Foto-© Holly McCandless Desmond
Reflections lookin‘ back at me
They’re smilin‘, they’re smilin‘
I’m trapped inside a gilded cage
A golden blade I’m sharpening
It pleases you, I’ll see it through
I feel your chill across my skin
The seasons never change
Don’t you let me down
If you let me drown
I’ll die in your arms again
I’ll die in your arms
I won’t make a sound
Blood on the ground
When they take my crown
If they take my crown
(The Weeknd – Reflections Laughing)
Hasslieben sind kompliziert. Dauernd schwanken sie zwischen Anziehen und Abstoßen, zwischen Loslassen und Weitermachen. Abel Tesfaye scheint so eine Hassliebe zu seinem Künstlernamen The Weeknd zu haben. Vor ein paar Jahren erwähnte der Kanadier erstmals, dass er den Namen, unter dem er berühmt wurde, ablegen wolle. Aber, wie es sich für eine echte Hassliebe und vor allem für einen echten Künstler gehört, tat er es anschließend nicht einfach so. Stattdessen erleben wir eine umfangreiche Namens-Inszenierung (wie einst bei Tesfayes Idol Prince oder kürzlich bei Donald Glover) mit epischem Output rundherum. Der Abgesang auf The Weeknd ist eine ganze Trilogie rund um die Themen Tod, Jenseits und Wiedergeburt. So wie alles mit einer Trilogie begann – die „Trilogy“ bestehend aus Tesfayes ersten drei Mixtapes – so endet es auch, mit den drei Alben After Hours (2020), Dawn FM (2022) und nun mit dem brandaktuellen Schlusspunkt Hurry Up Tomorrow.
Das ganze Projekt ist jetzt schon ein voller Erfolg. After Hours enthielt mit Blinding Lights und Save Your Tears einige der größten Hits aus Tesfayes Karriere, Dawn FM war als Kritikerliebling und narratives Meisterstück die perfekte künstlerische Ergänzung. Was will uns der Superstar jetzt noch mit diesem Teil 3 von 3 sagen?
Die kurze Antwort ist: Sehr viel, schließlich fasst das Album ausladende 22 Tracks und knapp anderthalb Stunden. Aber auch: erstaunlich wenig, denn es fehlt der klare Fokus und der gute Abel wiederholt sich gern…aber fangen wir von vorn an: Hurry Up Tomorrow ist anders als Vorgänger Dawn FM kein strenges Konzeptalbum, sondern viel mehr eine lose konzeptionelle Reise mit mehreren in sich stimmigen Kapiteln.
Der Start ist furious: Wake Me Up, das zusammen mit dem französischen Elektronik-Duo Justice produziert wurde, funktioniert fantastisch als Intro und „Tone-Setter“, ist aber auch ein klassischer Weeknd-Hit, inklusive Michael-Jackson-Anleihen. Die Eingangszeilen sprechen Bände: „All I have is my legacy, I been losing my memory, No afterlife, no other side, I’m all alone when it fades to black.”
Und ganz im Sinne eines letzten Aufbäumens in den späten Stunden der Nacht, ungeduldig wartend auf den nächsten Tag und Neuanfang, folgen mit hohem Tempo und viel Power die Trap- und Latin-beeinflussten Tracks Cry For Me und São Paulo. Mit geschickten Übergängen malt Tesfaye das erste Bild von seinen letzten Tagen als The Weeknd: Party vor Untergangskulisse. Auch wenn diese ersten Songs Pop auf ganzer Linie sind, kommen sie nicht aus der Komfortzone. Selten feuerte The Weeknd so viele Einflüsse und Spielereien in so wenigen Songs ab.
