DIE NERVEN – Wir waren hier


Foto-© David Speath

Treib den Stollen in die Tiefe wo es keine Luft
Zum Atmen gibt
Trag die Schande in die Berge wo sie Millionen
Jahre liegt
Stein und Staub und Stahl und Regen
Kein Gesetz das für uns gilt
Wir haben uns verewigt in den Rissen der Welt

Wir waren hier
Wir waren hier

Keine Pflanze, kein Tier war so wertvoll wiе wir
Nach uns kommt die Sintflut
Wir fressen vorhеr alles auf
Wirf den Castor zu den Wellen
Und die Körper auch
Für uns galten keine Regeln
Nötig nur was uns erhält
Wir haben uns verewigt
Wir, die Herren der Welt

Wir waren hier
Wir waren hier
Keine Pflanze, kein Tier war so wertvoll wie wir
Wir waren hier
Wir waren hier
Wir waren hier
Wir waren hier

(Die Nerven – Wir waren hier)

Dass wir Menschen den zerbrechlichen Planeten Erde eigentlich nur recht kurz bevölkern, mit unserem rücksichtslosen ökologischen Fußabdruck aber in dieser überschaubarer Zeit konsequent alles kaputt gemacht haben – Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn alias Die Nerven drücken es so drastisch und eindringlich aus wie niemand sonst in der deutschsprachigen Rockmusik. “Wir haben uns verewigt/Wir, die Herren der Welt” lautet eine der Textzeilen des dystopischen, irgendwann Richtung Metal abbiegenden Titelstücks von Studioalbum Nummer sechs seit dem Debüt Fluidum (2012). “Wir waren hier/Wir waren hier/Keine Pflanze, kein Tier war so wertvoll wie wir/Nach uns kommt die Sintflut/Wir fressen vorher alles auf.” Gute Laune macht das nicht. Soll es auch nicht.

Wenn es nach dem selbstbetitelten “schwarzen Album” des Trios von 2022 – also der Platte mit dem schönen Hund auf dem Cover – noch irgendwelche Zweifel daran gab, sind sie mit Wir waren hier nun definitiv beseitigt: Die Nerven sind die derzeit wichtigste, klügste, beste Rockband des Landes. Denn auch jetzt wieder gelingt ihnen ein Postpunk-trifft-Krach-trifft-Schmerz-trifft-Wut-Wunderwerk, das “die Risse dieser Welt” ausleuchtet wie kein anderes Album im deutschsprachigen Raum. Seit Ton Steine Scherben in den 60er/70ern und den Fehlfarben vor gut 40 Jahren hat es solche nihilistische wie aufrüttelnde Musik hierzulande nicht mehr gegeben.

Wie schon mit Europa, dem vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aufgeladenen Schlüsselsong des vorherigen Albums, legt die in Berlin beziehungsweise Stuttgart lebende Band auf ihrem sechsten Album den Finger in die Wunden unserer tristen Gegenwart, ohne jemals in platten Agitprop-Punkrock abzurutschen. Es geht in diesen hochintensiven Liedern aber nicht immer direkt um Politik, sondern ganz oft auch um sehr persönliche Gefühle und Befindlichkeiten. Wenn die beiden Nerven-Sänger Rieger und Knoth in Tracks wie Bis ans Meer irgendwann nur noch brüllen (“Irgendwo, zwischen jetzt und hier/bin ich ganz bei mir”, “Ich schrei lauter als die Wellen/ich schrei lauter als das Meer”), stellen sich unweigerlich die Nackenhaare aufrecht angesichts von so viel Emotion.

Ähnlich der vor zwei Jahren sensationell eingeschlagenen Vorgängerplatte ist der Sound von Wir waren hier erneut kathedralengroß, fast jeder Song trumpft mit wuchtig hallenden Gitarrenriffs, gefährlich knurrendem Bass und vorwärts peitschenden Drums auf. Lediglich Achtzehn und Wie man es nennt in der Mitte des Albums gönnen dem Hörer Atempausen im Streicherballaden- oder Midtempo-Modus.

Die Label-PR hat für dieses so angenehm vertraute wie clever weiterentwickelte Songwriting- und Klang-Erlebnis ein schönes Bild gefunden: “In ihrer Musik fliegt man immer noch über Halden voll Schrott, über dürre Heiden, wüste Länder und öde Städte. Aber es schillern nun auch schöne Klangtupfer über der Szene wie von den letzten Sonnenstrahlen vor einer ewigen Nacht oder von einem bunt schillernden Ölfilm auf einer verdreckten See.” Dass diese Lieder nicht nur Trauer und Zorn, sondern seltsamerweise auch Glück empfinden lassen, ist das große Kunststück der 2010 in Esslingen am Neckar gegründeten Nerven.

Ihre neuen Songs hat die Band “in einer vierwöchigen Session in einem ehemaligen Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten mit Blick auf die Oper geschrieben”, heißt es. „Wir waren wieder alle gemeinsam in einem Raum, und plötzlich ging alles wieder wie von alleine. Es haben sich wie von selber Leitmotive gebildet, die alle Songs miteinander verbinden.” Dass der zwischen rauem Alternative-Krach und zarter Pop-Melodie pendelnde Live-Sound hier perfekt eingefangen wurde, macht die Sache noch besser. “Es ist das erste Album, das wir machen, das sich nicht so anfühlt wie unser letztes Album”, teilt die Band mit. Gut so.

Die Nerven – Wir waren hier
VÖ: 13. September 2024, Glitterhouse
www.facebook.com/deinemutteralter

Die Nerven Tour:
05.11.2024 Hannover, Faust
06.11.2024 Berlin, Astra Kulturhaus
07.11.2024 Essen, Zeche Carl
12.11.2024 Mannheim, Alte Feuerwache
13.11.2024 Nürnberg, z-Bau
14.11.2024 München, Technikum
26.11.2024 Hamburg, Fabrik
27.11.2024 Frankfurt, Das Bett
28.11.2024 Bielefeld, Forum
29.11.2024 Köln, Kantine
19.03.2025 Bremen, Tower
20.03.2025 Kiel, Pumpe
21.03.2025 Rostock, Peter Weiss Haus
26.03.2025 Dortmund, Junkyard
27.03.2025 Stuttgart, LKA Longhorn
28.03.2025 Freiburg, E-Werk
03.04.2025 Leipzig, Conne Island
04.04.2025 Dresden, Chemiefabrik

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Werner Herpell

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