GOAT GIRL – Below The Waste


Foto-© Holly Whitaker

I only want the best for you, like I always should
I was stuck in mud, only just got up
Let the phone ring on repeat, I was playing dead
Didn’t wanna know all the stuff it said
I did some things I shouldn’t have, that I now regret
Guess you’ll always find, wrong in retrospect

(Goat Girl – words fell out)

Zugänglich zu sein oder zu werden, ist in der Kunst natürlich etwas Schlechtes. Kunst will einzigartig, nur mit Mühe zu genießen sein. Pistazie statt Erdnuss. Zum Glück halten sich nicht alle Künstler mit ihrer eigenen Komplexität auf. Zum Glück kann man weird und zugänglich zugleich sein. Case in point: Goat Girl. Mittlerweile als Trio ist die Post-Punk-Band aus London auf dem schmalen Seil zwischen absoluter Nische und Geheimtipp unterwegs. Geschickt verbinden sie eingängliche Refrains mit kantigem Garagensound und fantasievollen Texten.

Seit ihrem hochgelobten Debüt 2018 hat sich die Band beachtlich weiterentwickelt – personell wie musikalisch. Album Nummer drei mit dem Titel Below the Waste widmet sich sehr stark der aktuellen Konstellation, handeln doch viele Songs von den Drogenproblemen der Drummerin Rosy Jones und dem gemeinsamen Fliehen aus der Welt. Das bandypisch gestaltete Kunst-Cover wechselt in dritter Iteration diesmal in dunkle Töne.

Dass in dieser Grundstimmung ein so dichtes und häufig leichtes Album entstehen konnte, ist ein Glücksfall. Die 48 Minuten Below the Waste meistern vieles gleichzeitig. Zum Beispiel die Herausforderung, die Stile zusammenzubringen, die Goat Girl verbinden und feiern. Progressive Rock, Grunge, Punk, Folk, elektronische Musik, es ist alles irgendwo versteckt, „unter dem Müll“.

Der erste Track, das brodelnde ride around mit dröhnenden Bässen und zaghaftem Gesang mündet in einer leichten Melodie und dem Angebot: “Shall we go, ride around?” Und damit geht es auch direkt los, erste Abbiegung, der Indie-Song words fell out ist zart und melodisch, einer der der romantischsten Songs der Band, wenn auch mit düsterem Text über das Sich-nicht-verstehen. Die im Hintergrund sägenden Synthesizer machen ebenfalls klar, dass wir es uns nicht zu gemütlich machen sollten. Es ist direkt einer der besten Songs der Platte.

Dystopisch anmutende, atmosphärische Synths gepaart mit eingängigen Indie-Riffs und Noise-Passagen finden wir auch auf play it down, perhaps oder sleep talk. Auch wenn ganz viel Grunge-Inspiration und Geschichte in diesen Songs steckt, klingen sie zusammengenommen nie altbekannt. Das liegt auch daran, dass sie gefühlvoll mit sanften (größtenteils akustischen) Tracks kombiniert werden – prelude / tonight und take it away sind starke emotionale Pfeiler des Albums. Letzterer Song besteht aus einer einzigen Zeile, die mehrstimmig über Klavier und schiefe Streicher gesungen wird: „If I could, I’d take it away from you“. Das funktioniert hervorragend, sowohl in der schmalzigen Verzweiflung und Hilflosigkeit, die wir hören, als auch mit der Erklärung von Sängerin Lottie Pendlebury, dass genau diese Worte das Gefühl beschreiben, wenn man einem geliebten Menschen in der Sucht helfen will – aber nicht kann.

Der Song geht direkt über in pretty faces, einen weiteren ruhigen Highlight-Track. Lyrisch wird es leichter, gesungen wird von Szenen im Haus gegenüber, die wir als Kind beobachten und um die wir unsere eigenen Geschichten spinnen. Diese Alltäglichkeit, die auch die Geigenmelodie transportiert, erdet ungemein. Alles hier auf dem Album ist ein Türöffner, kein Vorschlaghammer.

Nun ja, bis auf die Rock-Banger, die nicht fehlen durften. tcnc („take care, not crack“) erinnert angemessen früh daran, wie Überforderung, Oppression und Sucht auch klingen können. Und die Lead Single motorway liefert thematisch passend ganz viel Drive. Der Synth-Loop im Refrain und die breiten Bässe bieten ein fantastisches Bett für Lottie Pendleburys verträumten Gesang und die hypnotisierende Energie dieses Art-Rock-Tracks, der mit jedem Hören besser wird.

Genau nach diesem Song setzten Goat Girl übrigens ein weiteres Interlude und beweisen ihr Gespür für gutes Timing. So auch mit dem Schlusssong wasting, der als kleines Best-of mit Dissonanzen und entrücktem Grübeln startet, eine verträumte Melodie und das titelgebende Mantra “Wasting our time” einführt und in ein großartiges Outro mündet – eingeleitet von der Zeile, “Noise is peaceful”, die sich jedes Goat Girl tätowieren könnte.

Viel Epik zum Schluss, viel Essenz. Überhaupt ist Below the Waste mit der überragenden Produktion, Vielfalt und Direktheit eine Essenz dessen, was Goat Girl können und sein können. Damit stürmt man (leider) keine Charts, aber das Angebot ist da. Schließlich sind viele Ideen und Klänge zwar noch immer anspruchsvoll, aber eben auch: zugänglich. Im besten Sinne.

Goat Girl – Below The Waste
VÖ: 7. Juni 2024, Rough Trade Records
www.goatgirl.co.uk
www.facebook.com/goatgirlofficial

Goat Girl live:
16. – 18.08.24 Hamburg, MS Dockville
11.10.24 Nürnberg, Nürnberg Pop Festival
12.10.24 Köln, MTC
13.10.24 Berlin, Privatclub

YouTube Video

Phillip Kaeding

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