Fotos-© Daniel Kremser
Vom 9. bis 11. August fand auch in diesem Jahr das Flow in Helsinki statt. Das finnische Festival ist längst kein Geheimtipp mehr unter deutschen Festival-Touris, die über den Sommer die ein oder andere musikalische Reise planen. Vor 20 Jahren, 2004, fand das Festival das erste Mal in der finnischen Hauptstadt statt und sollte laut den Gründern als “hochqualitatives Indie-Musikfestival” die kulturelle Szene der Stadt aufmischen. Mittlerweile können die Macher mit Fug und Recht behaupten, das geschafft zu haben. In den letzten Jahren haben sich Größen wie Solange, Florence + the Machine, Gorillaz, The Cure oder Nick Cave die Ehre gegeben.
Auch 2024 stand eine Vielzahl an musikalischen Schmankerln auf dem Programm. Und während sich in Deutschland viele Veranstalter:innen noch immer mit möglichsten niedrigen Quote an weiblich gelesenen Acts auf ihren Festivals aus der Affäre zu ziehen versuchen, fällt beim Flow auf: Hier besteht das Line-up ganz selbstverständlich aus zahlreichen genialen Künstlerinnen, die folgerichtig neue Perspektiven auf die großen Bühnen in Helsinki bringen.
20 Jahre Flow: Indie Excellence trifft Female Rage
Am Freitagabend beglückte die Britin Raye bei Sonnenschein auf der Main Stage die Crowd des Flow. Barfuß, aber dafür in einem silbernen Glitzerkleid kam die 26-Jährige auf die Bühne und ließ nach den ersten Minuten keinen Zweifel mehr offen, dass die selbsternannte “Dramaqueen” ein echtes Ausnahmetalent ist. Schon nach wenigen Songs fühlte sich die Sängerin dabei so wohl mit der finnischen Crowd, dass sie trotz des fröhlichen Sommerabends ihre wohl schmerzhaftesten Songs performte.
Darunter Ice Cream Man., ein wahnsinnig ehrlicher Song über sexuellen Missbrauch, der neben Raye auch viele weitere Frauen im Publikum zu Tränen rührte. Auch mit ihrem viralen Hit Escapism ging es wenig später auf der Bühne erneut um patriarchale Strukturen und Machtmissbrauch. Und das kann ein Festival eben auch sein: ein Ort, an dem man den Schmerz, Teil einer diskriminierten Gruppe zu sein, teilt und gemeinsam die Musik und ihre therapeutische Wirkung feiert.
Das dachte sich wohl auch US-Sängerin Halsey, die in Helsinki ihren zweiten Auftritt nach einer längeren krankheitsbedingten Pause hinlegte und mit ihrem Song Nightmare und female rage galore ihre Headline-Show eröffnete. Toxische Beziehungen, Krankheit, Sexismus – Halseys Auftritt bewies ebenso wie Rayes Performance, wie gut es tut, weiblich gelesenen Acts die großen Bühnen zur Primetime zu überlassen. Denn seien wir mal ehrlich, genau dort gehören diese Themen hin, die viel zu oft noch von nichtssagendem Altherrenrock oder sexistischem Rap verdrängt werden.
Einen denkwürdigen Abschluss des Freitags legte dann die nicht-binäre Artist Janelle Monáe hin, die in der Silver Arena den Closer des ersten Festivals gab. Stimmgewaltig und mit einer einzigartigen Bühnenpräsenz sorgte das Soul-Talent gehüllt in Blumen für eine Stunde ganz im Sinne ihres Albums The Age of Pleasure.
Sowohl am Samstag als auch am Sonntag ging das Musikfestival in der finnischen Hauptstadt genauso genial weiter, wie es angefangen hatte. Denn neben den zwei großen Main Stages gibt es auf dem Flow in jeder Ecke etwas zu entdecken. In der atemberaubenden Ballon-Stage, beispielsweise, verzauberte der New Yorker Künstler Serpentwithfeet am Samstag zum Sonnenuntergang das Publikum in der 360-Grad-Location mit verträumten 90s R’n’B und Soul.
Große Gefühle der anderen Art weckte zu späterer Stunde auch Fred again… Angekündigt durch ein Video seines Großvaters, der darin in gebrochenem Finnisch von seiner Liebe für die Stadt Helsinki berichtet, weckte der Brite instant Sympathien. Es ist kein Geheimnis, dass an diesem Tag jeder auf den Song Marea (we’ve lost dancing) hinfieberte und nicht nur dieser Hit machte das Set von Fred again zu einem Highlight des Wochenendes.
Die unfassbare Energie des 31-Jährige übertrug sich in Windeseile auf die Crowd, die im Bann des Musikproduzenten aus London regelrecht gefangen war. Wer es danach noch geschafft hat, sich loszureißen, taumelte zur Silver Arena und wurde dort von der norwegischen Sängerin Aurora, eine weitere stimmgewaltige Künstlerin, die ihresgleichen sucht, noch ein letztes Mal an diesem Abend mit live Gesang beglückt.
Der Sonntag am Flow war neben der finnischen Sensationsband Gasellit, die bereits am frühen Abend alle Besucher:innen des Festivals zur Main Stage lockte, zumindest auf den Hauptbühnen fest in britischer Hand. Funky Popmusik gabs von Jessie Ware, bevor James Blake die Melancholie des letzten Festivaltages mit seinem gefühlvollen Elektro-Pop in jeder Pore der Festivalgänger:innen aufsteigen ließ. Den krönenden Abschluss des Flow bot dann die britische Rockband Pulp, die zuletzt seit ihrer Reunion-Tour 2023 wieder über die Bühnen der Welt spazieren.
Neben den musikalischen Highlights glänzte das finnische Festival zum 20-jährigen Jubiläum auch mit einem kulinarisch Highlight, das man so auf anderen Festivals wohl vergeblich sucht. Die Brand Oatly veranstaltet auf dem Gelände des Festivals gemeinsam mit dem vom Guide Michelin ausgezeichneten Starkoch Kozeen Shiwan ein komplett veganes 4-Gänge-Menü. Dabei ließ sich der Finne in dem Pop-up-Restaurant inmitten des Festivalgetümmels für sein pflanzliches Lineup selbst wie ein Rockstar feiern.
Denn das ist das Schöne am Flow Festival in Helsinki: Hier wird nicht nur zum x-ten Mal der Einheitsbrei der letzten Jahrzehnte serviert – weder kulinarisch noch musikalisch – sondern die Festival-Experience neu und zukunftsträchtig gedacht. Was dabei entsteht, ist ein Ort, den es so nur hier gibt und der jedes Jahr aufs neue ein magisches Wochenende verspricht.
Das nächste Flow Festival findet vom 8 bis 10. August 2025 in Helsinki statt. Early Bird Tickets gibt es ab sofort für 199 Euro.