Baptized in Fear nimmt erstmals etwas den Fuß vom Gaspedal. Ein klassischer R&B-Song in Weeknd-Manier, dessen bester Teil der Übergang zu Open Hearts ist. Dort wiederum stehen einem mitreißenden Beat von Max Martin schmalzige Lyrics über das Wieder-Lieben-Lernen gegenüber. Mit diesen Tracks beginnt das starke und inhaltlich zentrale zweite Kapitel des Superalbums. Die Produktion ist hervorragend, die Songs bleiben vielfältig, fühlen sich aber mehr wie ein Best-of aus den letzten „Phasen“ an. Der Vorteil ist, dass so viel Raum existiert, um Dramatik und emotionale Tiefe auszubreiten. Das monumentale Reflections Laughing mit Florence Welch und Travis Scott ist das beste Beispiel dafür: Für sich genommen ist der Song fast mit mehreren Features, Pathos und narrativem Einspieler fast too much, doch im Album funktioniert es hervorragend.
Hier im Albummittelteil ist kaum noch schimmernder Disco-Glanz zu spüren, dafür viel mehr von dem, was Abel Tesfaye mit seinem eigenen Tod (oder dem von The Weeknd) zu verbinden scheint: Erschöpfung, Überforderung und kein kleiner Gottkomplex. Nur ist das Ganze meist wenig subtil vorgetragen. Auf Enjoy The Show singt Abel: „I just wanna die when I’m at my fuckin‘ peak… And I’m ready, I’ll go overdose, I don’t wanna make it past thirty-four, And when the curtains call, I hope you mourn, But if you don’t, I hope you enjoy the fuckin‘ show.”
Nach all dem Drama um den Tod ist I Can’t Wait To Get There ein simples, grooviges Highlight, das als Übergang in den langen dritten Teil des Albums fungiert. Hier kehrt der Funk im Beerdigungsanzug zurück, mal sehr gelungen wie auf Take Me Back To LA und Big Sleep (mit Giorgio Moroder in einem der besten Features) mal etwas platt wie auf Niagara Falls. Weiter, und da bleibt Hurry Up Tomorrow auch nach einer Stunde Spielzeit konsequent, werden die pathetisch vorgetragenen Themen und über mehrere Songs vorgetragenen Spannungsbögen über einzelne Hits gestellt.
Bei einem großen Pop-Album hätte man sich allerdings ein paar solcher Hits gewünscht. Doch die Tracks im hinteren Drittel der Platte, die dazu geeignet wären, erfüllen ihr Potenzial nicht ganz. Give Me Mercy ist ein bittersüßer, um Bass- und E-Orgel-Türme gebauter Deep Cut, der aber seine Ohrwurmansätze nicht in den Vordergrund stellt. Und das Lana-del-Rey-Feature The Abyss fällt ganz flach.
Hintenraus hätte man zugunsten des großen Knalls, der der Abschied doch sein sollte, einiges zusammenkürzen können, Red Terror ist noch der beste unter den finalen Songs. Doch das aufgebauschte Schloss (oder House of Balloons) das Abel Tesfaye sich hier um seine stärksten Momente herum gebaut hat, sollte nicht von diesen ablenken. So viele Ecken und Türme gibt es, dass Fans noch lange kleine versteckte Reminiszenzen und Spätzünder entdecken werden. Schon beim zweiten und dritten Hören wirken manche der erst einmal langweiligen Songs deutlich interessanter.
Künstlerisch setzt sich The Weeknd mit Hurry Up Tomorrow ein umfassendes Denkmal. Für einen Mainstream-Star seiner Größenordnung beweist er einmal mehr eine erstaunliche Range, bringt die bestechende Dynamik von Dawn FM zumindest zeitweise zurück und verknüpft sie sowohl mit seinen typischen Balladen als auch mit Pop-Hits, die aber sympathisch düster bleiben.
Wie das Narrativschloss weitergebaut wird, wird man sich (zumindest in den USA) im Mai sogar noch in einem begleitenden gleichnamigen Kinofilm ansehen können. Der hochkarätig besetzte Thriller setzt der jahrelangen Abschiedstour noch einmal die Krone auf. Was man nicht alles tut, um einen Namen loszuwerden.
The Weeknd – Hurry Up Tomorrow
VÖ: 31. Januar 2025, Republic Records
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