut sichtbare Aushänge oder durch regelmäßige Ansagen zwischen den eigenen Songs. 
Daneben liefern sie Ohrwürmer. Das ist an sich eher weniger gut für uns, denn sie begleiteten uns das Wochenende.

Team Scheisse bildeten mit The Clockworks unseren persönlichen Festivalrahmen. Doch zu zweiteren später mehr. Immerhin sahen wir dazwischen auch noch andere Bands. Vielleicht nicht so viele, wie der Besuch eines dezentralen Clubfestivals vermuten mag, dafür aber umso intensiver.

 Nach Team Scheisse war unser Weg zu Madeleine Juno nicht nur im geografischen Sinne weit, auch musikalisch war es eine Reise. Es gibt Tage da gelingt dies spielend. Am Donnerstag brauchten wir dafür lange. Final glückte es.

 Doch unser Weg sollte am Donnerstag noch weiter gehen. Schon auf der Hinfahrt war AUGN durchweg präsentiert. Weniger musikalisch als beim Betrachten des Instagramprofils. Vielleicht sollte Mensch sich bei Augn von der Idee eines Musikprojekts lösen und das ganze eher als Kunstprojekt betrachten. Als Projekt, dass jegliche Erwartungshaltung sprengt und die Bigotterie der Musikwelt, wie auch der Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel vor Augen hält. Den Blick muss man wagen wollen. Uns bewegt der Auftritt immer noch.

Auf Verstörung folgte Abriss und dann auch erstmals Postpunk. DITZ, vielen spätestens durch ihren Support-Shows für IDLES ein Begriff, zeigten, dass keine Bühne, keine Venue und keine Crowd nicht für sie passend erscheinen. Cal Francis findet immer etwas, was sich zum Klettern entfremden lässt. In Osnabrück mussten dafür unter anderem die Traversen der Scheinwerfer herhalten. Aber DITZ nur aufs Klettern nur auf die Performance zu reduzieren tut der Band unrecht. Vielleicht taugt ihr Postpunksound schlichtweg als perfekte Interpretation unserer Tage.

Lädiert vom Donnerstag begann unser Freitag mit Zeit zum Durchatmen und Fallenlassen. Tagsüber beim Erkunden der Stadt und Hängenbleiben bei letztjährig erspähten und – für gut gefundenen – kulinarischen Perlen mit Beginn des Abends vor allem durch das Konzert von nothhingspecial. Ihre EP somewhere we don’t know hat es auf so gefühlt jede unserer Unterwegssein-Playlist geschafft. Zugfahren, den Blickschweifenlassen und dabei nothhingspecial hören. Wunderbar. Live aber ebenso. Ich schätze kaum etwas mehr, als wenn Musik mich ummantelt, ich mich in ihr verlieren kann.

Während wir uns also ummanteln liessen, zeigte der popsalon mit berq und Ennio im Line Up (oder auch tags drauf bei zeck), wie es ihnen Jahr für Jahr gelingt, Acts zu buchen, die den Puls der Zeit treffen und vor allem ihre jungen Gäste nur so in Scharen heranpilgern lassen.

 Nach einem Abstecher zu Martin Kohlstedt, dem leider mit seinem Slot vor berq kein Gefallen getan war, hieß es für uns wieder härtere, rockigere Musik: zuerst Lawn Chair, dann Courting. Eigentlich wollte ich Postpunk schreiben. Dann fiel mir aber gerade nur rechtzeitig ein, dass sich beide Bands mit entsprechender Genrekategorisierung eher schwer tun. Über Lawn Chair las ich mal Artpunk. Tags zuvor spielten sie zudem in Essen im Folkwang Museum. Allein damit haben sie sich dieses Genre für uns „erspielt“. Lawn Chair durfte ich schon mehrmals in Köln sehen. Was die fünf aber in Osnabrück auf die Bühne brachten, sucht ihresgleichen. So viel Energie, so viel Spielfreude und zeitgleich aber auch komplexe Songstrukturen. Schockverliebtheit. In der Musik Verlieren bei zeitgleichem Abgehen.
 Gigantische Fussstapfen waren also für Courting bereitet. Doch die Liverpooler wussten auch diese perfekt zu füllen. Da wo Lawn Chair sich selbst genügten, ihre Spielfreude und Versiertheit reichte, um das Publikum zu begeistern und feiern zu lassen, setzte Courting die explizite Interaktion, stachelte das Publikum an, ermuntere es zum Springen, Moshen zur Eskalation. Es gelang bestens.

Samstag merkten wir das sehr. Umso schöner, dass auch unser Samstag sehr gemächlich starten konnte. Musikalisch war das zeck und ein Wiedersehen mit Hello Piedpiper. Sie begleiten mich musikalisch bereits sehr lange. Meine Faszination ihrer Musik macht dies aber keinen Abbruch. Eher hilft noch entsprechende Vertrautheit, mich noch mehr von ihrer Musik einnehmen zu lassen. In Osnabrück hatten Hello Piedpiper auch zwei neue Songs dabei. Musikalische Weiterentwicklung trifft auf Wiedererkennung. Hello Piedpiper zeigten einmal mehr, dass es nicht immer „großer“ Namen bedarf und ein perfektes Konzert zu spielen. Wohin wir auch blickten, nur glückliche Gesichter.

 Tristan Brusch traf dann Dank Hello Piedpiper auf bereits bestellten Boden im Haus der Jugend. Man war bestens unterhalten, ließ sich auf eine Zeitreise mitnehmen. Wir ließen uns Mitnehmen, ehe wir gemütlich zum diesjährigen popsalon Finale schlenderten. 

Dieses war dann ein weiteres Wiedersehen: diesmal mit The Clockworks. 
Und wo DITZ oder Courting immer noch eins draufsetzen, ihr Publikum zur Eskalation anstachelten, gewährten The Clockworks ihrem Publikum mittlerweile auch Zeit zum Besinnen, zum Innehalten. Gerade nach den zwei Tagen mit Eskalation und Ekstase war dies zum Finale eine Wohltat.

 popsalon wie Osnabrück: es war wunderbar mit Euch.
 Nun heißt es für uns noch kurz Wundenlecken, ehe ab Mittwoch die c/o pop ruft…

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Stephan Strache

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