MODULAR – Interview

Foto-© Stephan Strache

Auf der Bühne lädt MODULAR zu einer Reise ein, weg vom Alltag und ins fiktive Zuhause. Gemeinsam feiert das Publikum mit, wenn sie die erste queere Liebe oder die Emanzipation aus einer toxischen Beziehung besingt. Mit einer unverwechselbaren Bühnenpräsenz, dem kunstvollen Bühnenbild und der Emotionalität hat MODULAR das Publikum in ihrer Hand und begeistert. Nach ihrer gefeierten Debüt-EP, beschäftigt sie sich auf der neuen EP Trümmer, die schon bald erscheinen soll, mit dem Festhalten und Loslassen von Beziehungen, Erinnerungen und Menschen. Zwischen nostalgischer Verklärung und progressiven Impulsen fängt sie das Glück und den Schmerz des Coming-of-Age ein. Im neuen Soundgewand zeigt sich MODULAR dabei mal sassy und energiegeladen, mal emotional und fragil und liefert hymnische Hooks zwischen Alternative, Wave und Indie Pop.

Wir trafen Selena beim diesjährigen c/o pop Festival zum Interview!

Mich überfordern oft Showcasefestivals da ich nicht der entscheidungsfreudigste Mensch bin. Entscheidungen helfen da aber. Wenn ich nämlich versuche, mich zwischen den Konzerten aufzuteilen, passiert es mir oft, dass ich auf beiden Shows nicht richtig ankomme.
Das verstehe ich. Es geht mir genau so.

Du lebst ja in Hamburg. Das dortige Reeperbahnfestival ist natürlich nochmals eine andere Hausnummer als die c/o pop.
Ich wohne in Hamburg. Aber ich komme ursprünglich von um die Ecke aus Düsseldorf.

Ach Düsseldorf. Ich trauere immer noch dem Open Source Festival nach.
Ja, ich auch. Ich habe da Metronomy gesehen. 2015. Da haben die geheadlined. Das war so ein geiles Festival. Das war mit einer der Gründe, warum ich aus Düsseldorf weggegangen bin. Also nicht nur wegen des Open Source Festivals. Aber auch. Es gibt dort einfach so wenig Kulturangebote und so wenig Chancen für junge Musiker*innen. Kaum eine Bühne für sie. Ich habe mich in Düsseldorf kulturell nicht mehr aufgehoben gefühlt.

Jetzt fühle ich mich fast in der Verantwortung eine Lanze für Düsseldorf zu brechen. Auf Anhieb fällt mir das New Fall Festival als Aushängeschild oder die fempop Konzertreihe ein.
Die sind auch voll toll. Da habe ich mal gespielt mit meinem alten Projekt. Das zakk ist cool. Der Ratinger Hof war toll. Aber seitdem es das Stone im Ratinger Hof nicht mehr gibt, war das ein Punkt, als ich mich entschieden habe, ich möchte hier nicht mehr bleiben.
Man möchte ja auch tanzen gehen. Mit Anfang, Mitte zwanzig braucht man Orte, die die Identität prägen. Und der war einer davon. Seitdem es den nicht mehr gibt, habe ich weniger Lust dort auszugehen.

Das kann ich gut verstehen, wenngleich oft dann auch neue, identitätsstiftende Orte kommen. Wann bist du dann nach Hamburg gezogen?
Vor zwei Jahren.

Ist es dir schwer gefallen in Hamburg anzukommen?
Überhaupt nicht. Mir wurde es eher sehr leicht gemacht. Ich hatte bereits ein paar Freunde dort, die ich übers Internet kennengelernt habe. So richtige Internetfreunde. Mit denen bin ich dann direkt angebandelt in Hamburg. Das erste Mal als ich dann länger in Hamburg war, war ich dann auch direkt auf dem Dockville und habe dort ganz viele tolle Menschen kennengelernt. Auch Musiker*innen. Das war dann auch das erste Mal, dass ich ein wenig Industrieluft geschnuppert habe. Obwohl ich ja schon viel länger Musik mache, war die Musikindustrie immer etwas, was mich nicht beeindruckt, nicht interessiert hat. Das war dann sehr aufregend, aber auch sehr schön. Hamburg hat mich zum Glück mit offenen Armen empfangen. Die Stadt ist toll und es fühlt sich jetzt genau richtig an, da zu sein.

Düsseldorf erklärt dann vielleicht auch deine Nähe zu Lyschko, die dort aus der Ecke aus Solingen kommen.
Ja, genau. Da kommen sie her. Ich habe sie allerdings erst durch Salò kennengelernt. Salò ist ein gemeinsamer Kumpel von uns. Er hat für Edwin Rosen den Support gemacht. Lina, die Sängerin von Lyschko, hat ihn daraufhin angefragt und er hatte mich als Travelparty mit dabei. So habe ich die dann tatsächlich erst kennengelernt als ich bereits in Hamburg wohnte. Es war zu spät. Und ich habe mir gedacht, wo kommen denn nun die ganzen coolen Bands her? Also Lyschko oder SCHRAMM. Auch mega.

Wobei SCHRAMM mittlerweile auch in Berlin lebt.
Genau, SCHRAMM lebt nun in Berlin. Damals noch in Wuppertal. Oder Mia Morgan. Diese ganze Bubble die mega lieb und supportiv ist und für mich ganz wichtig ist und war, habe ich leider erst zu spät kennen gelernt. Es war aber schön zu merken, es gibt sie also doch. Auch Ecke Düsseldorf.

Wie spannend, dass du aber auch gerade Arne (Anmerkung: SCHRAMM) erwähnt hast. Bei ihm gibt es Parallelen zu deinem Werdegang. Auch Arne hat zuerst fotografiert, ehe er zur Musik fand.
Es gibt Parallelen, auf jeden Fall. SCHRAMM ist super. Den habe ich auch in diesem Kreis kennen gelernt. Er ist musikalisch super geil und erfindet das Rad tatsächlich auch noch mal neu, finde ich. Sehr einzigartig und unique, was er macht.

