When I was younger I used to seek pleasure
When I was younger I used to dring wine
Now that I’m older I’m rockin a cradle
Rockin a baby who’s always a-cryin
When I was younger I used to dress fancy
When I was younger I used to dress fine
Now that I’m older there’s no time for dancing
No time for wasting on women and wine
(Bonny Light Horseman – When I Was Younger)
Eine Frau und ein Mann machen sich in When I Was Younger ihre Gedanken über die neue Lage: Man ist jetzt auch Mutter und Vater, vorbei ist’s mit dem Spaß und dem Weinschlürfen, mit schicken Klamotten und den Flirts mit anderen Frauen. Es klingt ein bisschen desillusioniert, was Anaïs Mitchell und Eric D. Johnson da übers Eltern-Dasein singen. Zugleich ist das Lied so schön, dass man hinter den Wolken des grauen Familien-Alltags doch auch die Sonne des Glücks erkennen kann. Ein großartiger Song – wieder mal. Bonny Light Horseman können wohl nicht anders, als aus unterschiedlichsten, oft alltäglichen Themen großartige Songs zu machen.
Es war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass diese Indie-Folk-Supergroup dreier viel beschäftigter, renommierter US-Musiker mehr als ein interessantes One-off-Projekt sein würde. Als Ende Januar 2020, kurz vor der Pandemie, das prachtvolle selbstbetitelte Kollabo-Album von Mitchell, Johnson und Josh Kaufman erschien, waren die darauf präsentierten Trad-Song-Cover schon wenige Wochen später ein wunderschöner Lockdown-Trost (und am Ende für viele gar eine der Platten des Jahres). Die “Chemie” des Trios (ebenso der Erfolg bei Kritikern und Americana-Fans) war auch danach so überragend, dass es zügig weiterging.
Nach dem ähnlich überzeugenden Zweitling Rolling Golden Holy aus dem Herbst 2022 gehen Bonny Light Horsemann nun mit ihrem Opus magnum an den Start. Diese Einschätzung – nämlich dass hier ein Großwerk vorliegt – wird schon durch das pure Ausmaß gedeckt: 20 Tracks (18 vollwertige Songs und zwei Studio-Snippets) sind auf Keep Me On Your Mind/See You Free enthalten, das also schon vom Titel her in zwei Hälften geteilt ist.
Zwar bestätigt sich auch diesmal der Verdacht, dass ein Doppelalbum eigentlich immer zu lang ist und in etwas kürzerer, sinnvoll editierter Form noch besser geworden wäre. Aber insgesamt ist der Singer-Songwriterin /Musical-Komponistin Mitchell (Hadestown), dem Fruit-Bats-Frontmann Johnson sowie dem Top-Produzenten/Multiinstrumentalisten Kaufman (The National, Hiss Golden Messenger) erneut eine staunenswerte Platte geglückt. (Und eine fantastisch klingende noch dazu – man muss nur mal auf einer guten Stereoanlage akustische Juwelen wie Rock The Cradle, Into The O oder Over The Pass hören, um über die Soundqualität zu schwärmen.)
Musikalisch werden auf Keep Me On Your Mind/See You Free wieder traditioneller Folk, Countryrock, Gospel und Americana-Balladen im Überfluss geboten, geprägt durch die beiden nicht im klassischen Sinne schönen, aber sehr markanten Stimmen von Mitchell/Johnson und die hauchfeinen Arrangements von Kaufman. Textlich geht es um die wichtigen Themen dieser krisenhaften, verwirrenden Zeiten: Liebe und Verlust, Hoffnung und Trauer, Familie (siehe oben) und Gemeinschaft, das Leben und seine Veränderungen halt.
Das dritte Album von Bonny Light Horseman in nur gut vier Jahren wurde 2023 über fünf Monate geschrieben, als das Kern-Trio in Ballydehob/Irland mit JT Bates (Schlagzeug), Cameron Ralston (Bass) und der Tontechnikerin Bella Blasko zusammentraf. “Das Klavier des Pubs, das sie mit Olivenöl einschmierten, um sein Knarren zu dämpfen, wurde zu einer Art spirituellem Dreh- und Angelpunkt, zu einer Einheit, die alle Motive des Albums verkörperte: Unvollkommenheit als Ehrenzeichen; Altern, Ausdauer und der Lauf der Zeit; wie die einfachsten Handlungen uns heilen können”, heißt es anschaulich im Album-PR-Text.
Die schiere Masse an Top-Material führte folgerichtig dazu, dass eine Doppel-LP kompiliert wurde – mit zwei Titeln, wenn auch nicht unbedingt zwei grundverschiedenen Platten. Nach den glücklichen Irland-Pub-Sessions kehrte die Band in die Dreamland Recording Studios im Norden New Yorks zurück, wo sie auch schon die Vorgängeralben fertiggestellt hatte. Bassist Mike Lewis stieß hinzu und spielte auch Tenorsaxophon (besonders schön zu hören in Lover Take It Easy und dem hymnischen Speak To Me Muse).
“Die Tage waren erholsam, gefüllt mit Weinen und Liedern, die wie Tränen vergossen wurden”, schreibt das neue BLH-Label Jagjaguwar. Hach, muss das schön gewesen sein. Und man hört die Gefühlstiefe und Harmonie in jeder Sekunde dieser tollen Indie-Folk-Platte – vom zarten Opener Keep Me On Your Mind bis zum ekstatischen (Gitarrensolo!-)Closer See You Free (zwei Songs, die den im Albumtitel gespiegelten Rahmen bilden). Sicher auch live ein Ereignis – am 15. November spielen Bonny Light Horseman ihr (nach bisherigem Stand laut Band-Website) einziges Deutschland-Konzert im Hamburger Nochtspeicher.
Bonny Light Horseman – Keep Me On Your Mind/See You Free
VÖ: 07. Juni 2024, Jagjaguwar
www.bonnylighthorseman.com
www.facebook.com/bonnylighthorseman
Bonny Light Horseman Live:
15.11.2024 Hamburg, Nochtspeicher