SAM FENDER – People Watching


Foto-© Mac Scott

I can’t live under the notion
That there’s no reason at all
For all this beauty in motion
I don’t buy the deities spoke of
But in love, there’s something to hold
And I get a little bit closer to it

(Sam Fender – Little Bit Closer)

Hoffnung beinhaltet die Möglichkeit der Enttäuschung, Enttäuschung bringt die Erwartungen nach unten, niedrige Erwartungen ermöglichen Überraschungen, Überraschungen gebären Hoffnung. Der Zirkel lässt sich an jedem Punkt starten, hört wohl nie auf. Er ist der Zirkel der Jugend, des Aufwachsens, vielleicht auch von Gesellschaften. In jedem Fall ist dieser Kreislauf ein endloser Quell für Singer-Songwriter, im Guten wie im Schlechten. Zu den guten gehört seit seinem Erscheinen in den späten Zehnerjahren Sam Fender, white and british as can be, einer der wenigen (im weitesten Sinne) Rock-Künstler, die es eine authentische und reflektierte Working-Class-Perspektive in die Indie-Szene bringen.

Sein Debüt Hypersonic Missiles war so nostalgisch wie erfrischend, reiht sich ein in das kleine Brit-Rock-Revival, das wir seitdem beobachten oder zumindest immer wieder ankündigen können. Seventeen Going Under, eine Coming-of-Age-Story in Albumform, setzte nochmal einen drauf, sowohl in Reife und Qualität als auch in Erfolg und Cultural Impact. Es war die Art Album, nach dem man sich gut einmal vier Jahre Zeit lassen kann zu touren, zu feiern, den Erfolg zu genießen. Im Falle von Fender müsste man die letzten beiden Punkte wohl ersetzen durch Therapie und in sich gehen. 2022 brach er seine US-Tour ab, um sich auf seine Gesundheit zu konzentrieren und erhielt dafür viel Zuspruch.

Nun ist der mittlerweile Dreißigjährige aus dem englischen Norden zurück mit seinem dritten Studioalbum People Watching. Auf dem Titelsong bleibt musikalisch alles beim Alten, doch inhaltlich merkt man wie auf der ganzen Platte jeder Zeile an, dass die Jahre nicht spurlos an Sam Fender vorbeigegangen sind. Nach Coming-of-Age kommt der Kater, nach Enttäuschungen die niedrigen Erwartungen. So singt Fender direkt zu Beginn: „I used to feel so invincible, I used to feel there was a world worth dreamin‘ of, back in the Gasworks, screamin‘ the song, just the beauty of youth would quell my aching heart, oh, I feel so dark remembering”. Auch wenn People Watching ein relativ generischer Pop-Rock-Song ist und nahtlos an den Sound des letzten Albums anknüpft, berührt er in seiner Ehrlichkeit.

Und das gilt eigentlich für das gesamte Album, auch wenn die wunderbar kitschige erste Hälfte manchmal etwas einfach gerät. Tracks wie Nostalgia’s Lie (ein wahnsinnig passender Sam Fender Titel) und Chin Up mit ihrem klassischen Aufbau, den irgendwann einsetzenden Streichern und ein paar Oh-oh-oh’s bauen ein wohliges Bett, auf dem sich der Sänger seinen dunklen Gedanken hingeben kann.

Die Anfang des Jahres erschienene Single Arm’s Length perfektioniert diese Art catchy Indie-Rock. Aufgebaut um eine einzige zentrale Line („Do you have to know me inside out?”) spielt Fender befreit auf. Es ist die Kombination dieser Art Hit mit einem Gesellschaftsportrait wie in Crumbling Empire, die die knapp 50 Minuten People Watching so überzeugend machen. Teilen seiner musikalischen Inspiration in den amerikanischen Rust Belt folgend, singt Fender auf dem vielleicht zentralen Stück des Albums vom Zerfall der Wirtschaft und Ordnung des Industriezeitalters – ob in Detroit, London oder Newcastle. Er tut dies explizit im Ton der ideologiekritischen Gegenwart („I’m not preaching, I’m just talking“) ohne sich die Wut oder das Blame Game der Rechten zu eigen zu machen. Im Gegenteil.

Little Bit Closer ist ein weiteres Highlight der Platte. Mit einem Sound-Design, das den Song wie aus dem Radio klingen lässt, mit Mundharmonika und ergreifendem zweistimmigem Refrain greift Sam Fender hier tief in die Nostalgie- und auch ganz spezifisch in die Springsteen-Kiste. Und es geht voll auf. Die Hoffnung (ja, da sind wir wieder), die aus den inspirierten Lyrics spricht, ist reflektiert, vorsichtig und dadurch wahnsinnig relatable.

Im Herzen des Albums liegt die reine Singer-Songwriter-Lehre, die Texte werden verwinkelter und narrativer, die Stadiontauglichkeit wird ab und an abgestreift zugunsten halbakustischer, aber trotzdem voluminöser Songs, wie auch Rein Me In. Poppig und gemütlich im Sound, aber schwer im Text („All my memories of you ring like tinnitus, If I stop, it’s just pain, please don’t rein me in.”)

Dass People Watching erstmals nicht von Thom Lewis / Bramwell Bronte, sondern von Markus Dravs (u.a. Coldplay’s Viva la Vida, The Suburbs von Arcade Fire, Blue Weekend von Wolf Alice) und Adam Granofsky (Frontmann von The War on Drugs) produziert ist, sorgt hier und da für einen etwas cleaneren Sound und frische Ideen, auch für melodische Erinnerungen an die Indie-Hits der 2000er, aber es ist keine Abkehr von Fenders bisheriger Arbeit. Am nächsten kommt die musikalische Begleitung den düsteren Texten auf TV Dinner, das den gesellschaftlichen und medialen Umgang mit Musikstars anprangert und Gefühle der Eingeengtheit und Ausgrenzung beunruhigend gut umsetzt.

Fast schon zu episch und final, ist es doch (hoffentlich) nur der Abschiedssong des dritten Albums, gerät Remember My Name, in dem Fenders Bläser noch einmal einen großen Auftritt haben. Die sakrale Atmosphäre und der Pathos sind hier authentisch und stark. Ein würdiger, dick aufgetragener Abschluss für diese Sammlung cineastischer Songs als Soundtrack für eine Biegung im Leben Sam Fenders. Die Themen haben sich verändert, er ist an einem anderen Punkt im großen emotionalen Kreislauf. Aber musikalisch und karrieretechnisch gibt es nur eine Richtung: Nach oben.

Sam Fender – People Watching
VÖ: 21. Februar 2025, Polydor
www.samfender.com
www.facebook.com/samfender

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Phillip Kaeding

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