Foto-© Kristin Sollecito
I go where I want
While I’m still on the planet
One day I’ll take a ride
On the radar and rock
(Kim Deal – Disobedience)
Normalerweise sieht man sie nicht auf dem Cover. Dieses Mal treibt sie mit Gitarre, Verstärker und Flamingo auf dem Wasser, in Anspielung auf Bas Jan Ader. Der niederländische Künstler unternahm 1975 den Versuch, den Atlantik auf einem zu kleinen Segelboot zu überqueren. Er ging unter. Kim Deal sieht das als Sinnbild für ihre Unternehmungen. Sie fühlt sich als Künstlerin in Eigenregie nach 35 Jahren und sechs Alben mit The Amps und The Breeders unvollständig. Ihr erstes Soloalbum ist ein Trotzsignal gegen die Ahnung des eigenen Versagens.
Es gibt Gründe, warum bei ihr nicht immer alles glatt lief. Da war die lange Suchterkrankung ab den Neunzigern. Das ewige Hin und Her mit den Pixies, denen sie zwischen 2004 und 2013 zum zweiten Mal angehörte. In dieser Zeit kümmerte sie sich zu Hause in Dayton, Ohio parallel um die unter Alzheimer leidende Mutter. Von dieser Familienerfahrung handelt Are You Mine?. Der Song erschien zum ersten Mal 2013 auf einer von mehreren 7“-Singles, die Kim damals kurz hintereinander veröffentlichte. Ihn hat sie zusammen mit der B-Seite Wish I Was noch einmal für dieses Album in viel Kleinarbeit nachproduziert. Der ständige Drang nach Perfektion – ein weiterer Grund, warum bei ihr vieles schleppend verlief.
Coast gehört auch zu den älteren Tracks. Er entstand um 2002 herum, während der Zeit des gesundheitlichen und musikalischen Durcheinanders, das zum dritten Breeders-Album Title TK führte. Kim nahm Erholungsurlaub und wählte die Insel Nantucket in Massachusetts als Zufluchtsort. „Ich war völlig kaputt und sah, wie Kinder tagsüber herumtollen – bei hellem Tageslicht! Ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas gibt. Ich empfand es als herzerwärmend und wichtig, so etwas zu sehen“, erinnerte sie sich jüngst im Gespräch mit dem britischen Magazin Uncut. Im Text geht sie auf das verpfuschte Leben ein: „Clearly all of my life I’ve been foolish, tried to hit hard but I blew it.“ Sie fängt das Spiel der Kinder mit Pauken und Trompeten ein, als sei sie in New Orleans. Als ob sie irgendwo merkt, dass alles doch gut wird.
Auch der Titelsong entstand in der Rohfassung vor über zehn Jahren, hier gefallen Orchesterklänge wie bei John Barry. In Crystal Breath ist alles wieder anders, wie so oft auf dieser Platte, die in keine Schublade fällt. Dieser Song gehört zu denen, die während der Pandemie Kontur annahmen. Kim hatte es sich in den Kopf gesetzt, es mal mit Pro-Tools-Software zu versuchen. So etwas hätte sie früher nie gewagt, aber warum nicht, wenn man gerade Zeit hat. „Let’s start a new life, beat’s gonna lead us, live on“, deklariert sie. Den Beat hört man tatsächlich, er symbolisiert den Einstieg ins elektronische Zeitalter. Big Ben Beat ist aggressiver und hört sich nach Electro-Rock an. Kein Wunder, Fay Milton und Ayse Hassan waren mit dabei, man kennt sie von ihrer Zeit bei Savages. In punkto Intensität sind sie nahe an dem, was die andere Kim mit Nachnamen Gordon dieses Jahr präsentiert hat.
Fachkundige Leser werden sich fragen: Und was ist mit The Breeders? Spielen sie als Einfluss eine Rolle? Partiell. Disobedience fällt in diesem Zusammenhang auf, hier kommt die Noise-Rock-Seite der Band zum Vorschein. Wer die trippige Tendenz präferiert, die Kim auch immer gerne bedient, ist mit Come Running gut versorgt. Aber vieles fühlt sich anders an. Es fällt größere Lust auf neue Nuancen auf, sie machen dieses Album zu einem persönlich geprägten Werk. In Summerland greift Kim zur Ukulele. Dieses Instrument ist bei den anderen Bandmitgliedern nicht besonders beliebt, jetzt ist das kein Kriterium. Der Klang des kleinen Saiteninstruments mischt sich mit dem von Streichern und einem Touch Jazz im Rhythmus. „The stars swingin’ in the sea, it’s dazzling to see“, reimt Kim ergötzt.
Die 63jährige wirkt auf Nobody Loves You More wie eine Frau, die Turbulenzen hinter sich gelassen hat. Man muss nicht mehr den Ballast ertragen, der in vergangenen Episoden vorhanden war. Gigantic big big love, man spürt sie im Titel des Albums, in der Musik, in der ganzen Ausstrahlung. Geben wir ihr Gegenliebe, sie hat sie verdient.
Kim Deal – Nobody Loves You More
VÖ 22. November 2024, 4AD
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