Hast du ihn dann auch schon einmal mit Band gesehen?
Leider nein. Nur mit Niklas Nadidai. Den kenne ich tatsächlich seit 2014. Ich habe ihn damals in der Bahn kennen gelernt. Wir hatten dann ein sehr holpriges Treffen, was sehr cool war. Wir haben nur über Jazz rumgenerdet und uns dann erst einmal leider nicht mehr wieder gesehen, ehe wir uns dann im Lyschko-Kontext irgendwo wiedergefunden haben, als er mit Arne auf der Bühne stand. Bislang habe ich SCHRAMM nur als Duo gesehen. Jetzt mit Fullband habe ich richtig Bock das zu sehen. Ich werde auch in Berlin da sein.

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Aber nun wieder zu deiner Musik. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Erste große Freiheit. Ich mag den Song sehr. Magst du unseren Leser*innen erzählen, wie es ist, gemeinsam einen Song zu schreiben und zu releasen? Wie es dazu kam?
Ich kam mit der Idee einen Song über die erste queere große Liebe zu schreiben ins Studio. Mia Morgan kannte ich bereits aus dem Fotokontext und persönlich privat als Freundin. Wir haben dann gedacht, eigentlich wäre es total schön, einmal die Indieszene aufzuräumen und da einmal ein richtig geiles Frauenfeature zu machen. Dann bin ich mit dem Anliegen, die erste große queere Liebe in bunten schillernden Farben zu beschreiben zu Mia gekommen. Ich bin natürlich in keinen besseren Händen aufgehoben als in ihren, wenn es poppig und bunt und glitzernd und schrill werden soll. Mit ihr und mit Lukas Korn zusammen, der ja auch bei Lyschko spielt, haben wir dann diesen Song geschrieben. Ich bin mit der Hook Idee hereingekommen. Es solle um die erste große Freiheit, um die erste große queere Liebe gehen. „Erste große Freiheit“ dabei als Metapher für das „erste Glühen und Glitzern für jemand gleichgeschlechtliches“ und dann haben wir uns reingestürzt ins Instrumentale. Es gab relativ schnell schon die Hook, also den Chorus. Mit dem kamen dann auch die Strophen. Eine für die andere. Die haben wir dann tatsächlich auch im Studio vor Ort geschrieben. Es gab ein, zwei Ideen, die ich mit reingebracht habe. Ein, zwei Ideen hatte Mia auch bereits. Wir haben dann gepuzzeld und weil unsere Geschichten auch relativ simultan ablaufen, konnten wir gemeinsam die Geschichte der „ersten Verglitzertheit“ darstellen. Es war ein sehr schöner Schreibprozess und ging Hand in Hand.

Fiel dir diese Zusammenarbeit einfach, weil Mia und du befreundet seid?
Ich glaube schon. Schreiben ist für mich sehr intim. Sehr, sehr intim. Ich schreibe eigentlich allein oder mit meinem Papa. Meine ganze EP vorher und alles, was ich mache, mache ich erst einmal allein. Ich verschließe mich nicht, mit anderen zu schreiben. Ich finde es coo,l aber es ist ein sehr intimer Prozess. Aber ich habe es vorher immer nur allein gemacht oder mit meinem Papa. Und einmal mit Jona, also Kerker von Lyschko. Da gab es auch einen gemeinsamen Song, der aus einer „wir sitzen lange im Studio und trinken zu viel alkoholfreies Bier und essen zu viel Lakritz“-Laune heraus entstanden ist. Da gab es dann das „herbstduett“. Das war schon schön für mich. Einfach aus der Komfortzone herauszugehen und mich anderen Stilen und anderen Menschen beim Schreiben zu öffnen als meinem Papa und meiner selbst. Mit Mia und Lukas war es sehr schön. Es war ein sehr schönes, offenes Arbeiten. Alle wurden ernst genommen. Gerade das ernst genommen werden ist mir sehr wichtig, dass man Künstler*innen egal wie groß oder klein sie sind, egal wie lange sie schon Musik machen, dass man sie für voll nimmt mit ihren Ideen und ich glaube, da haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden, die sich für uns alle gut angefühlt hat.

Wie unterschied sich die Zusammenarbeit mit Mia und Jona?
Natürlich menschlich. Jeder Mensch ist anders und mit beiden gibt es einen anderen Kontext. Mit Mia habe ich vorher schon als Fotografin zusammengearbeitet. Wir waren gemeinsam auf Tour. Ich habe sie fotografisch im Studio begleitet, Fotos für die EP gemacht und eine Single Kampagne geschossen. Mit ihr kannte ich den beruflichen Kontext schon besser. Mit Jona hatte ich vorab nur eine freundschaftliche Ebene.
Es ist gerade in der Musik immer ein sehr schmaler Grad, auf dem du wanderst: was ist Freundschaft? Was ist das Business? Was ist das Eine? Was ist das Andere?
Mit Mia bin ich aber trotz aller beruflichen Zusammenarbeit nie so richtig in diesem Business-Ding gewesen. Deswegen war das Schreiben auf beiden Seiten sehr schön und hat viel Spaß gemacht. Es war ein sehr liebes und intimes Schreiben. Es kann auch klappen oder halt nicht klappen. Deswegen sind wir mit wenig Erwartungen ins Studio gegangen und dachten, wir schauen einfach einmal, was dabei herauskommt. Und wenn es halt nicht passt, dann passt es nicht. Es kann ja immer passieren, dass man sich die besten Sachen ausdenkt und das tollste Feature sich ausmalt, und dann klappt es aber nicht. Zum Glück hat es geklappt in beiden Fällen.

