INTERNATIONAL MUSIC – Interview

Treffen mit Musikern, die eine neue Platte veröffentlichen, verlaufen stur nach einem Muster. Man trifft sich in einem Company-Kabuff oder Business-Hotel, die koordinierende PR-Person einer Plattenfirma oder Agentur empfängt die Gesprächspartner*innen der Musiker*innen. In diesem Fall läuft es anders. Pedro Gonçalves Crescenti schnappt sich zum verabredeten Zeitpunkt sein Fahrrad vor einer Radiostation, bei der er vorher war, und wir schreiten gemütlich zu einem Café, das sich in Kreuzberg schon irgendwo in der Nähe auftun wird. Alles sehr spontan und bodenständig. Fast ein wenig surreal für einen, der mit dem dem letzten Album der Band International Music, in der er Bass spielt und singt, immerhin die 13. Position in den deutschen Album-Charts erklommen hat. So eine Platzierung bedeutet heute im Vergleich zu früher nicht mehr so viel, aber sie sagt dennoch, dass Leute an den drei Jungs interessiert sind (zu denen auch die absenten Peter Rubel an Gesang und Gitarre und Joel Roters am Schlagzeug gehören). „Es ist alles etwas schwer einzuschätzen gerade“, findet Pedro. „Wir können nicht genau orten, wo wir als Indie-Band stehen, wie viel gerade geht. Der Vinyl-Verkauf ist ein guter Indikator dafür. Wir müssen als kleinere Band um das Erscheinen bangen, weil die Letzte von Metallica zum Preis von 72 Euro im Presswerk den Vorzug bekommt.“

Bei Pedro liegt Musik in der Familie. Sein Vater ist Brasilianer und erreichte 1987 den Flughafen Frankfurt/Main. Er hatte genug von der Militärdiktatur zu Hause, ein neues Leben musste her. Papa fand hier die Liebe und zeugte überwältigt seinen Sohn, der in Mainz aufwuchs und heute in Essen lebt. Diese Verwurzelung ist nicht ganz unentscheidend, sie steht sinnbildlich für die Band International Music. Man entdeckt schon Bindung zu Deutschem, aber die Kardinalvorbilder kommen aus anderen Gegenden der Erde und spielen auf dem dritten Album erneut eine wichtige Rolle. Das Werk heißt Endless Rüttenscheid und ist nach einem Essener Stadtteil benannt, den noch niemand besungen hat. Pionierarbeit also. Spannende Grundlage für ein Gespräch, in dem zugleich deutlich wird, dass International Music mit Verve zu dem halten, was uns seit Jahrzehnten länderübergreifend vergnügt. Sie lieben Rockmusik über alles.

Rüttenscheid. Warum dieser Stadtteil und warum gerade jetzt?
Erstmal klingt es gut. Wir fanden alle, dass das schön über die Lippen geht. Dann ist es einzigartig, diesen Titel gab es bisher noch nicht. Und es ist ein Begriff, der in uns eine Art Nostalgie erleben lässt, weil wir viel Zeit in dem Stadtteil verbringen. Wir leben gerne in Essen, erleben aber auch den Wegzug von Freunden und vielen Kreativen, die nach Berlin oder Leipzig gehen. Das macht dann auch nachdenklich. Man kann gut in Rüttenscheid wohnen, aber auch dort gibt es Gentrifizierung mit Verdrängung von unabhängiger Kultur. Die Mieten steigen ins Bodenlose, mittlerweile gibt es in dieser Hinsicht kaum einen Unterschied zwischen Rüttenscheid, Köln und Prenzlauer Berg.

Köln ist eigentlich teurer, denkt man oberflächlich von außerhalb.
Ich glaube, dass die Leute eher nach Köln ziehen, weil es da größere musikalische oder künstlerische Szenen gibt, um sich mit anderen Musikern auszutauschen und zu treffen. Es ist ja schon immer so das Problem des Ruhrgebiets, dass es echt ein bisschen leer ist ab und zu. Dadurch ergeben sich sehr schöne Dinge, aber viele fragen sich längerfristig, ob das genug Austausch und genug Happening ist. Wenn eine Band kommt, spielt sie meistens in Köln und selten in Essen. So stellt sich insgesamt die Frage, ob der Titel Endless Rüttenscheid für ein positives Bild sorgt oder vielleicht auch ein negatives. Man zweifelt manchmal an der Entscheidung. Doch dann passt das Wort endlos, weil wir trotz aller Widrigkeiten des Lebens dort bleiben und uns dazu bekennen. So ist es für viele im Ruhrgebiet, glaube ich.

