Orange Blossom Special 2024 – Nachbericht

Foto-© Stephan Strache

Manchmal braucht es – trotz geographischer Nähe und der nicht enden wollenden Lobhudelei im musikalisch affinen Bekanntenkreis – auch bei mir lange bis ich dem Ruf des belobhudelten Festivals folge. Es stand immer etwas anderes an Pfingsten an und so brauchte es 25 Ausgaben bis es mich erstmals nach Beverungen auf das Orange Blossom Special verschlug.

Um es direkt vorweg zu nehmen: Die Lobhudeleien sollten Recht behalten, ich erlebte drei famose Tage auf dem Orange Blossom Special und reihe mich nun unmittelbar selbst in die Riege der „Warum bin ich erst jetzt hier?“-Menschen ein. Aber lieber spät als nie. Zumal in Konjunktiven leben noch nie jemanden half.

Das „beste kleine Open Air der Welt“ (Rolling Stone) wurde als Glitterhouse Labelfest im hauseigenen Garten gegründet. Rembert Stiewe ist seit der ersten Stunde beim Label wie beim Festival dabei. Gefühlt hat er hier überall seine Finger im Spiel. So moderiert er gemeinsam mit Simon Baranowski das Festival und dabei alle Künstler*innen persönlich an. Ohne einer traditionsbehafteten Verklärung mag dies allein schon creepy erscheinen. So sehr sein Booking und Musikwissen über jeden Zweifel erhaben erscheint, so aus der Zeit gefallen wirken auf mich ihre Witze und die OBS Tradition eines sich über die Tage aufbauenden Witzes.

Und während die Diversität im Booking und Publikum erreicht ist, tummeln sich im Graben zum Fotografieren und auf der Bühne zum Anmoderieren noch die alten weißen Männer (und bei ersteren muss ich mich selbst schon fast hinzuzählen). Es mag die Nadel im Heuhaufen suchend sein. Oder meine Abneigung gegenüber reiner Lobhudelei.

2019 wuchs das Festival. Seitdem können gut 1400 Besucher*innen mehr in den Festivalgenuss gelangen. Dieses Jahr schrabbte es knapp am ausverkauft vorbei. Mehr als 3000 Besucher*innen setzt voraus, dass nie alle Besucher*innen zeitgleich eine Band verfolgen wollen. 2024 glückte dies erstaunlich gut und das bei einem Festival, bei dem alle Künstler*innen sehen könn(t)en.

Überhaupt sich nicht zwischen einzelnen Acts entscheiden zu müssen, ist eine unheimlich großartige Festivalerfahrung. Es entspannt und nimmt Druck. Vielleicht ist das auch ein Geheimnis so vieler so glücklicher Besucher*innen. Egal wohin ich blicke, ich sehe glückliche, strahlende Gesichter. Bei Gästen, Helfer*innen und Künstler*innen. Und vielleicht ist es genau das, was das OBS so besonders macht.

Auch kenne ich kaum ein anderes Festival mit einer derart diversen Alters- und Besucherstruktur, selten treffe ich auf einem Festival auf so viele ältere Menschen und zeitgleich auf so viele Kinder und junge Familien. Selten treffe ich auf so ein bunt durchwürfeltes Publikum bestehend aus Stammgästen, Musiknerds, Großstadtpublikum aus NRW und Hamburg und Nachbar*innen. Überhaupt Nachbar*innen: ich habe schon ewig keine JBO oder „Bier formte diesen Körper“-Shirts auf Festivals gesehen. Allerdings habe ich diese auch nicht vermisst. In genau diesen Momenten muss ich mir eingestehen, wie bequem ich es mir doch in meiner gentrifizierten Blase eingerichtet habe und wie gerne ich in ihr lebe. Aber genau diese zu Verlassen tut gut und ist wichtig. Zumal alle Anwesenden der Respekt vor der Musik eint. Vorne lauschen die Menschen andächtig oder gehen ab. Gesprochen wird hinten, beim Essen oder Trinken. So etwas wünscht man sich auf allen Konzerten. In Beverungen auf dem Orange Blossom Special ist es Realität.

Samstag und Sonntag beginnt das Musikprogramm bereits um 11.30 Uhr. Aber auch bereits um 11.30 Uhr ist es vor der Bühne voll. Gerade Samstag erleben alle – vielleicht noch latent verkatert vom Freitag – eine wunderbaren, andächtigen und entspannten Einstand in den Festivaltag mit Malva. Sonntag eröffnet der Suprise Act. Diesmal Alex Henry Foster. Vom Saulus zum Paulus. Und das an Pfingsten. Wagen wir den Blick über den Tellerrand wie anderswo in der Provinz oder auf Sylt an Pfingsten gefeiert wurde, erfreue ich mich noch mehr am Wandel. Und musikalisch ist Alex Henry Foster eh über alle Zweifel erhaben.

Jedes Orange Blossom Special Festival bekommt sein eigenes Motto. 2024 war es „Herzensangelegenheit“. Das Motto hätte beim Blick auf alle Anwesenden und Beteiligten kaum besser gewählt sein. So ein kleines, intimes und sympathisches Festival kann nur eine Herzensangelegenheit sein.