Und wenn du deine eigene Musik machst, wie gehst du da dann heran? Hast du zuerst eine Melodie? Oder zuerst die Lyrik? Oder hast du überhaupt etwas standardisiertes?
Es hat sich auf jeden Fall im Prozess verändert. Die erste EP ist eher aus dem Studio entstanden. Wir haben uns da zu Writing-Sessions hingesetzt. Ich hatte dafür ein paar grobe Themen im Kopf. Wie zum Beispiel „Rauschgift“. Das handelt von einer toxischen Liebe. „Ich löse mich auf“ oder ähnliche Phrasen hatte ich dafür bereits im Kopf.
Bei dem, was jetzt gerade kommt, ist es eher der Fall, dass ich Sachen wie bei „Erste große Freiheit“ im Kopf habe oder mir fällt eine Hook ein wie bei „Zeit steht“. „Du reißt dich so zusammen, das reißt mich auseinander“. Das passiert dann in meinem Kopf oder ich spüre es in einer Alltagssituation. Dann male ich mir aus, wo möchte ich hin mit meinem Song? Mir ist es nämlich wichtig, nicht nur von einer Seite gesehen zu werden. Ich bin nicht nur die traurige-treibende-Bässe-Synthie-Künstlerin. Ich bin auch mal glücklich. Und auch im Sommer bin ich mal traurig. Es kann passieren, dass auch mal eine Ballade im Sommer kommt. Oder ein poppiger Song im Winter. Ich will mich da nicht festlegen oder beschränken. Ich habe viele Facetten als Mensch und die möchte ich natürlich auch als Künstlerin zeigen. So, dass ich nicht nur traurig und treibend bin sondern auch glitzernd und schillernd und auch mal böse und auch mal sauer. Man darf auch sauer sein.
Ich versuche mir im Kopf immer schon so ein Soundgerüst auszumalen und gehe damit dann in eine Studiosituation hinein. Manchmal klappt das gut. Manchmal aber auch gar nicht. Dann denkt man am Ende des Tages Mist, das behalten wir mal und schauen wir dann, ob wir vielleicht später noch was dran machen können.
Es liegen auf jeden Fall noch etliche Demos herum, die nur so darauf warten nochmal angepackt zu werden. Das ist sehr schön. Der Output ist groß und der Schreibprozess immer ein anderer.

Woran merkst du dann, dass ein für dich Lied fertig ist?
Da gibt es mit Sicherheit ganz viele unterschiedliche Künstler*innen Einstellungen. Ich glaube, man kann ein ganzes Leben lang an einem Album schreiben. Ich habe von meinem Papa gelernt, mit dem ich bereits etliche Alben für das vorherige Projekt geschrieben habe und mit dem ich nun auch für MODULAR schreibe, dass man es einfach auf einen Zeitraum begrenzen muss. Jetzt würde ich zum Beispiel die ganze erste EP anders schreiben und es würde ganz anders klingen. Außer vielleicht Betrüger. Das Lied finde ich auch jetzt noch genau so super. Ich würde in jedem Zeitraum meines Lebens immer alles anders machen. Es gibt immer ein kleines Momentum. Dann lasse ich es gerne einmal sacken und höre nochmals mit etwas Abstand drüber und wenn ich dann denke, besser geht es gerade nicht, dann speichere ich diesen Moment in meinem Kopf ab. Ich bin auch ein Freund der Superlative. Das heißt ich finde dann auch etwas so toll, wie es noch nie toll gewesen ist und es ist dann das Masterpiece. Wenn ich diesen Punkt einmal erreiche, dann ist für mich der Song durch. Dann kann man ruhig noch einmal mit Ruhe und Sachverstand alles sacken lassen. Ist er dann immer noch so gut, dann ist der Song durch.

Wie spannend. Hast du aktuell ein eigenes Lieblingslied?
Ui, ein eigenes. Lieblingslieder von anderen Artists fällt mir leichter zu benennen.

Dann gerne beides.
Mein aktuelles Lieblingslied ist der neue Song von Fontaines D.C. Starburster.
Bei mir selbst? Ich finde Zeit steht ist mein persönlicher Lieblingssong momentan. Zumindest von denen, die bereits releast sind.
Ansonsten ist es immer das Neuste, was man gerade so schreibt. Aber Zeit steht und die ganzen neuen Sachen sind viel, viel intimer und persönlicher geworden. Ich merke dabei, wie ich mich mehr mit der Thematik des Schreibens befasse und mich mehr öffne. Es ist ein Seelenstriptease, nachdem keiner gefragt hat. Es ist gleichzeitig schön und aufregend. Umso intimer meine eigene Musik wird, umso mehr gibt sie mir auch selbst und umso schwieriger ist sie zu teilen. Aber auch umso schöner, wenn sie gut ankommt. Einen Song über erste queere Liebe zu schreiben oder über eine zerrissene Freundschaft oder Beziehung. Über alles, was einen bewegt ist ja etwas sehr intimes. Und wenn man das in dem Medium Musik verpackt dann ist das ein sehr aufregender Prozess. Ich glaube mir gefällt meistens der Song, den ich als letztes geschrieben habe am besten, weil ich den dann noch frisch im Ohr habe. Aber Zeit steht ist mein Tritt durch die Tür mit den persönlichen Texten und deshalb hat er einen sehr hohen Stellenwert bei mir – vorerst.

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Wobei das dann natürlich nochmals intimer durch das Singen in deiner Muttersprache wird. Hier gibt es dann keinen Filter, Menschen können ungefiltert deine Message verstehen.
Wir haben uns vor kurzen mit Lawn Chair unterhalten. Sie singen auf Englisch. Claudia, die Sängerin ist zweisprachig aufgewachsen. Sie hat amerikanische Wurzeln. Als Lawn Chair dieses Jahr ihre erste UK Tour spielten, verstanden auf einmal alle alles und es war ein sehr „nacktes“, intimes Gefühl für sie.