Hat es euch gereizt, Botschafter für eine Region oder Stadt zu werden?
Ich glaube, dass wir für Albumtitel gerne was Parolenhaftes wollen, das irgendwie als Schlagzeile funktioniert. Aber es soll auch zum Nachdenken anregen. Es soll etwas drin sein, das auf den ersten Moment sowohl ersichtlich als auch nicht ganz ersichtlich ist. Als Botschafter des Ruhrgebiets haben wir uns nie so richtig gesehen, weil wir zugezogen sind, ursprünglich aus Mainz und Heidelberg kommen. Wenn du längere Zeit an einem Ort lebst, willst du dein Wohlgefühl aber auch mal zum Ausdruck bringen. Ja, vielleicht ist das unser Ruhrgebietsalbum.

Du denkst zusammen mit Peter immer zweigleisig. Vor zwei Jahren habt ihr wieder ein Album als The Düsseldorf Düsterboys veröffentlicht. Welche Ideen hattet ihr, als ihr damit fertig wart und es gedanklich wieder um International Music ging?
Die ersten Gedanken hatten mit dem zu tun, was uns Olaf Opal als Produzent in Sachen Aufnahme und Technik auf den Weg gegeben hat. Wir haben mittlerweile viel Equipment und können jetzt selbst aufnehmen. Daraus ist die Idee erwachsen, dass wir ein Album nicht schreiben, dann proben und dann in 10 Tagen komplett einspielen müssen. Stattdessen haben wir immer mal wieder kleine Aufnahmen von Produktionsblöcken. Liebesformular, Fehler und Lass es ziehn waren die ersten drei Titel, die wir aufgenommen haben. Danach entwickelte es sich Stück für Stück weiter. Es muss nicht mehr der klar definierte lineare Weg von der Aufnahme zur Komposition beschritten werden. Wir wollten für uns auch ein bisschen was Neues machen, indem wir aus diesen übergroßen Hall-Räumen rausgehen, mit einzelnen Gesängen wie bei Fehler oder Kraut. Wir sind im Mix näher an der Stimme und den Instrumenten dran.

Auffällig ist auch, dass ihr das Verzagte des Post-Punk zurückgedrängt habt. Wolltet ihr bewusst einen helleren Ort aufsuchen?
Ja, ich finde, es fühlt sich in vielen Momenten wie ein gut gelauntes Album an. Das finde ich schön. Ich weiß nicht ob man das bewusst nennen kann. Wenn sich alles im Entstehungsprozess befindet, stellen sich Fragen nach dem Text oder der übergeordneten Einordnung des Albums noch nicht. Wir hören was oder wir spielen Akkorde und das ist geil. Was den Sound angeht, waren The Clash und Television Personalities Vorbilder für uns. Was daraus am Ende geworden ist…vielleicht ist die Stimmung ein Abbild davon, was wir selbst in unserer Musik gebraucht haben. Ich würde dir nicht widersprechen, was den helleren Eindruck angeht.

Ganz klar muss in diesem Gespräch ein Grundlob vorkommen. Sonst wäre alles nicht vollständig. „Oh, brauchst du das Bild einer gläsernen Welt? Ich sage dir, du brauchst nur den rollenden Fels“ – das sind mit die besten Zeilen im deutschen Pop ever.
Oh, danke. Die ist von Peter. Ich kann ohne Eitelkeit sagen, dass ich die Zeile auch liebe. Es ist so ein Grundgefühl. Wir bewegen uns in der Band auf die Lebensjahre Mitte 30 zu. Das Leben verändert sich, du stellst dir Bekenntnisfragen. Ich liebe dieses Lied Kraut, aus dem diese Zeilen stammen. Es hält unser Lebensgefühl gut fest. Diesen Bock auf Rock.

Bock auf Rock? Schöne Überschrift.
(lacht) Ich habe fast das Gefühl, dass es ein bisschen trotzig ist, wenn man das so sagt. Aber ich finde, du hast es sehr schön herausgelesen, es ist schon ein Bekenntnis.

