Foto-© Iris Luz
Manchmal reicht schon eine Single, um das Fundament einer ganzen Karriere zu legen – bei Wet Leg ist das so ein Fall, zumindest beförderte ihre Single Chaise Longue das Duo 2021 aus dem Nichts in die Wahrnehmung der Allgemeinheit. Auch die Nachfolge-Single Wet Dream sorgte für noch mehr Aufmerksamkeit, der Rest des selbstbetitelten Debüt-Albums fiel hingegen gegen den Single-Erfolg ordentlich ab – auch, wenn der Erfolg zeigte, wie sehr die Band den Zeitgeist traf: Platz 1 in den UK Charts, drei Grammys, zwei Brit Awards und mehr als eine halbe Milliarde Streams.
Nun setzt die von Rhian Teasdale und Hester Chambers gegründete und mittlerweile fünfköpfige Band alles daran den Trend zu Wiederlegen und kündigt ihr Zweitwerk moisturizer für den 11. Juli an! Unterstützt von Ellis Durand (Bass), Henry Holmes (Drums) und Joshua Mobaraki (Gitarre, Synths), ist moisturizer ein wildes, verspieltes, fantastisches Biest – eine ungezähmte Demonstration der Live-Power, die sich Wet Leg in den letzten Jahren auf endlosen Touren antrainiert haben. Schärfer, schöner und genau da schmutziger, wo es drauf ankommt – dieses Album ist ein Mix aus fiebrigen Lovesongs und eiskalten Abschiedsküssen, serviert von den schrägsten Lieblingen der britischen Musikszene.
Vor der klassischen Weggabelung – „Popstar werden oder einfach weiter dem eigenen Instinkt folgen?“ – entschieden sich Wet Leg mit Nachdruck für Letzteres. Also ging es erneut mit Produzent Dan Carey ins Studio. Im März 2024 zog sich die Band nach Southwold zurück: gemeinsam leben, den ganzen Tag Songs schreiben, nachts Horrorfilme gucken – bis sich eine neue, fast telepathische Dynamik entwickelte. Am Ende tragen alle fünf Bandmitglieder Songwriting-Credits auf moisturizer. „Wir hatten einfach Spaß und haben ausprobiert“, sagt Chambers. „Wir haben uns gefragt: Macht das live Bock?“, ergänzt Teasdale. „Deshalb war es ganz logisch, dass wir die zweite Platte zusammen schreiben.“
Die erste Single catch these fists zeigt sich als recht klassischer Indie-Song, der jetzt noch nicht der ganz große Wurf ist. Das dazu passende Video – von der Band selbst auf der Isle of Wight gedreht – verneigt sich vor Ti West, Cameron Crowe und ihrem eigenen Clip zu Wet Dream. Ein wunderbar schiefes Willkommen im bizarren Kosmos von moisturizer valley. Wie öfter auf dem Album war auch catch these fists von einer unangenehmen Begegnung mit einem aggressiven Typen inspiriert – unmissverständlich nachzuhören in der letzten Strophe. Nicht, dass moisturizer sich ausschließlich mit Männern beschäftigt, die keiner braucht, nein, das Album ist vor allem eins: eine leidenschaftliche Liebeserklärung. Es durchleuchtet die Liebe in all ihren Facetten: überfordert, völlig hin und weg, hemmungslos horny, glückstrunken, obsessiv und rätselhaft.
Teasdale wollte früher nichts mit Lovesongs zu tun haben – jetzt ist moisturizer ein Manifest der Euphorie. Das zeigt sich schon beim Cover: Chambers und Teasdale mit gespenstisch langen Krallen, Teasdale mit kitschigen Kniestrümpfen und ohne Augenbrauen, frech grinsend in die Kamera. Die Message ist klar: Diesmal drehen Wet Leg voll auf. Lauter, schärfer, schamloser. Mal schauen, ob das Album und die Songs an den Erfolg der ersten Singles anschließen kann…
Wet Leg live:
21.06.25 Scheeßel, Hurricane Festival
22.06.25 Neuhaus ob Eck, Southside Festival