Das verstehe und fühle ich sehr. Mein allererstes Projekt und auch meine Folgeprojekte waren auch auf Englisch. Ich verstecke mich soundtechnisch gerne hinter viel Hall. Das wird auch weniger. Ich glaube, es ist ein Rauskommen aus sich selbst. Man wird ja mit der Zeit auch immer selbstbewusster. Einfach, weil es mehr Routine und normaler wird. Aber der Prozess des in Deutsch Schreibens ist ein intimerer. Auch wenn die erste EP noch nicht so intim, so nahbar war, wie das, was jetzt kommt. Es ist intimer als alles in Englisch. Man versteckt sich trotzdem hinter Zeilen und schönen Metaphern, die sich gut anfühlen. Aber auf deutsch schreiben ist viel intimer für mich und hat mich dementsprechend Überwindung gekostet. Es geht aber gleichzeitig auch viel einfacher von der Hand. Ich bin kein native Speaker in Englisch. Ich wünschte ich wäre es. Aber ich bin es nicht. In meiner Muttersprache, also in Deutsch zu schreiben ist für mich ein schöner Prozess, weil ich viel ehrlicher sein kann. Auf Englisch könnte ich dies so nicht. Da fehlen mir Vokabeln.

Du sprachst von vielen Demos, die noch auf eine Veröffentlichung warten. Dürfen wir uns perspektivisch auch auf ein Album freuen? Vielleicht ein wenig antiquiert: aber ich liebe immer noch das Format Album.
Ich mag das Format Album auch ganz doll. Im Sommer release ich erst einmal eine zweite EP. Diesmal dann auch als Vinyl. Ich bin nämlich auch ein ganz großer Fan von physischen Tonträgern. Das wird erst einmal ganz aufregend und schön. Das erste Mal dann auch wirklich die eigene Vinyl in Händen zu halten. Es wird eine wunderschöne, dunkelrote Vinyl. Es wird ganz, ganz toll.
Perspektivisch soll im Anschluss dann auch ein Album kommen. Dazu kann ich auch schon ein wenig was sagen. Nach dem EP Release werde ich mich dann in den Prozess des Albumschreibens begeben und ein paar schöne Geschichten erzählen. Es gibt schon ein paar Songs und ein paar Songideen. Aber zu sehr festlegen möchte ich mich noch nicht. Ich habe auf jeden Fall richtig Bock. Ich reibe mir schon so die Hände. Es wird mega.

Wie toll. Dann haben wir also ganz viel, auf das wir uns noch von dir freuen können.
Von dir nun zu deinem Umfeld. Magst du uns etwas zu den Bandenkonzerten erzählen? Es ist voll schön, dass du Raum und Bühne für FLINTA Artists schaffst. Das erste war in Hamburg, oder?
Das erste war meine eigene EP Release Show in Hamburg. Die habe ich zum Rauschgift EP Release veranstaltet. Ich glaube, es war im Mai letzten Jahres. Ich war bei etlichen tollen Konzerten vorher. Aber das Line Up war ausschließlich männlich. Beim dritten Konzert ist mir das dann aufgefallen und dass es so viele FLINTA Acts gibt, die sich im selben Genre bewegen, auf den gleichen Fluren tanzen wollen, aber nicht gezeigt werden. Das hat mich dann richtig sauer gemacht. Wir sind so unterrepräsentiert und es gibt so viele tolle Musikerinnen, die mindestens technisch und musikalisch genauso gut sind aber nicht gezeigt werden, keine Bühne bekommen.
Beim Release meiner ersten EP habe ich mir dann gedacht, dass ich für mich selber nicht so den riesigen Abend veranstalten will und mir stattdessen die coolsten Musikerinnen die wir haben, dazu buche. Mia Morgan hat dann geheadlined. Serpentin, von ihr bin ich auch riesengroßer Fan, hat gespielt und Lara Süss, eine ganz tolle Person, war auch dabei.
Wir bewegen uns ja alle in einem ähnlichen Sektor. Manchmal düsterer, manchmal schillernder, manchmal poppiger und manchmal elektronischer aber immer deutschsprachig. Das hat uns vereint. Im Anschluss gab es dann noch das DJ-Set von Kerker. Zu diesem Zeitpunkt gab es ja noch keine Musik von Kerker. Die kannte nur ich als Demo. Damit ist dann die erste Bande entstanden.
Alles fing vorab mit einer Playlist an „Bildet Banden“, in der nur FLINTA Acts drin waren. Auf der Grundlage dieser Playlist entstand dann das erste Konzert, bei dem ich dachte, wir treten nun durch die Tür. Und seitdem funktioniert Bande ziemlich gut. Aber auch nur, weil es mittlerweile ein Kollektiv ist. Was einfach mega cool ist. Alleine könnte ich es nicht stemmen. Ich habe auch eine Jobbörse gegründet für FLINTA Personen in der Musikindustrie. In diese Gruppe habe ich dann hineingeschrieben „Wer hat Lust mit mir diese Konzerte zu veranstalten?“.
Konzerte zu veranstalten ist nämlich ein Fulltime Job. Du musst ja nicht nur booken und kuratieren. Was das alles für ein riesen Apparat ist, wurde mir erst dadurch bewusst, dass ich selber veranstaltet habe. Die zweite und dritte Bande, da war ich auch noch involviert als Künstlerin. Nun nehme ich mich selbst etwas zurück und gebe auch anderen Künstlerinnen die Bühne. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache, dass wir halt vielen verschiedenen Künstlerinnen die Bühne geben, die ihnen zustehen sollte. Das große universale Ziel ist es eigentlich in ganz Deutschland regelmäßige Bandenveranstaltungen zu haben. Auch mal ne Party nur mit FLINTA DJs. Da gibt es auch so viele, tolle Acts, die auch wenig gebucht werden. Wir sind da in der Mache. Das wäre ohne das Kollektiv nicht stemmbar. MODULAR alleine ist schon ein Fulltime Job und nebenbei muss ich ja auch noch Geldverdienen, was als Independent Artists natürlich nicht so leicht ist. Ich gebe mein Bestes und mittlerweile läuft es auch wirklich toll. Ich bin auch sehr froh über mein Privileg, dass mir Leute zuhören wollen. Das ist sehr schön. Aber es ist gleichzeitig auch sehr aufregend und kräftezehrend.
Da bin ich froh über jegliche Unterstützung. Bande ist mittlerweile das Kollektiv und wir veranstalten gemeinsam. Es wird auf jeden Fall noch viel von uns kommen und wir versuchen nachhaltig den Markt umzukrempeln. Das ist unser großes Ziel.