Andererseits stellen sich für viele Fragen, mehren sich in der Szene Zweifel. Viele fragen sich, ob eine Band in der heutigen Zeit Sinn macht. Ob es sich rechnet. Habt ihr immer das Gefühl, dass sich die Mühe trotz der Widrigkeiten lohnt?
Ich finde es bemerkenswert, wie viele Leute unsere Musik hören. Unsere Texte haben ja nicht so diese Eindeutigkeit. Ich finde, wenige deutsche Bands kriegen es hin, Texte zu schreiben, die tiefer gehen. Die unter der Oberfläche einfach viel weiter gehen und Assoziationen hervorrufen. Ich habe auch das Gefühl, das wird allgemein gar nicht so gebraucht. Aber die Art, mit der wir gerne Musik machen, erfüllt uns sehr. Wir wollen das machen, unabhängig davon, ob es positiv eingeschätzt wird oder nicht. Es ist uns wichtig, dass wir Musik machen, die zeitlos ist. Dieses Gefühl kommt von innen heraus.

Wann hattest du eigentlich im Leben so das Gefühl, dass das bei dir so drin steckt. Dass du wusstest, du willst Musik machen?
Ich mache mit Peter zusammen Rockmusik, seitdem wir 14 sind. Wir kennen uns seit der Schulzeit in Mainz. Ich wurde quasi aus der Jazz-AG weg gescoutet. Dann ging es in das Jugendzentrum. So eine Struktur gibt es in Deutschland auf jeden Fall. Ich möchte betonen, wenn wir jetzt darüber reden, wie wichtig dieses Jugendzentrum in Mainz, das Haus der Jugend, für uns war. Da konnten wir für einen Zehner in der Woche den ganzen Freitagnachmittag lang machen, was wir wollen. Dort haben Peter und ich in der ersten Probe zusammen einen Song geschrieben. Das war nicht unbedingt ein guter Song, auch kein schlechter, aber das Gefühl war einzigartig. Das war wie eine Art Symphonie, kann man sagen. Er hat ja so eine dunklere Stimme, die sich für die Ballade besonders gut eignet. Wir ergänzen uns beide stimmlich ganz gut. Wenn es uns besonders gut gelingt, entsteht diese dritte Stimme mit uns. Das kann man vielleicht als einen Kern ansehen, der diese Band ausmacht.

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Man braucht von Anfang an Musiker, an denen man sich orientiert. Bei euch fällt unabhängig von den Namen, die du genannt hast, ein Hang zu The Velvet Underground auf. Was gefällt euch an dieser Band?
Früher habe ich nicht gerne darüber geredet, weil ich die direkten Einflüsse nicht so gesehen habe. Es ist nicht so, dass die Einflüsse am Anfang stehen und dann kommt unsere Musik. Der größte Anhaltspunkt ist für mich Peter – seine Art, Gitarre und Klavier zu spielen, seine Art zu singen. Doch es stimmt schon, wir lieben The Velvet Underground. Das ist was Unvergleichliches, dieses Rumpelige, Drone-ige, trotzdem sind immer Pop-Momente mittendrin. Das war es, was mich an denen immer unheimlich fasziniert hat. Wenn man die ersten drei Alben von The Velvet Underground hört, weiß man, was da los ist. Dieser Mut zur Hässlichkeit, also dass die Qualität der Aufnahme unter der Qualität des Feelings steht, finde ich total geil und richtig.

„Hier nur Kraut und Rüben, drüben blühen Blüten“, heißt es zu Beginn des Albums. Auch eine schöne Zeile. Wie weit geht der Begriff Kraut für euch? Dieses deutsche Ding darin, spielt ihr damit ein bisschen?
Der Song hieß am Anfang International Kraut, es sollte so ein bisschen unsere Art von Kraut sein. Dann haben wir ihn nur Kraut genannt, weil das mehrdeutiger ist. Es steckt der Musikstil drin, auch das Unkraut, Rausch und Drogen irgendwie auch. Krautrock ist gut, das ist für uns total der positive Begriff. Er ist anders als Pop, anders als englischer und amerikanischer Rock. Es gibt diesen einen Akkord, der neun Minuten in die Länge geht, freakigen Gesang, ein bisschen Psychedelik. Es ist eine Spielart, von der wir uns gerne was abgucken und aneignen oder wo wir uns einreihen wollen.