Trotz so vielem, was bereits super läuft, versucht sich das OBS den wichtigen Themen unserer Zeit nicht zu verschließen: so stand Nachhaltigkeit, Awareness, Antirassismus, Nachwuchsförderung und Diversität auch auf der Agenda des diesjährigen Festivals. Passend zur Nachhaltigkeit versuchte ich mich an der Anreise per Bahn. Entgegen vorheriger Skepsis aufgrund bescheidener ÖPNV Anbindungen der ostwestfälischen Provinz gestaltete sich selbige weitaus besser und angenehmer als erwartet. Unterwegs traf ich sogar bereits auf die ersten anderen Festivalgäste. Wo ein Wille da ein Weg. Überhaupt sichtete ich vor Ort viele Räder und Fußgänger. Zumindest für die letzten Meter.

Selbst das Wetter meinte es besser als Prognosen verhießen. Der Festivalfreitag spendierte sogar die ein oder anderen Sonnenstrahlen. Samstag blieb es bei nur einem Regenguss während des Auftritts von Annie Taylor. Lediglich das Sonntagsfinale bescherte uns allen das Tanzen in Pfützen und Matsch. Aber immerhin regnete es nicht durchgehend. Überhaupt schärfte der Sonntag einmal mehr mein Bewusstsein, wie sehr wir Menschen doch Verdrängungswesen sind. Festivals und schlechtes Wetter schließe ich in meiner Festivalvorfreude immer aus. Dabei sind die Festivalbesuche selbst dann oft entweder viel zu warm oder viel zu verregnet.

Fortan soll es nun aber nicht um Meteorologie sondern um Musik gehen. Und davon bot das diesjährige Orange Blossom Special einen wahrlich bunten Strauß spannender und vor allem guter Musiker*innen.

Nicht nur wettertechnisch meinte der Freitag es nur zu gut mit mir. Mir glückte die Punktlandung und dann glückte es, dass mich Mina Richman unmittelbar abholte. Das lag aber weniger an mir als an ihrer Präsenz. Einen besseren Einstieg in das Festival hätte ich mir kaum wünschen können. Einen Act gesehen und schon hatte das Festival mich.

Beseelt von dem Auftritt holte mich Hotwax wieder schnell ins Hier und Jetzt. Auch wenn das Druckvolle ihrer Musik in der Enge eines kleinen Clubs mit Sicherheit noch mehr Magie vermitteln mag, gewannen sie auch hier zahlreiche neue Fans. Mich eingeschlossen. Khruangbin liebend freute ich mich auf den Auftritt Yin Yins. Viellicht etwas weit hergeholt, vielleicht ein großer Schatten. Und doch sollte ich nicht enttäuscht werden. Es war wunderbar und das Orange Blossom Special bewies mit Yin Yin und Zahn (mittags am Folgetag), dass gute Musik nicht zwingend Gesangparts bedarf.

Dachte ich nach Yin Yin, es gehe nicht mehr besser, so sorgten Lucy Kruger & The Lost Boys für ein Finale, dass seine komplette Magie auch nur in der Dunkelheit entfalten konnte. Performativ wie musikalisch war es unheimlich eindrucksvoll. Vielleicht sogar der Auftritt, der mich am nachhaltigsten beschäftigte. Ein Mix aus Chelsea Wolfe und Florence + The Machine.

Der OBS Freitag legte auf jeden Fall die Messlatte hoch. Aber warum eigentlich immer alles vergleichen. Lieber erfreuen, an dem großartigen Einstand. Malva und Zahn wurden ja bereits erwähnt. Beide sorgten für ein gutes Hineingelangen in den Festivalsamstag, ehe ich mir eine Pause vom Regen gönnte. Die Pause erwies sich als Bruch. Im Anschluss benötigte ich lange, um wieder ins Festival zu gelangen. So ganz gelingen wollte es erst wieder mit Gurries. Sie überzeugten mehr mit Energie denn mit ausgefeiltem Songwriting. Für mich zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige. Immer wenn ich denke, nach IDLES, Fontaines D.C., The Clockworks, DITZ oder Courting, es könnte nichts mehr kommen, so entdecke ich eine neue (britische) Postpunk Band und bin hin und weg. Meine Lebensgeister wurden wieder erweckt und so konnte ich wenig später CATTs wunderbarem Auftritt mit wiedergewonnenen Lebensgeistern beiwohnen. Zum Glück.

Sonntag ergoss sich dann mit Beginn des Auftritts von Marlo Grosshardt alles, was an Regen für das gesamte Pfingstwochenende angesagt war. Marlo Grosshardt, Afrodiziac und Brockhoff hatten unter dem widrigen Wetter und dementsprechend wenigen Zuschauern in den ersten Reihen zu leiden. Gelernt vom Vortage blieb ich aber auf dem Festival. Ich verfolgte das Geschehen aus dem Trockenen, wippte mit und erfreute mich am Brett Bier. Pünktlich zu iedereen hörte es dann auch auf zu regnen. Anscheinend haben iedereen mittlerweile auch bereits außerhalb Kölns ihre Fangemeinde. Zumindest auf dem Orange Blossom Special. Es war wunderbar und es wurde auch noch wunderbarer: mit dem Finale mit Coach Party und The Slow Show.

Sich nicht entscheiden zu müssen und zeitgleich so viele, so gute Künstler*innen serviert zu bekommen ist eine wunderbare Erfahrung die nach Wiederholung schreit. Bands wiedersehen, Bands neu entdecken. Abgehen wie einfach nur Staunen und Genießen. Das Orange Blossom Special hatte von allem etwas. Und von allem reichlich. Es war wunderbar und ich weiß nun, wo ich Pfingsten meine musikalische Heimat finde.

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Stephan Strache

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