Mega. Das ist so wichtig. Gerade die deutsche Festivallandschaft ist bei den großen, kommerziellen Festivals noch so weit weg von einem paritativen Line Up. So richtig bewusst geworden ist mir dies beim Primavera Sound 2018. Dort gab es erstmals ein genderequal Booking, was nicht nur quantitativ sondern auch von den Slots ausgeglichen war.
Krass. Das wollte ich gerade fragen. Es lohnt sich nicht, wenn dann die drei großen FLINTA Namen gebucht werden, aber nachmittags und an drei unterschiedlichen Tagen spielen. Dann spielen die drei großen BLOND, Mia Morgan und Serpentin aber auch noch an unterschiedlichen Tagen und zu undankbaren Zeiten, dass sie weniger gut „funktionieren“ und sich auch untereinander nicht connecten können. Vielleicht spielen sie sogar auf den großen Bühnen, aber dann hast du dort trotzdem BLOND als Opener um 15 Uhr gesehen. Du musst sie aber nachts bei Licht sehen. Da machen sie die große Party. Das ist nicht nur den Jungs überlassen. Es muss da was passieren. Aber ich bin optimistisch, dass sich auch da etwas tut. Wir sind ja gerade auf der c/o pop und das Line Up hier ist geil und sehr divers, was mich sehr doll gefreut hat. Die ganz dicken Festivals haben auf jeden Fall noch Aufholbedarf.
Die Schlange beißt sich selbst in den Schwanz. Die werden nicht gezeigt und so werden sie nicht größer. Und wenn sie nicht größer werden, werden sie nicht gezeigt bzw. für größere Slots gebucht und so beißt sie sich wieder selbst in den Schwanz. Das heißt es muss eigentlich ein richtig mutiges großes Festival geben und diesen Kreis durchbrechen und sagen, wir packen jetzt auch diese Person an den Slot, an den sie musikalisch hingehören.
Also Serpentin zum Beispiel spielt auch beim Deichbrand, aber ich hoffe, sie bekommt auch einen Slot abends in der Dämmerung, da wo sie hingehört. Wir brauchen auf jeden Fall mehr mutige Festivalbooker*innen, die beim Kuratieren auch darauf achten, welcher Act am besten wann spielen sollte. Die Timeslots sind total wichtig und sollten mehr nach Musik als nach Namen besetzt werden. So wie ich nicht um 14 Uhr auf einer Festivalbühne stehen sollte, mit meinen düsteren Sounds, so sollte eine Serpentin das genauso wenig. Es wird Zeit, dass da auch hier Booker*innen mutiger werden und etwas verändern. Ich glaube, wir haben alle Papa Roach genug gesehen.
Die kleineren Indie Festivals, das Maifeld Derby oder das Dockville haben es schon gut drauf. Sehr divers und so spannend. Es ist schön, wenn du nicht überall nur die gleichen Namen im Line Up siehst. Dieses Jahr ist Ashnikko Headlinerin auf dem Dockville. Die ja auch mega krass ist. Endlich einmal wieder eine Künstlerin. Mir fehlen nämlich so krasse Künstlerpersönlichkeiten. Björk oder Bowie das waren alles so krasse Künstlerpersönlichkeiten. Aber Ashnikko steht da in nichts nach. Sie macht natürlich einen komplett anderen Sound. Der ist zeitgenössischer aber die ist auf jeden Fall auch mal wieder eine Person, die als Bühnenperson bereits Kunst ist und das ist total schön. Beim Dockville Line Up steht sie zurecht ganz oben drin und das macht mich stolz und glücklich. Die anderen müssten dann einfach nachziehen. Es ist ja nicht so schwer.

Jetzt würde ich ja schon sehr gerne wissen, wie dein Wunschfestival ausschaut? Du darfst ganz fiktiv walten. Wo sollte es stattfinden und wer sollte alles spielen?
Hamburg ist schön wegen der lokalen Nähe und ich mag Wasser total gerne. Ich finde es schön, wenn Sachen am Wasser stattfinden. Das Dockville Gelände ist schon einfach toll. Daher gerne dort. Die Größe passt auch. Das es nicht zu groß ist. Denn dann fühle ich mich selbst unwohl. Ich finde Ashnikko ist eine tolle Headlinerin. Dann gehe ich aber auch gerne in den UK Bereich. Da finde ich Sorry super. Heartworms finde ich auch eine ganz tolle Musikerin und Persönlichkeit. Ganz, ganz toll. Dann Fontaines D.C.. Uche Yara. Biopolar Feminin. Eine ganz tolle Band. Serpentin natürlich. Ich habe Angst jemanden zu vergessen. Ich glaube mit dieser Frage würde ich mich sehr gerne auch nochmals in Ruhe beschäftigen.
Ich hätte gerne eine UK Sparte, da ich mich dort soundtechnisch sehr nahe fühle.
Und dann würde ich natürlich sehr gerne ein paar Leute wieder zum Leben erwecken und die dann dort spielen lassen. Wenn alles möglich ist und wir sind in einer Fiktion, dann wäre das auf jeden Fall eine Option. Dann habe ich natürlich auch Bock auf Bowie. Der aber nicht den Headliner Slot bekommt. Sondern kurz davor, damit jemand anderes headlinen darf. Björk ist natürlich auch eingeladen. Die hat ja auch ein tolles neues Feature mit Rosalía. Vielleicht spielen sie dann auch einfach zusammen.
Ich glaube es wird ein sehr langes Festival mit allen Bands, die ich dann mal sehen will.
Wir beleben dafür auf jeden Fall auch Leute wieder von den Toten. Ich glaube, dass ist für dieses Festival gut. Es wird dann auch “Die Untoten“ heißen.

