THE MAGIC LANTERN – To Everything A Season


Foto-© Dave Hamblett

When I look at you I could scream
Spirit bursting out A Love Supreme
Patiently your tongue unpicked the seams
And we’ve made a life
We’ve made a life

Spitting out my teeth’s a bad dream
What if all we have had never been?
Urgently I search damp sheets between
For the life we’ve made
For the life we’ve made

Well come on Rhia
Can you believe it?
It’s a most unlikely situation
For it all to coincide
So come on Rhia

(The Magic Lantern – Two In One)

Was wäre das Leben eines Musikjournalisten (nein, eines jeden echten Musikfans) ohne diese Überraschungsalben. Also Platten eines gänzlich unbekannten Künstlers, die man vor dem ersten Hören nicht auf dem Zettel hatte, die einen urplötzlich total umhauen, die alle Jahresbestenlisten mit den üblichen Verdächtigen über den Haufen werfen. Der Schreiber dieser Review wird dort also Ende 2024 neben (oder sogar vor) zweifellos tollen Alben arrivierter Künstler wie The Smile, Paul Weller, Nada Surf, Vampire Weekend oder Elbow auch To Everything A Season von The Magic Lantern platzieren.

Denn nicht weniger verdient dieses wundervolle Indie-Pianopop-Folkjazz-Kleinod, das der britisch-australische Singer-Songwriter Jamie Doe jetzt de facto im Eigenvertrieb vorlegt – passenderweise im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, die Blätter fallen und die allgemeine Stimmung Richtung Schwermut driftet. Unter dem Moniker The Magic Lantern werkelt der bescheidene Musiker seit Jahren überwiegend in London an hochmelodischen Liedern, die den Vergleich mit ähnlich gelagerten Alias-Projekten wie Conor O’Briens Villagers oder Sam Beams Iron & Wine nicht scheuen müssen.

Es ist also hauchfeiner Spitzen-Stoff, an dem Doe nach To The Islands (2018) und A Reckoning Bell (2021) zum dritten Mal auf Albumlänge webt. Mit einigen wenigen hervorragenden Musikern an der Seite – Piano, Bass, Schlagzeug, drei Bläser, mehr braucht es nicht für diese moderne Kammermusik – spielte der Sänger Anfang August 2023 in den französischen La Buissonne Studios zehn Stücke ein, die einerseits mit jazziger Raffinesse und kompositorischer Klasse beeindrucken (Anspieltipps: der Opener Trembling, das frei schwebende Data Points), andererseits mit ihrer jederzeit spürbaren Melancholie regelrecht verzaubern (das Liebeslied Two In One für Jamies Ehefrau Rhia, Loops, Joy Is A Choice).

In Does Texten werden freilich auch elementare Themen behandelt, die einen stilsicheren musikalischen Spagat zwischen befreiender Euphorie und tiefer Traurigkeit erfordern. “Dieses Album wurde geschrieben in den Monaten nach der Geburt meiner Tochter und dem Tod meines Vaters sechs Wochen später. Bei ihrer kurzen Begegnung in einem Pflegeheim für Demenzkranke berührten sich die beiden Enden des Lebenskreises (…)”, schreibt der Songwriter auf seiner Bandcamp-Seite, wo To Everything A Season neben früheren Alben und Singles erhältlich ist. “Ich sah mich selbst in meinem Vater und meine Tochter in mir, und ich spürte Freude und Trauer in sich überlagernden Wellen (…). Diese Lieder sind mein Versuch, dieser unglaublichen Zeit einen Sinn zu geben.”

Wer nun befürchtet, dass diese Platte den Hörer dann doch arg runterziehen oder gar kalt lassen könnte – es wird nicht passieren. Die Arrangements sind zu keiner Sekunde kitschig oder überladen, sondern wie durch ein Wunder federleicht und “uplifting” (na klar, der Vergleich mit Nick Drake kommt einem in den Sinn). Und Jamie Does helle, freundliche, variable Stimme trägt perfekt durch die fabelhafte Studioproduktion von Bassist Fred Thomas.

“Es gibt Momente im Leben, auf die wir uns nicht vorbereiten können”, sagt der Musiker über die Vorgeschichte seines dritten Albums. Ja, und es gibt Platten, auf die man sich nicht vorbereiten kann, weil sie auf einmal ganz unverhofft da sind und die Welt zu einem etwas schöneren Ort machen. To Everything A Season von The Magic Lantern ist so eine Platte.

The Magic Lantern – To Everything A Season
VÖ: 11.Oktober 2024, La Buissonne
www.the-magic-lantern.co.uk
www.facebook.com/TheMagicLantern
https://themagiclantern.bandcamp.com/album/to-everything-a-season-2024-album

YouTube video

Werner Herpell

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