Wie bringst du dich als Bassist in die Band ein?
Ganz natürlich, würde ich sagen. Ich muss nichts einfordern, der Platz ist automatisch da, wir sind ja nur zu dritt. Es gibt nicht noch andere Gitarren, denen ich Platz machen muss. Ich liebe das Achteln auf der gleichen Note, wie bei Spacemen 3 – three chords good, two chords better, one chord best. Das fand ich schon immer die größte Kunst eigentlich, am Bass einen Ton eine Stunde lang zu achteln. Das ist ultraschwer, viel schwieriger als alles andere. Diese Herausforderung fasziniert mich. Natürlich gibt es dadurch, dass Peter manchmal bestimmte Akkorde spielt, noch den Platz für melodiöse Elemente. Das mag ich auch gerne. So spielen schon seit 18 Jahren zusammen Gitarre und Bass. Das war eigentlich immer so.

Seid ihr vielleicht ein bisschen erstaunt darüber, dass ihr euch nach all den Jahren, die ihr euch mittlerweile kennt, immer noch musikalisch überraschen könnt musikalisch?
(überlegt) Erstaunt nicht. Wir waren schon immer zusammen auf der Suche und genießen das nach wie vor. Und wir haben mit den zwei Projekten, die wir zusammen machen, zwei sehr verschiedene Outlets für Musik und Sound und Experimente. Wir beide produzieren auch gerne und nehmen gerne Musik auf und interessieren uns für Technik. Peter hat mir durch sein Studium der instrumentalen und elektronischen Komposition eine ganz neue Welt aufgemacht, in die ich reingeblickt habe. Ich bringe vielleicht diese brasilianische Musikwelt mit rein in den Mix. Peter ist mittlerweile ein großer Fan von Os Mutantes zum Beispiel, wie ich selbst auch. Ich glaube, dieses ständige Interesse und diese ständige Neugierde, die wir sowohl füreinander als auch zusammen für andere Sachen haben, das funktioniert immer noch ungebrochen. Mir ist schon bewusst, dass das was super Besonderes ist, was wir haben. Ich bin dafür sehr dankbar.

Und es gibt bei International Music noch andere Personen, die einen wichtigen Einfluss haben. Joel Roters am Schlagzeug zum Beispiel.
Ja, es gibt besonders bei International Music drei Leute, die wir nicht vergessen dürfen. Joel am Schlagzeug ganz klar. Er hat eine einzigartige Art Schlagzeug zu spielen, er ist super reduziert und in seinem ganz eigenen Timing, ultramusikalisch und groovy. Dann ist da Olaf Opal, der uns jetzt auch schon seit 2018 begleitet und uns zum Beispiel die Television Personalities erst gezeigt hat. Die kannten wir vorher gar nicht. Wir treffen uns auch außerhalb von allen Produktionen und tauschen uns aus, ganz wichtig. Und Ludwig Abraham, unser Engineer für live. Er ist auch schon seit 2018 dabei, zugleich Komponist für Theater. Er hat großen Einfluss darauf, wie wir live klingen und ein erweitertes Verständnis davon, live in extremere Sounds rein zu gehen. Es ist ein riesiger Unterschied, wenn wir live spielen mit dem Mischer vor Ort oder wenn der Ludwig dabei ist.

Dann ist es wirklich Rock & Roll, um einmal The Velvet Underground zu zitieren.
Ludwig und die anderen Freunde machen unsere Art von Rock & Roll komplett, ja. (lacht)

International Music Tour:
11.10.24 Nürnberg, Nürnberg.Pop Festival
13.10.24 München, Technikum
15.10.24 Heidelberg, Karlstorbahnhof
16.10.24 Dresden, Beatpol
17.10.24 Berlin, Astra Kulturhaus
18.10.24 Hamburg, Gruenspan
19.10.24 Jena, Cafe Wagner
20.10.24 Dortmund, Junkyard
21.10.24 Wiesbaden, Schlachthof
22.10.24 Düsseldorf, zakk
23.10.24 Köln, Gebäude9
24.10.24 Stuttgart, Wizemann
25.10.24 Essen, Zeche Carl

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