Wie gut.
Würdest du dann auch selbst spielen?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube eher nicht. Selber spielen ist toll, aber da bin ich zu sehr beim Organisieren, Kuratieren und dann einfach auch beim selbst Anschauen.
Ich hatte vor kurzen auch die schöne Frage in einem Interview. „lieber selber spielen oder lieber Konzerte besuchen?“. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich spiele lieber selber, weil ich mich auf Konzerten oft nicht selber so wohl fühle. Es sind oft so viele Menschen dort und es ist oft nicht so ein safer space, wie ich ihn mir gerne wünschen würde. Die Leute um mich herum sind zu viele und zu nah. Wenn ich eine Band oder eine*n Künstler*in sehr gerne mag, höre ich diese sehr intensiv, sehr viel und kenne dann jeden Song in- und auswendig. Auf meinem eigenen Festival hätte ich die Hoffnung, mich mehr zurücknehmen zu können und endlich auch einmal entspannt zu schauen. Ich glaube das wäre so schön. Ich spiele wirklich saugerne live. Das mit das Schönste am Musikmachen, aber für dieses Festival würde ich mich gerne zurücknehmen und einfach mal versuchen, richtig gute Konzerte zu sehen und zu hören und zu genießen und auch einmal zu entspannen trotz so großer Menschenmengen. Das wäre so schön.

Da musste ich jetzt an Roskilde denken. Super divers vom Booking. Riesig, aber da in etwa jeder vierte Anwesende selbst am Festival mitarbeitet, mit einer Identifikation mit dem Festival, so dass es super aware und friedlich zu geht. Obwohl die Orange Stage bis zu 70.000 Menschen fasst, wurde ich während meiner vier Tage dort nur einmal sanft angerempelt und die Person hat sich dann auch unmittelbar total lieb entschuldigt. Auf dem Rückweg per Zug am Hamburger Hauptbahnhof war ich dann schnell wieder in der hiesigen Realität und wurde unmittelbar mehrmals angerempelt und blickte nur so in hektische, gestresste Gesichter. Es war der Horror.
So schön. So muss es sein. Es ist schön, so aware Spaces aufzubauen. Ich baue auch Awarenesskonzepte und bin auch da sehr viel tätig. Ich bin ja leider auch eine Person, die zum einen unter patriarchalen Strukturen leidet: mal eine Hand am Arsch ist Gang und Gebe. Mal Wegschieben, ganz doll an der Hüfte. Klar, das kennen wir alles. Auch Panik ist ein massives Problem bei Festivals. Da müssen wir aufpassen. Auch Berührungen können Menschen triggern. Wir wissen nicht, wer vor uns steht, warum wie etwas passiert und was diese Person alles erlebt hat. Deshalb ist es wichtig diese Räume aufzumachen. Gerade Festivals und Konzerte sollten Orte sein, an denen sich alle wohlfühlen. Das versuche ich bei meinen Konzerten immer zu schaffen, mache da auch Awareness-Ansagen und sage „Bitte sagt Bescheid, wenn ihr euch nicht wohl fühlt“. Ich will eine Awareness für alle schaffen, Orte an dem wir alle die Augen offenhalten und sich alle umeinander kümmern und Rücksicht nehmen. In der Gesellschaft und auf Konzerten und Festivals.
Deshalb ist es so schön und so wichtig, wenn so viele Menschen da ehrenamtlich und mit Herzblut arbeiten und es nicht machen, weil sie müssen, sondern weil sie an die gute Sache glauben. Zum Glück gibt es so Leute. Lasst uns auch da Banden bilden.

Dort wurde dann auch eine Zeitwende eingeleitet: aufgrund räumlicher Vorgaben ans Bühnenbild konnte Rosalía nicht auf der größten Bühne spielen. Die zweitgrößte Bühne fasst aber „lediglich“ weniger als halb so viele Menschen. Rosalía hat daher parallel zu Blur auf der größten Bühne gespielt. Bei Rosalía war es unmittelbar schon mehr als voll. Während der Auftritte sind dann immer mehr und mehr Menschen von Blur zu Rosalía gewandert.
Das ist aber auch krass. Was für ein Zeichen. Alles richtig gemacht. Die einen dürfen Tanzen und die anderen einfach sein. Wie schön. Wie smart gelöst.

Du hattest eben deine Leidenschaft für Sound aus UK erwähnt. Oft wird deine Musik der Neuen Neuen Deutschen Welle zugeordnet. Vielleicht etwas waviger. Wie würdest du deine Musik labeln?
Ich selbst spreche momentan am liebsten als Wavepop von meiner Musik. Ich finde Neue Deutsche Welle ist damals wie auch heute als Neue Neue Deutsche Welle ein sehr breit gefächerter Begriff. Das kann Hubert Kah sein mit seinem Sternenhimmel, der sehr geil ist. Ich mag diesen Song. Es kann aber auch Malaria! sein. Es kann auch Ideal oder Computerstaat sein. Es kann richtig düster und komplett unkommerziell sein. Es kann aber auch total kommerziell und glitzernd und poppig sein wie Nena. Die Grenzen sind halt schmal. Damals wie heute. Es gibt nun wieder die Bewegung Neue Neue Deutsche Welle. Da gibt es auch einen Startschuss für. Damals wie heute. Es gibt auch wieder eine richtig große Bewegung an Musiker*innen die wieder deutschsprachige Musik machen. Da fühle ich mich auch zugehörig. Denn ich mache deutschsprachige Musik. Das kann man so fassen. Ich selbst sage aber am liebsten, ich mache Wavepop. Meine Musik ist tanzbar, ein bisschen poppig und indie. Ich versuche mich aber auch nicht zu sehr festzulegen und sehe mich nicht nur in einer Schiene. Ich identifiziere mich doll mit vielen Leuten der Neuen Neuen Deutsche Welle. Sie sind sehr lieb. Es ist ein sehr lieber, auffangender und supportiver Rahmen, in den ich da hineingefallen bin. Trotzdem muss meine Musik nicht ausschließlich da gelesen werden. Ich freue mich auch, wenn Leute sagen, ich mache Indiemusik oder Popmusik. Ich fühle mich dann nicht auf den Schlips getreten, sondern finde das eher toll. Ich entwickle mich ja auch weiter. Und auch das ist ein ganz wichtiger Punkt: das ich mir selbst nicht zu enge Grenzen setze. Schlager wird es zwar nicht. Aber ansonsten finde ich es wichtig, mich selbst nicht zu sehr einer Schublade zu verordnen und zu sagen, da bin ich nun drin und hier richte ich es mir ein und will für immer da bleiben. Aber wenn Leute mich da aktuell drin sehen und ihnen das gut tut, so passt das. Das ist vielleicht die akkurate Antwort.

