Foto-© Lars Dreiucker
Das paßt euch so. Ihr grölt und brüllt
von Friedensdemokraten;
in dicken Phrasenrauch gehüllt
ruft ihr nach mehr Soldaten
Obristenfrauen schrein und krähn
mit euch: »Marsch-Marsch! nach Flandern!«
Es sollen dorthin sterben gehn
die andern, die andern!
Die Todespein der andern schwand
in Urlaubstag und -nächten.
Ihr liebt nicht euer Vaterland!
Ihr hängt an Vorzugsrechten!
Das hamstert, schickt und schwatzt so nett
bei braungebratenen Zandern.
Die zwanzig Gramm vom Pflanzenfett
den andern, den andern!
Die Zeit ist aus. Die andern stehn
und recken ihre Glieder.
So lang geduckt, und nunmehr sehn
sie sich als Menschen wieder.
Der Friede kommt. Und ist er hier,
dann kommt das Heimwärtswandern.
Die Zeit ist aus. Jetzt kommen wir:
Die andern! Die andern!
(Stadlober & Tucholsky – Nationale Verteidigung)
Da haben sich zwei gefunden, die biografisch weit voneinander entfernt sind und doch zueinander passen. Der eine: österreichisch-deutscher Schauspieler und Musiker mit klar linker, antifaschistischer Agenda in der Gegenwart. Der andere: einer der wichtigsten Publizisten der Weimarer Republik, Satiriker, linker Demokrat in schwierigen Zeiten, Pazifist, Antimilitarist. Was zunächst nach künstlerischer Absturzgefahr riecht, gelingt indes hundertprozentig: Das ambitionierte Projekt, das Robert Stadlober (42) und Kurt Tucholsky (1890-1935) nun auf einer Platte zusammengeführt hat, bringt letztlich einen der schönsten Brückenschläge zwischen Pop und Poesie hervor.
Die Platte von Stadlober & Tucholsky mit dem Bandwurmtitel Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut erinnert vom Ansatz her an die herausragenden Vertonungen von Mascha-Kaléko-Gedichten durch die Berliner Singer-Songwriterin Dota Kehr (wobei Tucholsky natürlich ein bereits sehr gut eingeführter, ja weltberühmter Name ist, während Kaléko durch die beiden verdienstvollen Dota-Alben von 2020 und 2023 erst aus der Vergessenheit gerettet werden musste). Was beide Projekte gemeinsam haben: Sie widmen sich den Texten ihrer Vorbilder mit hoher Sensibilität, viel Respekt und superber musikalischer Einbettung in ein geschmackvolles Indie-Folkpop-Ambiente.
Stadlober ist ja schon seit gefühlten Ewigkeiten als Schauspieler aktiv. Bei seinem Durchbruch mit Sonnenallee (1999) und Crazy (2000) war er noch ein Teenager, später kamen viele wichtige Rollen hinzu, zuletzt in der großartigen Fernsehserie Kafka oder als Joseph Goebbels im Kinofilm Führer und Verführer. Dass der mit seiner Familie in Wien lebende Künstler auch ein talentierter Musiker ist (als Sänger der Indie-Bands Gary und Escorial Gruen) ist, dürfte schon weniger bekannt sein.
Dieses Talent kommt ihm nun für das zusammen mit dem Produzenten Wolfgang Lehmann in Wien aufgenommene Tucholsky-Tribute-Album zugute. Stadlober übernahm neben dem Gesang auch “Gitarren, Trommeln, Zeugs”, außerdem machten laut Credit-Liste in familiärer Studio-Atmosphäre Rosa Tallulah (Geige, Gesang), Astrid Noventa (Pianett, Gesang), Filipa Libertas (Gesang, Stampfen), Matthias Frey (Geige) und Daniel Moheit (Akkordeon) mit. Soviel zu den technischen Daten eines Albums, das man insgesamt nur als zauberhaft beschreiben kann.
Die zwölf Lieder von Wenn wir einmal nicht grausam sind… sind sprachlich teils wunderbar altmodisch, manche Redewendung der 1920er Jahre irritiert oder amüsiert – gleichwohl passen diese oft politisch geprägten, sarkastischen Texte “erschreckend gut in unsere Zeit”, wie das Stadlober-Label Staatsakt erklärt. Dass dem engagierten Linksdemokraten Stadlober die “explizit anti-faschistische Schreibe Tucholskys” liegt, erstaunt natürlich auch nicht.
“Im letzten Sommer überschlugen sich die Ereignisse, so wie sie es ja meistens tun. Doch diesmal schlug ich nach. Und zwar bei Tucholsky”, erzählt Stadlober. “Und ich schlug an, Gitarrensaiten nämlich. Und auf einmal konnte ich dem Wahnsinn da draußen mit einem anderen Blick entgegen sehen, mit einem Lächeln vielleicht, wenn auch einem schiefen, und einem schüchternen Glitzern utopischer Hoffnung im linken Auge. Denn der alte, nun bald hundert Jahre tote Tucholsky, hat sich mit sehr ähnlichem Unbill herum schlagen müssen, wie wir hier. Oft sogar schlimmerem. Und er hat das alles so präzise und scharf und doch mit der Freude am Absurden beschrieben, das es auf eine Art erbaulich ist, wie ich es mir kaum vorstellen konnte.”
Der nächste Schritt: Stadlober schrieb Melodien “zu den Texten, die mir am genauesten beschrieben haben, was ich selbst nur schwer beschreiben kann”. Mit der Veröffentlichung jener zarten, toll gesungenen Folkpop-Songs wie Bellevue (Tucholskys ambivalente Liebeserklärung an Berlin), Nationale Verteidigung (eine beißende Militarismus-Kritik) oder Wo ist der Schnee (pure, zeitlos schöne Melancholie) sei nun “ein Album fertig, dass uns vielleicht ein wenig durch diese Zeiten hilft”, hofft Stadlober. Ein gleichnamiger Gedichtband mit von ihm persönlich ausgesuchten Tucholsky-Gedichten ist im Verbrecher Verlag erschienen. Sehr empfehlenswert – Kurt Tucholsky würde da sicher zustimmen.
Stadlober & Tucholsky – Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut
VÖ: 30. August 2024, Staatsakt
www.robertstadlober.com
www.facebook.com/RobertStadloberOfficial
Stadlober & Tucholsky live:
06.09.2024 Magdeburg, Moritzhof
07.09.2024 Hamburg, Minibar Festival
11.09.2024 Berlin, Renaissance Theater
12.09.2024 Leipzig, Literaturhaus
13.09.2024 Halle, Literaturhaus
26.09.2024 Dresden, Literatur Jetzt!
27.09.2024 Münster, Burg Hülshoff
28.09.2024 Sulzbach-Rosenberg, Buchhandlung Volkert