Foto-© Marco Grey
Can’t watch you fall
Cast your devils on to me
Gotta break all those teeth
Too scared to show
All of your rebel soul
But I won’t mind
No, I won’t mind
(Michael Kiwanuka – Rebel Soul)
Small Changes ist nicht nur der Titel, sondern auch das Motto für Michael Kiwanuka auf seinem vierten Album. Und als Motto für einen Musiker zeugt das sowohl von Demut als auch von Selbstbewusstsein. Einerseits: Nur Stück für Stück komme ich voran. Aber auch: Ich muss nur ein paar weitere Stellschrauben drehen. Und das erscheint schlüssig. Nachdem der britische Sänger für sein Album Kiwanuka 2020 den Mercury Prize gewonnen hat, muss er sich nicht mehr wirklich den Kopf darüber zerbrechen, ob er auf dem richtigen Weg ist. Und trotzdem scheint er es zu tun. Michael Kiwanuka bleibt ein zweifelnder, introspektiver Künstler. Und das macht auch seine neueste Platte zu einem Genuss.
Schon der erste Song Floating Parade ist großartig, vom crispen Gitarren-Intro über den flächigen Bass- und Geigen-Support und die schwebenden Lyrics von Michael, die textlich wie musikalisch der Härte der Welt entfliehen: „We can’t be stronger than life itself, We can be solid but hardly make a dent, So I’ll be a full on child for a while.” Der Song wurde als Single bereits im Sommer veröffentlicht, als Vorbau für das Album funktioniert er noch einmal besser. Die Modulation zwischen Intro und Strophe, Strophe und Refrain ist ein thematischer Vorgeschmack für den Wechsel zwischen Leichtigkeit und Schwere, den Small Changes immer wieder vollzieht. Über elf Songs wird unterstrichen, dass Kiwanuka ein Albumkünstler ist. Spannungsbögen und Bezugnahmen zwischen verschiedenen Tracks fließen ineinander. Inhaltlich äußert sich der Brite über die großen Themen Liebe, Veränderung, Erlösung eher über ein Gesamtbild, über Nuancen gegenüber seiner Vergangenheit und dem letzten oder nächsten Song. Small Changes eben.
Produziert wurde alles wie bei den Vorgänger-Alben von Danger Mouse (u.a. Gnarls Barkley) und Inflo (SAULT). Viel besser geht es kaum, und beide Einflüsse hört man in fast jeder der 40 Minuten Laufzeit. Und trotzdem – das ist die Weiterentwicklung und die subtile Zusammenarbeit der beiden mit Kiwanuka – rangieren die Songs auf einem relativ kleinen, aber feinen Spektrum zwischen souligem Rock und (leicht) rockigem Soul, vom schweren, melancholischen Title Track Small Changes über das düster-faszinierende Rebel Soul bis zum Mittelteil des Albums, der sich dann etwas weiter aus dem Fenster wagt.
Vor allem mit dem Zweiteiler Lowdown, dessen part i noch ein klassischer Pop-Rock-Song ist, wieder mit sehr stimmigen Gitarren- und Bass-Linien, aber insgesamt ein wenig zu brav. Die Orgel im Hintergrund lässt es aber schon erahnen, was sich in part ii, einem Instrumental, dann ausbreitet: eine direkte Pink Floyd Hommage, liebevoll, völlig überbordend in ihren Ausschweifungen, aber auch ein schöner Abschluss für die überwiegend dunkle erste Albumhälfte. Danach nehmen die Plattitüden und einfachen Refrains ein wenig Überhand. Einem Michael Kiwanuka verzeiht man zwar ein, zwei schmalzige Songtitel, aber wenn Follow Your Dreams, Live For Your Love und Stay By My Side sich die Hand geben, tut das schon etwas weh. Vor allem die letzteren beiden überzeugen mit etwas viel Hall, etwas viel Dramatik und einem sehr simplen Aufbau eher weniger, trotz schönen, gedichthaften Texten (In rollin’ tides, You’re hoping that I won’t leave the shore, Stay by my side, There’s nothin’ that I would leave you for – Stay By My Side).
Mit The Rest Of Me folgt dann nochmal ein Highlight. Das Lagerfeuer-Intro ist eine falsche Fährte, ein grooviger Lounge-Track breitet sich danach zurückhaltend aus, Kiwanukas Erzählung steht im Vordergrund. Es ist fast ein Lobgebet, und schließt die thematische Klammer des Eskapismus, indem dessen Limitationen nun ganz deutlich gemacht werden. Am Ende und mit Gottes Hilfe scheint sich Kiwanuka dem Schmerz und der Welt stellen zu wollen und zu müssen. Ein guter Abschluss, wäre da nicht dann noch das relativ langweilige Four Long Years. Die Erzählung wurde abgeschlossen, und nun noch ein Liebeslied, über das Warten und Vermissen, und bedingungslose Treue. Ein weiteres einfaches – aber charmantes! – Gitarren-Solo könnte dafür sorgen, dass Kiwanuka hier wieder in der „Rock“-Kategorie für Preise nominiert wird. Aber ansonsten braucht es die Kuschelrock-Balladen eigentlich nicht.
Denn zum Großteil zeigt der britische Star mit Small Changes wieder, dass seine Stimme, seine verschriftlichten Gedanken und sein eigener Stil in Zusammenarbeit mit zweien der besten Producer der Welt ein kaum erschöpfbares Erfolgsrezept sind. Als heimeliges Winteralbum und Inspiration für ein Flannell-Moodboard wärmstens empfohlen.
Michael Kiwanuka – Small Changes
VÖ: 22. November 2024, Universal Music
www.michaelkiwanuka.com
www.facebook.com/MichaelKiwanuka
Michael Kiwanuka Tour:
25.02.25 Sporthalle, Hamburg
06.03.25 Zenith, München
07.03.25 Jahrhunderthalle, Frankfurt