Blicken wir etwas genauer auf die Entwicklung der Neuen Neuen Deutschen Welle, so ist spannend, dass es sich zuerst alles in der Ecke Stuttgart knubbelte: Edwin Rosen, Flawless Issues oder Temmis, die jedoch mittlerweile auch in Hamburg wohnen. Mittlerweile finden sich Acts aber überall und mit Mia Morgan, Serpentin oder dir wird das Genre nun auch geschlechtsdiverser.
Es ist total wichtig und gut, dass nun auch in diesem Genre FLINTA Artists die Bühne bekommen. Und es gibt noch so viele andere. Zum Beispiel Agatha is Dead!. Hört euch die einmal an, wenn ihr diese Musik schätzt. Genial. Es gibt so viele, so geniale Künstlerinnen und Bands in diesem Genre. Mia Morgan macht ja schon länger deutschsprachige Musik. Wie gesagt, die Grenzen sind schwammig. Damals wie heute. Es kam aus dem Untergrund und wurde poppig und dasselbe passiert heute und das ist auch völlig okay so. Wenn die Majors beginnen solche Acts zu signen, dann wird es halt größer und geht seinen Weg. Aber das ist ja perfekt. Es wird viel länger existieren, weil es viel bubbeliger ist durch das Internet und die Fancommunity wie die Künstler*innen untereinander so liebe und supportive Menschen sind, die sich untereinander so aufrichtig schätzen. Das ist ein total schönes Momentum. Aber ich lege mich da nicht fest und bin so froh und freue mich, was da kommt. Und ich freue mich, wenn da noch mehr FLINTA Artists kommen.

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Bleiben wir bei (älterer) Musik. Du coverst live sehr gerne. Wie suchst du dir dabei deine Cover aus?
Ich versuche meine Cover mit Bedacht auszusuchen. Was holt mich selbst gerade ab. Momentan ist es Allein Allein. Das ist ein Song, den ich auch als kleine Maus im Radio bei der Oma gehört habe, wenn wir von a nach b gefahren sind. Da ist mir, wie gesagt total wichtig, dass der Song mich selbst abholt, aber auch meine Zielgruppe abholt. Ich stelle mir dafür mein Publikum, meine Audienz vor und überlege, gefällt ihnen das und überrascht die das. Wenn ja, dann ist das bereits eine sehr wichtige Sache. Gleichzeitig ist mir aber auch wichtig, mich mit den Leuten zu identifizieren, die den Song geschrieben haben und da mittlerweile auch in die Recherche zu gehen, was hat der Künstler oder die Künstlerin sonst noch so gemacht und kann ich für das stehen, was die Person sonst noch so gemacht hat. Deshalb ist es meiner Meinung nach total wichtig, einen Künstler in seiner Gesamtheit und nicht nur als einzelne Teile Kunst oder Musik zu betrachten. Du kannst den Künstler nicht vom Werk trennen.

Wie gut. Es ist so toll, wie intensiv du dich auch mit so etwas auseinandersetzt.
Du kommst ja von der Fotografie und hast zum Beispiel Mia Morgan länger fotografisch begleitet. Du bist auch Fotografin. Fällt es dir nun schwer, auch selber vor der Kamera zu stehen?
Nein. Zum Glück nicht. Ich habe das vorher auch bereits ein bisschen gemacht. Also bevor ich die Lehre zur Fotografin angefangen habe wurde ich mehrmals gefragt zu modeln. Weil ich sehr dolle Augenbrauen habe und sehr helle Haare und das trage ich auch schon länger so. Damit hatte ich dann bereits meine ersten Erfahrungen vor der Kamera, bevor ich hinter der Kamera stand. Und auch in der Ausbildung musste man sich immer mal wieder selbst portraitieren. Da fiel es mir dann immer leicht. Ich habe das Gefühl, ich bin relativ fotogen. Deswegen weiß ich auch genau, wie ich mich hinstellen möchte. Das ist schon ein tolles Feature, wenn man selbst Pressefotos machen will. Ich habe bereits eine ziemlich genaue Vorstellung, wie etwas wirken wird und soll in meinem Kopf. Ich weiß genau, wie will ich mich inszenieren, wie möchte ich wirken, was genau ist mir wichtig. Und weil ich beide Blickwinkel, vor und hinter der Kamera kenne, fällt mir dies relativ leicht.

