CUCKOO – Filmkritik


Foto-© Photo Felix Dickinson, Courtesy of NEON

Nature is… quite remarkable.

(Herr König – Cuckoo)

Gretchen (Hunter Schafer) wirkt auf den ersten Blick wie ein typischer Teenager: Mürrisch und in sich gekehrt kapselt sie sich ab von ihrem Vater (Marton Csókás), seiner neuen Frau Beth (Jessica Henwick) und ihrer stummen Tochter Alma (Mila Lieu). Ihr Leben erfährt eine Wendung zum Ungewöhnlichen, als ihr Vater einen beruflichen Auftrag erhält und daher mit der ganzen Familie in ein Ferienresort in den Alpen zieht. Dort werden sie von Herrn König (Dan Stevens) empfangen, dem Chef des Resorts, der Gretchen in seiner gestelzten Art sofort merkwürdig vorkommt. Trotzdem beschließt sie, einen Job an der Rezeption seines Hotels „Alpschatten‟ anzunehmen, um sich genug Geld für eine Rückreise nach Amerika zu verdienen. Schon bald fällt ihr auf, dass es in diesem Hotel nicht mit rechten Dingen zugeht: Eintreffenden Gästen geht es sehr plötzlich sehr schlecht, aus dem Wald dringen zu jeder Tages- und Nachtzeit seltsame, kreischende Geräusche und Herr König beharrt auffallend bestimmt darauf, dass Gretchen nach 22 Uhr unter keinen Umständen alleine nach Hause fahren sollte. Sie beginnt, beunruhigende Visionen zu entwickeln und stößt schließlich auf das schockierende Geheimnis des Resorts, in das ihre Familie tief verstrickt ist.

So wie Gretchens Familie und der Ferienort zunächst relativ normal erscheinen, aber seine finsteren Geheimnisse und die emotionalen Untiefen der Beziehungen immer mehr ans Licht treten, so entwickelt sich auch Cuckoo über seine Laufzeit hinweg von einem klischeehaft anmutenden Horrorfilm zu etwas ganz anderem. Es werden Finten und falsche Spuren gelegt, man glaubt, das Thema des Films erfasst zu haben, um dann doch wieder mit einer unerwarteten Wendung des Motivs überrascht zu werden. Psychologische Komplexe werden ausgelotet: Der Ort des wahren (emotionalen) Horrors ist die Familie, vor einem atemberaubenden, aber zugleich immer leicht beunruhigenden Backdrop wie den deutschen Alpen, durch den die Szenerie sowohl abgeschieden als auch seltsam zeitlos wirkt. Dan Stevens hat dabei sichtlich Spaß an seiner Rolle als unverhohlen gruseliger Hotelbesitzer, bei dessen aufgesetzter ruhiger Freundlichkeit sich einem die Nackenhaare aufstellen. Hunter Schafer gibt in einer ihrer ersten Hauptrollen in einem Film alles, spielt Gretchen nuanciert und glänzt vor allem in hochemotionalen Szenen, aber auch als Sympathieträgerin in einem Mikrokosmos, der in fast David-Lynch-hafter Manier von unheimlichen Charakteren bevölkert ist. Dabei braucht Cuckoo zwar etwas Anlaufzeit, um in Fahrt zu kommen, überrascht dann aber immer wieder und überzeugt durch das Spiel seiner Hauptdarstellerin und originelle Story-Ideen. Am Ende wünscht man sich zwar, man hätte noch etwas mehr über die Vorgeschichte und die Funktionsweisen dieser Welt gelernt, aber bis dahin fühlt man sich gut unterhalten und zeitweise sogar gerührt – eine seltene Leistung für einen Horrorfilm.

Cuckoo (D, USA 2024)
Regie: Tilman Singer
Besetzung: Hunter Schafer, Dan Stevens, Jessica Henwick, Marton Csókás, Jan Bluthardt, Greta Fernández, Astrid Bergès-Frisbey, Proschat Madani
Kinostart: 29. August 2024, Weltkino

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Tamara Plempe

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