Foto-© Pak Bae
Im bisherigen musikalischen Wirken von Japanese Breakfast war die Band Improvisation gewohnt: nach einem Jahrzehnt, in dem die Band das Beste aus improvisierten Aufnahmeräumen in Lagerhäusern, Wohnwagen und Lofts gemacht hat, ist For Melancholy Brunettes (& sad women), das am 21. März via Dead Oceans erscheinen wird, in dieser Hinsicht eine Premiere – nämlich das erste richtige Studioalbum der Band! Produziert von GRAMMY-Preisträger Blake Mills (Bob Dylan, Fiona Apple), zieht sich Frontfrau und Songschreiberin Michelle Zauner von der hellen Extrovertiertheit des Vorgängers Jubilee zurück, um die dunkleren Wogen zu erforschen, die in ihrem Inneren brodeln – das launische, fruchtbare Feld der Melancholie, das seit langem als der psychische Zustand von Dichtern am Rande der Inspiration gilt. Das Ergebnis ist eine künstlerische Absichtserklärung: ein reifes, komplexes, nachdenkliches Werk, das den romantischen Nervenkitzel einer Gothic Novel heraufbeschwört.
For Melancholy Brunettes (& sad women) folgt einer transformativen Periode in Zauners Leben, in der ihr zweifach GRAMMY-nominiertes Durchbruchsalbum Jubilee und ihre Bestseller-Memoiren Crying In H Mart – die als Tränen im Asia-Markt auch hierzulande erschienen sind – sie in den kulturellen Mainstream katapultierten und ihre tiefsten künstlerischen Ambitionen erfüllten. Als sie über diesen Erfolg nachdachte, wurde Zauner die Ironie des Verlangens bewusst, die so oft Glückseligkeit und Verderben miteinander verbindet. “Ich fühlte mich verführt, indem ich bekam, was ich immer wollte“, sagt sie. “Ich flog zu nah an die Sonne heran, und mir wurde klar, dass ich sterben würde, wenn ich weiterflöge“. Das Schicksal von Ikarus und anderen Verdammten verleiht For Melancholy Brunettes (& sad women) sein beständigstes Thema: die Gefahren des Begehrens. Wie zerstreutes Licht führen seine spektralen Teile die Charaktere des Albums durch Zyklen von Versuchung, Übertretung und Vergeltung.
In der heute erschienenen Leadsingle Orlando in Love – eine Anspielung auf John Cheevers Riff auf Orlando Innamorato, einem unvollendeten Epos, das aus 68 ½ Cantos des Renaissance-Dichters Matteo Maria Boiardo besteht – ist der Held ein gutmütiger Dichter, der sein Wohnmobil am Meer parkt und dem Ruf einer Sirene zum Opfer fällt, seinem 69. Canto (selbst im erhabenen Reich des klassischen Mythos hat Zauner ein Faible für Anspielungen).
Obwohl Zauner auf Soft Sounds from Another Planet (2017) mit Science-Fiction und auf Jubilee mit heiterem Surrealismus experimentiert hat, ist die Landschaft der europäischen Romantik, die For Melancholy Brunettes zugrunde liegt, und das dichte Gewebe klassischer Anspielungen, das damit einhergeht, Neuland für eine Songwriterin, die ihre künstlerische Reife erreicht. Sie führt ihre Inspiration auf eine Reihe von Vorgängern zurück. Das verlassene Cafémädchen in Degas‘ L’absinthe. Die Seelandschaften von Caspar David Friedrich. Die leidenschaftliche Sehnsucht und die wilden, wogenden Moore in Wuthering Heights. Hans Castorp, eingehüllt in seine Kamelhaardecke, träumend auf dem Balkon des Berghofs. Es ist eine Atmosphäre, die durch die komplizierten, ineinandergreifenden Gitarrenarrangements spürbar wird, die einen Großteil der Platte begleiten und wie Wellen über den Takt plätschern, oft so schräg in ihrem Ausdruck des Akkords, wie Zauner in ihrer Polyvalenz von Gefühl und Einsicht sein kann.
Traurigkeit ist der dominierende emotionale Ton dieser Platte, aber es ist Traurigkeit in einer verfeinerten Form: die nachdenkliche, vorausschauende Traurigkeit der Melancholie, in der die Erkenntnis des im Wesentlichen tragischen Charakters des Lebens mit Sensibilität für seine flüchtige Schönheit einhergeht. Zauner findet darin genügend Platz für Hoffnungsschimmer. Sie sind der Trost der Sterblichen, den Dichter vor ihr angerufen haben und den Dichter nach ihr immer wieder neu entdecken werden: Liebe und Arbeit, und wie sie sich wie stärkende Vorsätze durch die vielen Episoden der Platte ziehen.