Aber ist es dann nicht auch schon so, dass du eine genau Idee hast, wie das Bild von dir werden soll? Wäre es dann blöd, wenn die Person, die dich fotografiert eine Ästhetik pflegt, die nicht deine ist?
Ich glaube, dann würde sie mich nicht fotografieren. Das audio-visuelle ist mir sehr wichtig. Ich trage ja auch Kostüme auf der Bühne und finde die Inszenierung meiner selbst bzw. der Figur MODULAR selbst sehr, sehr wichtig, weil es für mich ein weiteres, wichtiges Ausdrucksmittel ist. Alle Fotos, die an die Öffentlichkeit gelangen sind daher dann auch in meinem „MODULAR Look“ mit dem Haaren und dem Make Up, oft weiß. Wenn ich auf der Bühne stehe, trage ich nur weiß. Das kann sich zwar noch verändern, ist auch fluid. Aber aktuell ist es so und dieser Inszenierungspunkt ist mir als weiteres künstlerisches Ausdrucksmittel einfach sehr wichtig. Jedes Video und jedes Fotoshooting ist vorher akribisch von mir geplant und ich mag dabei dann auch eine grobe Oberhand zu haben, wie es wird und passiert. Wie ich dann selber abgelichtet werde ist mir sehr wichtig. Eigentlich passiert es dann daher auch nicht, dass bei diesem Output dann etwas vollkommen anders ist, als von mir geplant oder erhofft. Zumal ich mich meistens auch mit den Menschen hinter der Kamera gut verstehe und gut kommuniziert bekomme, wohin die visuelle Reise gehen soll und ich mich dann auch während dem Prozess des Fotografierens so wohl fühle, dass es dann die gewünschten Ergebnisse gibt. Klar gibt es immer mal wieder auch das ein oder andere Konzertfoto mit Doppelkinn, wo ich dann so seltsam nach unten schaue.

Wobei ich mich aber auch immer frage, was hat Mensch von der Veröffentlichung eines solchen Bildes? Klar ist Wahrnehmung subjektiv, aber es gibt – gerade bei Konzertfotos – nun einmal auch Fotos, die einfach objektiv unvorteilhaft sind. Gerade bei großen Bühnen aus dem Graben heraus.
Manche Leute haben da keinen Blick dafür. Für sie ist ein gutes Foto ein technisch gutes Bild. Schön ist, was scharf ist. Ich weiß es auch nicht. Manchen fehlt da das Gespür, die haben dann vielleicht ihre Kompetenzen woanders. Ich frage mich zwar dann auch, warum muss das sein.
Wenn man sich auf eine Bühne stellt, ist man eine Person des öffentlichen Lebens und darf fotografiert werden. Manchmal wünschte ich mir da aber etwas mehr Fingerspitzengefühl. Bei Liveshows beschäftigt man sich dann auch mit seiner Nicht-Schoko-Seite. Bei geplanten Fotoshootings kann ich mich schön von meiner linken Schokoladen-Fotoseite zeigen. Es ist aber für mich auch ganz gesund, mich nicht nur so zu sehen, wie ich mich inszeniere, sondern auch so zu sehen, wie ich wirklich aussehe. Jeder hat ein Doppelkinn, wen er nach unten schaut und jeder sieht einfach nicht immer super aus. Es ist für mich total wichtig, mich auch mit meinem normalen Erscheinungsbild auseinanderzusetzen. Es ist gut auch mal doof auszusehen, denn jeder sieht auch mal doof aus. Es wäre natürlich schöner, wenn einen alle immer von der besten Seite ablichten. Aber das geht ja gar nicht. Das andere gehört auch dazu und auch zu mir.

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Das ist jetzt vielleicht auch eine ganz schöne Metapher. Du meintest ja bereits, dass du nicht nur die traurigen Songs machst, sondern auch mal fröhlichere Nummern. Das es so viele Seiten von dir gibt.
Genau. Es gibt halt Facetten und nicht nur Schoko-Seiten. Trotz der ganzen Inszenierung bin ich ja trotzdem echt. MODULAR ist immer Selena. Aber Selena ist nicht immer MODULAR. Aber ich bin immer ich. Deswegen ist es wichtig, dass die Leute mir zuhören, ob live oder auf Platte, mich sehen. Ich kann mich da nicht rausnehmen, die Rechnung funktioniert so nicht. Ich existiere natürlich auch von meiner Nicht-Schokoseite und ich existiere auch mal in einem nicht guten Winkel. Das ist auch normal. Bei dem ganzen Tamtam ist das immer wichtig.

Jetzt habe ich doch noch eine Frage. Hast du selbst einen Ort, der dein zuhause ist und an dem du dich angekommen fühlst?
Meine Hündin und mein Auto. Ich liebe mein Auto, meinen Polo sehr. Sie ist ganz toll und gibt mir ein großes Gefühl von zu Hause. Sie ist sehr warm, weil ihr Lüftungsmotor nicht mehr richtig funktioniert. Aber sonst ist sie ganz toll. Und dann natürlich meine Hündin.
Ich finde Zuhause ist immer schwammig. Ich bin keine Lokalpatriotin. Düsseldorf ist eine hübsche Stadt und ist schön anzusehen. Aber wenn ich mich auf eine Stadt festlegen sollte, dann eher Hamburg. Hamburg hat es mir einfach gemacht und mich schnell mit offenen Armen empfangen. Ich fühle mich dort wohler. Wenn ich mich auf eine Stadt hier festlegen sollte, dann am ehesten Hamburg.
Ansonsten bei meiner Familie. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Eltern und zu meiner Familie generell. Alle Leute, die da stattfinden. In meinem Freund*innenkreis und in meiner Familie. Es klingt so klischeehaft und nach einem Kalenderspruch, aber das ist genau das. Da wo ich zuhause bin und mich wohl fühle, ist da, wo meine Leute und meine Hündin ist und ich in Ruhe ich sein kann.

Vielen, vielen Dank Selena.
Vielen lieben Dank euch. Es war super schön und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Ihr seid total mausig.

MODULAR live:
15.08.24 Hamburg, MS Dockville
12.10.24 Nürnberg, Nürnberg Pop Festival
29.11.24 Hannover, Lux
30.11.24 Stuttgart, Merlin
01.12.24 München, Milla
02.12.24 Leipzig, Naumanns
04.12.24 Berlin, Badehaus

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Stephan Strache

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